Schlagwort: behindert

so langsam

So langsam müsstest du dich doch an die Behinderung deiner Kinder gewöhnt haben!

Wenn ich solche Sätze höre, dann zweifle ich an echtem Interesse meines Gegenübers. Vorab aber erst einmal ein Gedicht eines Lieblingsdichters von mir:

Mit Quevedo im Frühling

Alles ist erblüht
hier auf den Fluren, Apfelbäume,
stammelnd Blautöne, gelbes Gestrüpp,
und im grünen Grase lebt der Mohn.
Himmel unauslöschlich, junge Luft
an jedem Tag, verschwiegener Glanz,
vom weitgespannten Frühling ein Geschenk.
Nur wo ich zu Haus bin, ist nicht Frühling.
Krankheiten, kopflose Küsse wuchern
wie das Efeu an der Kirche
über meines Lebens schwarze Fenster,
Liebe allein genügt nicht mehr und nicht
der wilde, weitgespannte Duft des Frühlings.

Und was sind jetzt in deinen Augen
das Licht, entfesselt, die Entfaltung,
blütenhaft, des Offenbaren, das grüne
Lied der grünen Blätter, das Erscheinen
des Himmels mit dem Kelch voll Kühle?
Frühling, du draußen, peinige mich nicht,
lass nicht los in meinen Armen Wein und Schnee,
Blütenkrone, geknickten Kummerstrauß,
schenk nur heute mir den Schlaf der nächtigen
Blätter und die Nacht, darin die Toten
liegen, die Erze und die Wurzeln
und die Vielzahl der erloschnen Lenze,
die in jedem Lenz wieder erwachen.

Pablo Neruda

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Es geht doch nicht darum, sich an die Behinderung zu gewöhnen. Selbstverständlich habe ich diese längst akzeptiert und hadere auch nicht warum, weswegen und wer Schuld ist! Ich gewöhne mich allerdings nie an blöde ableistische Sprüche und seien sie noch so wohlwollend gemeint. Täglich, wirklich täglich, hören meine erwachsenen Junioren wie niedlich sie doch sind. Aber auch: „Ihr seid schließlich behindert und könnt deswegen nicht einfach mal schnell zum Eis essen mit dem Bus in die Stadt fahren. Ich habe keine Zeit euch zu begleiten!“

Dass Carsten und Wiebke behindert werden  – es per se nicht sind, ihnen und mir Steine in den Weg gelegt werden – allein ein Spaziergang um den Block herum ist eine logistische Herausforderung, denn da gibt es eine steilere Stelle, die ich nur nacheinander mit den Rollstuhlfahrenden bewältigen kann. Warum sieht man so wenige Menschen in Rollis? So wenige behinderte? Nicht, weil es sie nicht gibt, sondern weil der ganz normale Alltag bei ihnen schwieriger ist, als bei anderen.

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Ich habe es schon ein paarmal geschrieben: Guckt euch in eurem Umfeld um und seht sie – die anderen, anders normalen Menschen. Zeigt es ihnen aber auch, dass ihr sie seht!

und wenn dich

…ein fremde junge Frau liest, wie ein offenes Buch und sie nicht einmal Psychologie studiert hat, dann bin ich doch sehr beeindruckt von ihr. Wenn sie dann noch eine sehr fähige Physiotherapeutin ist und auf Anhieb meine Schwachstellen im Schulterbereich findet – nur nach einem 10minütigen Eingangsgespräch, so fühle ich mich bei ihr in sehr guten Händen wissend. Leider ist sie jetzt 14 Tage im Urlaub und ich weiß nicht, was mich beim nächsten Mal in der Physiotherapie erwartet!

Unser Wochenende war erlebnisreich und randvoll angefüllt. Samstags waren wir bei behinderten Freunden und haben ein sehr kurzweiliges Theaterstück über das Neinhorn angeguckt. Der Kerle hat lebhaft mitgespielt, obwohl er gar nicht auf der Bühne stand.

