Behinderung, Gedanken

so tun, als ob

Masking bedeutet, als autistischer Mensch so zu tun, als ob man neurotypisch wäre.

 Erst letztens habe ich wieder erfahren, dass es anstrengend ist, sich mit mir zu unterhalten  – sowohl für mich, als auch für mein Gegenüber. Eine Situation, in der ich Kritik geäußert habe, weil ich meine Junioren benachteiligt gesehen habe, hat sich, weil wir aneinander vorbei gesprochen haben, dermaßen hochgeschaukelt, dass ich nach dem Gespräch erst einmal völlig fertig war. Dabei habe ich erzählt, dass ich Asperger-Autistin bin. In wie weit mein Gegenüber das realisiert hat, weiß ich nicht, konnte es nicht einschätzen und auch das – mich unverstanden zu fühlen – hat mir enormen Stress bereitet. Dabei war dieser Mensch nicht einmal unwissend über Autismus. Ich habe mich einfach, wie ich es schon seit meine frühen Jugend kenne: Am seidenen Faden, von jemanden, den ich nicht kenne, mit zwei Finger haltend über einer tiefen schroffen Schlucht im Wind hängend, gefühlt! Vermutlich könnt ihr diese Metapher halbwegs nachempfinden. Oder ist das auch nur ein Bild, das ausschließlich in meinem Kopf herumgeistert?

Wenn ich in einem solchen Kontext stehe, dann fange ich an zu maskieren. Mein Vater sagte damals immer: Jetzt fängt sie an zu schauspielern! Im Nachhinein merke ich, dass er mich erkannt hatte. Nur ich wusste seinerzeit noch nichts von Autismus. Jetzt, da ich das Wissen habe, tue ich bei außenstehenden Menschen oft so, wie ich denke, dass sie es von mir erwarten. Das verbraucht eine Menge Ressourcen. Aber mich jedesmal erklären mag ich auch nicht. Denn manchmal, eigentlich oft, heißt es: Du bist doch intelligent genug. Reiß dich doch einfach mal zusammen!

Behinderung, Gedanken

dreckige Fingernägel

Was sagen mir dreckige Fingernägel am Morgen? Was sagt mir das abgezogene Laken? Ein Kerle, der erschöpft im Bett liegt? Durchfall desnachts ist etwas, was ich auch meinem ärgsten Feind nicht wünsche. 

Normalität ist bei jede*m etwas anderes. Bei einem gehören die Ritterspiele dazu, eine andere schwimmt jeden Morgen ihre Bahnen in der dörflichen Badeanstalt. Wieder eine kann ohne ein Gläschen Wein abends nicht einschlafen. Normal scheint auch zu sein, dass manche Menschen 10Stunden arbeiten und andere scheinbar nichts. Normal ist auch, dass für einige die Zeitung im Briefkasten liegt und andere gar nicht lesen können. Was für den einen Normalität ist, ist für die andere absolutes no go. 

Meine Normalität ist, dass ich jede Nacht gegen 2Uhr aufstehe und nach den Junioren gucke – jede Nacht! Heute Nacht war eben mal wieder ein bisschen mehr los. Dreckige Finger inklusive!

Behinderung, Gedanken

ernstes Thema

Gestern bekam ich von einer befreundeten Mutter, die ebenfalls zwei behinderte Kinder hat, eine Nachricht. Ihre Kinder haben auch eine Genstörung, allerdings etwas ganz anderes als meine Junioren. Ihre Tochter (sie ist Ende dreißig) wurde vor Jahren in ihrer damaligen Schule vergewaltig. Schon diese Tatsache ist erschreckend, strafbar, absolut verwerflich und hat das Mädchen zusätzlich zu ihrer Behinderung – sie ist blind und geistig beeinträchtigt – nachhaltig verstört und für ihr weiteres Leben psychisch, kognitiv und auch körperlich schwer getroffen. Immer wieder gibt es Phasen in denen Julia (Name geändert) mit der Tat konfrontiert wird und diese sie einholt und dann ein sehr schwieriges Verhalten an den Tag legt, zum Beispiel ihren Bruder beißt, ihre Eltern schlägt, Essen verweigert, nicht mehr spricht und wegläuft. Einfach auf die Straße läuft, nur weg! Für meine Bekannte ist das schwer zu ertragen, möchte sie ihrer Tochter das Leid gerne abnehmen. Elterngesprächen ist die junge Frau dann nicht zugänglich  – und da kommt die Krux: es gibt kaum Psychologinnen, die mit geistig behinderten Menschen eine Traumatherapie machen (können). Ich habe es ja selbst festgestellt, weil ich für den Kerle immer noch psychologische Unterstützung suche.

Vorgestern hat das befreundete Paar ihre behinderte Tochter, die autoagressiv ist und ihren Bruder massiv verletzt hat, zu ihrem eigenen und den Schutz der anderen, in eine Klinik gebracht. Mit sehr schlechtem Gewissen, auch mit dem Wissen, dass dort nur akut mit Medikamenten geholfen werden kann, nicht das eigentliche Thema aufgearbeitet wird und dass die junge Frau nur ruhig gestellt wird. Ein schlimmer Affront! Eine Backpfeife für die Seele der ganzen Familie! Eine Notlösung und Bankrotterklärung für die geistige Gesundheit der geistig behinderten Menschen. Hat dieser Mensch, damals, nur sein sexuelles Interesse im Kopf gehabt? Nicht gedacht? Nur sein eigenes Vergnügen? Er wurde zwar verurteilt, ist inzwischen wieder frei und darf nicht mehr als Erzieher arbeiten. Aber er hat nicht jeden Tag Alpträume, muss nicht mit den Ängsten leben. Seine Familie leidet nicht unter der unkontrollierten Aggressivität…