Behinderung, Kuddelmuddel

Intermezzo

Auch wenn ich nicht über Carstens Esserei schreibe, so ist sie dennoch ein angstbeladenes Dauerthema. Momentan sogar noch verschärft, da Wiebke auch streikt und beide fast nichts trinken. Jeden Tropfen, wirklich jeden Tropfen rede ich meinen Kindern ein. Es darauf ankommen zu lassen, dass sie ja, wenn sie Durst hätten, bestimmt selber danach verlangen würden – das kann ich nicht riskieren, denn richtiges Durstgefühl haben sie nicht. Gestern hatte ich bei Wiebke vergessen, ständig zu motivieren und prompt war sie unleidlich, hatte sehr trockene Lippen und war sogar ein bisschen desorientiert. 

Heute hat Carsten auch Daheim gekotzt. Er hat viel zu schnell getrunken – der Schuss ist also nach hinten losgegangen. Denn zu dem, was er getrunken hat, kam auch noch das wenige was er vorher gegessen hat wieder raus.  

Eigentlich ist das mein täglicher Kleinkram. Jeden Tag von morgens an, immer in Habachtstellung mit den Ohren im Juniorenzimmer, wenn ich nicht von einem zum anderen flitze. Versteht mich nicht falsch, die Arbeit ist mir nicht zu viel – aber ich möchte es nur noch mal in Erinnerung rufen. Eltern unter euch kennen das – es ist so ähnlich, als sei das Kind drei Jahre alt – ständig und das über Jahre, ja sogar Jahrzehnte…

Kuddelmuddel

Gedankenkuddelmuddel

Darf man ab heute seine Wäsche zum trocknen wieder raushängen? Die Rauhnächte sind doch vorbei! Erklär mir einer diese Nächte, sie erschließen sich mir nicht. Als Kind habe ich davon nie gehört, als Jugendliche fand ich sie albern und als junge Erwachsene hatte ich keine Zeit für diesen Firlefanz und jetzt will ich eigentlich auch nur wissen, warum soviel Bohei darum gemacht wird?

In meiner Familie, in beiden Großelternfamilien wurde um Aberglaube – und ich stecke diese Nächte in diese Ecke – nie ein Deut gemacht. Eine Familie war vordergründig sehr christlich, was ich jetzt im Nachhinein bezweifeln möchte und die andere Familie war einfach nur pragmatisch. Da hatten Feen und andere Fabelwesen – berichtigt mich, wenn ich falsch bin – nichts zu suchen. Mein Opa war zwar Geschichtenerzähler, aber seine handelten von Münchhausen, Alfred Wegener, Thor Heyerdahl und Nils Holgersson von Selma Lagerlöf. Keine Rauhnächte – wenn gleich es in Schweden es bestimmt auch solche gibt.

Gedankenwechsel – ich lese! Endlich lese ich wieder etwas für mich. Nicht nur zwischendurch, sondern intensiv mit juckenden Fingern, um Eselsohren ins Buch zu knicken. Matt Haig:  Ziemlich gute Gründe,  am Leben zu bleiben. Obwohl mir meine Psychologin keine schwere, eher keine Depression diagnostiziert hat, so kann ich mit meiner massiven Angststörung fast auf jeder Seite nicken und sagen. Ja, so ist es. Ich bin nicht alleine. Es ergeht anderen auch so. Allerdings verstärkt es ein bisschen meine Einsamkeit, weil Matt Haig davon schreibt, dass reden hilft – doch mit wem soll ich das tun? Wem kann ich das zumuten?

Eselsohren hat dies Buch noch keine. Noch ist es zu jungfräulich, aber es gibt bei mir Bücher, die strotzen vor umgeknickten Ecken und das sind meine meist geliebten Bücher. Aber eins ist sicher, in Romane kommen keine Knicke – nur in Sachbücher. Momentan lese ich bevorzugt Sachliteratur, Gedichte oder den Junioren vor. Wiebke mag Tiergeschichten. Psssst, nicht weiter erzählen, diese langweilen mich. Carsten hat nach dem Mittelalter – Mama, wir machen erst mal eine Geschichtspause! – Fantasiegeschichten entdeckt und später werden wir in Kanada mit dem Leichtflugzeug unterwegs sein.

Heute ist hier noch Feiertag. Morgen geht’s endlich wieder los – wenn denn Carsten nicht mehr so heftig hustet. Wir beiden haben einen Wettstreit und Wiebke ist die lachende Schiedsrichterin. Um gleich darauf ihrem Bruder einen Bonbon zu reichen. Außerdem, sagt sie, musst du viel trinken! Ich muss die Rollstühle noch putzen. Ahh bäh, kann mal jemand kommen und das übernehmen?