Sonntag gab es großes Blasorchester im Nachbardorf, wo fast jeder – so scheint es mir – im Musikverein Mitglied ist. Vom Viertklässler bis zum Rentner spielen die Leute Trompete, Posaune, Querflöte, Oboe und alle Arten von Blasinstrumente und es war ein wunderbares Vergnügen ihnen zuzuhören. Bei beiden Veranstaltungen habe ist festgestellt, dass wir gar nicht so isoliert sind, wie ich immer denke.

Am Montag war hier herrlichstes Wetter und da meine Kräuterecke völlig verkrautet ist, wollte ich mir eine Kräuterschnecke basteln. Es ist ein großer Topf geworden für die grünen Gewürze der Küche und steht jetzt auf der Terrasse am Küchenausgang.

Heute Nacht war‘s mal wieder nicht meine, aber das Hirnforscherbuch hat mich obendrein zusätzlich wachgehalten und der Fall einen kleinen Mädchen, das trotz ausreichender Nahrung nicht wachsen und zunehmen konnte, hat mich nachdenklich, traurig an meinen Kerle erinnert. Zum Glück für Carsten hat sie ein Schicksal, das mit Verwahrlosung begann, aber in Liebe – wenn auch nicht vollständig – aufgefangen werden konnte. Das Buch ist harter Tobak. Mich heilt es – so komisch und verrückt es sich anhört!

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Mein Weg ist steinig, ich habe das Gefühl barfuß zu gehen, manchmal ist es Eis und manchmal brüllend heiß, dann laufe ich über Wiese mit Brennnesseln oder Gänseblümchen, durch einen plätschernden Bach, über eine Brücke aus Stein oder eine schwankende Sisalhängebrücke. Manchmal fühle ich mich sehr alleingelassen, aber im Hintergrund ist immer jemand der/die mich auffängt!

darf ich?

Eigentlich interessiert es mich nicht, ob ich darf oder nicht. In der Nacht waberte ein Gedanke in meinem Kopf herum, ob ich überhaupt von der Angst erzählen darf – hat doch jeder hin und wieder Angst und es scheint selbstverständlich zu sein. Angst als Krankheit wird komisch angeguckt. Du siehst doch ganz normal aus. Schau sie sie dir an deine Angst, dann kannst du sie angehen! Ja, wenn das so einfach wäre. Es ist einfach, sagt eine vermeintliche Freundin; du muss es nur wollen. Damit wird mir unterstellt, dass ich mich in meiner Situation häuslich eingerichtet habe und eigentlich gar nichts ändern will. Lerne klagen, ohne zu leiden! Ein bisschen anders ist das schon – bei jedem ist es anders, nie gleichen zwei Schicksale einander. Es gibt bestimmt Menschen, die mich ob meines Lebensstil beneiden und ganz viele, die mich bedauern. 

Jetzt meine Frage: darf ich meine Angst zum Thema machen? Bitte, ich will keine Antworten, dass das hier ja mein Blog ist und ich machen kann, was ich will usw. und so fort. Natürlich darf ich. Aber es soll auch nicht das alleinige Thema sein. Ich möchte jedoch unsichtbare Krankheiten sichtbar machen. Angst ist neben Depression gar nicht so selten und kann viel besser kaschiert werden, als Rückenschmerzen. Zudem hat Angst den Makel, dass man doch selbst etwas ändern kann – wenn man denn nur will. Es gibt viele Medikamente. Wenn diese aber nicht wirken? Die Nebenwirkungen zu stark sind und wenn man dann zunimmt, das Selbstwertgefühl leidet?

Ich bin eine gute Schauspielerin. Mir sieht man nicht an, dass es mir schlecht geht, dass ich Angst habe und wenn ich in Panikattacken stecke, dann verkrieche ich mich eben. Für die Junioren ist das normal. Sie wissen, dass ich sie uneingeschränkt liebe und dass das nichts mit ihnen zu tun hat. Jedenfalls nichts mit ihrer Person. Sie sind weiterhin fröhlich.

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Danke, dass ihr bis hierhin gelesen habt. Ich wünsche euch einen schönen Sonntag!🍃

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