Alltag, Behinderung, Gedanken

alles nur im Kopf

Das möchte ich mir wohl einreden. Es ist aber nicht so. Mein Körper muckt auf. Ich bin halt auch keine dreißig mehr. So denke ich am Morgen schon daran, dass wir nachmittags  bis Sonntagmittag nach Pappenheim fahren – zu einem Treffen kleinwüchsiger Menschen. Unbestritten freue ich mich darauf, habe aber auch Bammel vor der Aufgabe. Dort sind ganz viele nette Leute, die uns helfen wollen, ich muss nur fragen – und daran scheitert es wahrscheinlich. Weil, wenn ich um Hilfe bitte, diese erst präzisieren muss und in der Zeit habe ich es längst selbst gemacht! Es lohnt den Aufwand nicht, denke ich, weil das nächste Mal ich es wieder erklären und zeigen muss. Wir sehen uns zu selten! Dazu kommt, dass Wiebke wahrscheinlich wieder sehr fremdelt und Carsten Anschluss sucht und nicht kriegt, weil er im Rollstuhl nicht so flink ist und Gleichaltrige mit ihm nichts anfangen wollen bzw. können. Wir fühlen uns dort wohl, aber für mich ist es Arbeit. Ich möchte dabei sein, mag aber nicht sehen, wie meine Kinder ausgegrenzt sind. Nicht mit Absicht, ganz bestimmt nicht. Aber es sind die einzigen geistig behinderten Menschen und das macht sie natürlich zu Außenseitern.

Mein Kopfkino rattert. Mein Bauch brummelt, gesund bin ich auch noch nicht wirklich, aber Träume habe ich und dies Wochenende möchte ich gerne dabei sein.

10:15 Uhr – Mit wie viel Aufwand diese kurze Reise verbunden ist, habe ich nicht erzählt. Zuerst einmal Klamotten für drei Leute packen, dann noch Windeln und Nahrung mit diversen Schläuchen und Adapter, ein Medikamentenkistchen für die Junioren, ein paar Spielsachen – die Kuscheltiere zum träumen nicht vergessen und daran denken auch für Wiebke Essen einzupacken – sie isst nicht alles…

Alltag, Behinderung, Gedanken, Junioren

o Pippi

Nicht Pippi Langstrumpf – obwohl so verschmitzt, wie dieses freche Mädchen, hat Wiebke es mir auch beibringen wollen, dass ihr Bett leider nass ist. So ganz wenig war es dann doch nicht und zur Töchtings Verteidigung möchte ich sagen, dass ich ziemlich spät am Morgen ins Zimmer gekommen bin, denn sie kann ja nun nicht alleine aufs Klo gehen. Ist kein Beinbruch! Ist nicht schlimm, wird gewaschen und gut ist‘s. 

Das ist auch Alltag bei uns, das ab und zu etwas daneben geht. Ich Betten außerhalb der Reihe waschen muss – entweder kotzt Carsten, oder Pippi läuft aus der Windel, oder dem Töchting passiert ein Malheur. Unser Alltag unterscheidet sich gewaltig von dem anderer. Ich merke das immer wieder wenn wir uns verabreden wollen, ich/wir brauchen viel mehr Vorlaufzeit – und manchmal geht’s gar nicht. Nicht immer stoßen wir auf Verständnis. So richtig spontan können wir nicht sein, ich muss schließlich drei Leute anziehen, muss dafür sorgen, dass drei Leute gegessen haben – und das ist nicht immer einfach, weil, wie ihr wisst, Carsten massive Essprobleme hat…

Okay, genug davon, es ist Sonntag! Die Herrschaften sollten raus aus den Federn, meine Aufgabe ruft. Ran, dran!

13:05Uhr – Es wird langsam zur Manier, dass ich meine Beiträge mit Zeitangaben versehe und so die Nachträge deutlich mache. Ändert sich bestimmt auch wieder! Draußen ist es durchwachsen, nicht so sommerlich wie gestern. Wir werden aber in den Garten der Wunschtochter gehen, was anderes sehen und Kuchen essen. Die Vögel merken auch, dass irgendwas wettertechnisch im Busche ist. Ob es gleich regnet? 

18:56Uhr – Kein Regen, dafür ein leckerer Kuchen und gute Unterhaltung, dreckige Finger allenthalben, ein Fastunfall mit quietschenden Reifen und Resteessen um halb sieben!

 

Alltag, Behinderung, Gedanken

alleingelassen

Kuddelmuddelgedankenchaos – behindertes! Entschuldigt bitte, auch ich würde lieber gerne über den wunderschönen Frühling schreiben. Auf der Wiese vorm Wohnzimmer blüht ein Gänseblümchenmeer. Im Sonnenschein ist das prächtig, doch mein Herz ist schwer. In diesen Winkel kommt kein Lichtstrahl, so scheint es. Wir waren zwar eine Runde spazieren – einmal zum Sportplatz, ihn umrunden und auf der anderen Seite zurück. Mit einer älteren Dame. Wenn jemand kam und uns ansprach, mussten wir schnell weiter, weil sonst die Begleiterin mürrisch, nein das ist nicht das richtige Wort, muffelig wurde – sie hat kein Interesse an Gesprächen mit kleinen Jungs. Sie läuft mit dem Rollstuhl als ihren Rollator stur ihren Weg, guckt nicht links und nicht rechts, hat mir im Vorfeld schon gesagt, dass sie nur den leichten Weg geht. Den geht sie dann auch und zeigt ihre Leidensfähigkeit.

Es geht der Pastorenfreundin nicht gut, auch das zeigt sie ausgiebig. Meine Tränen waren schon vor dem Spaziergang da, als sie mir sagte, dass sie sofort danach wieder geht. Wie sage ich das den Junioren? Sie haben sich doch auf, erst einen Spaziergang und danach einen Spielenachmittag, gefreut. So war‘s geplant und abgesprochen. Sie kann nicht! Oder will sie nicht? Ich weiß, dass sie mich momentan nicht mag und dass die Junioren sie nerven. Sie sieht keine Fortschritte bei den behinderten Menschen. Sie hört immer dasselbe, sagt sie. Es zermürbt sie! Kann ich verstehen – wer will auch ausschließlich MenschÄrgereDichNicht spielen? Sie hat mich überrumpelt, heute.

Ich muss versuchen neue Menschen zu finden, die ihre freie Zeit mit uns als Freizeit verbringen wollen. Ich muss den Junioren erklären, dass nicht alle Menschen, die sagen, dass sie mal kommen, auch wirklich kommen. „Warum sagen die das dann, wenn’s dann doch nicht stimmt?“ Ja, warum? Seit Wochen springe ich über meinen autistischen Schatten und mache Smalltalk den ich gar nicht kann. Stümperhaft versuche ich uns anzupreisen, schöne Spaziergänge aufzuzeigen, dass wir gemeinsam malen könnten oder schwimmen, auch mal in den Tierpark oder nur in der Sonne sitzen – gemeinsam macht das mehr Spaß – und es soll ja auch nicht umsonst sein. Einfach mal was miteinander tun…

19:52 Uhr – Der Kerle quatscht mir die Ohren ab, er erzählt vom kommenden Bayernurlaub (die Junioren fahren über Ostern auf eine Freizeit) und Wiebke übt jodeln – hört sich so glücklich an. Sind das wirklich meine Kinder, diese fröhlichen Menschen?