Alltag, Behinderung, Gedanken

alleingelassen

Kuddelmuddelgedankenchaos – behindertes! Entschuldigt bitte, auch ich würde lieber gerne über den wunderschönen Frühling schreiben. Auf der Wiese vorm Wohnzimmer blüht ein Gänseblümchenmeer. Im Sonnenschein ist das prächtig, doch mein Herz ist schwer. In diesen Winkel kommt kein Lichtstrahl, so scheint es. Wir waren zwar eine Runde spazieren – einmal zum Sportplatz, ihn umrunden und auf der anderen Seite zurück. Mit einer älteren Dame. Wenn jemand kam und uns ansprach, mussten wir schnell weiter, weil sonst die Begleiterin mürrisch, nein das ist nicht das richtige Wort, muffelig wurde – sie hat kein Interesse an Gesprächen mit kleinen Jungs. Sie läuft mit dem Rollstuhl als ihren Rollator stur ihren Weg, guckt nicht links und nicht rechts, hat mir im Vorfeld schon gesagt, dass sie nur den leichten Weg geht. Den geht sie dann auch und zeigt ihre Leidensfähigkeit.

Es geht der Pastorenfreundin nicht gut, auch das zeigt sie ausgiebig. Meine Tränen waren schon vor dem Spaziergang da, als sie mir sagte, dass sie sofort danach wieder geht. Wie sage ich das den Junioren? Sie haben sich doch auf, erst einen Spaziergang und danach einen Spielenachmittag, gefreut. So war‘s geplant und abgesprochen. Sie kann nicht! Oder will sie nicht? Ich weiß, dass sie mich momentan nicht mag und dass die Junioren sie nerven. Sie sieht keine Fortschritte bei den behinderten Menschen. Sie hört immer dasselbe, sagt sie. Es zermürbt sie! Kann ich verstehen – wer will auch ausschließlich MenschÄrgereDichNicht spielen? Sie hat mich überrumpelt, heute.

Ich muss versuchen neue Menschen zu finden, die ihre freie Zeit mit uns als Freizeit verbringen wollen. Ich muss den Junioren erklären, dass nicht alle Menschen, die sagen, dass sie mal kommen, auch wirklich kommen. „Warum sagen die das dann, wenn’s dann doch nicht stimmt?“ Ja, warum? Seit Wochen springe ich über meinen autistischen Schatten und mache Smalltalk den ich gar nicht kann. Stümperhaft versuche ich uns anzupreisen, schöne Spaziergänge aufzuzeigen, dass wir gemeinsam malen könnten oder schwimmen, auch mal in den Tierpark oder nur in der Sonne sitzen – gemeinsam macht das mehr Spaß – und es soll ja auch nicht umsonst sein. Einfach mal was miteinander tun…

19:52 Uhr – Der Kerle quatscht mir die Ohren ab, er erzählt vom kommenden Bayernurlaub (die Junioren fahren über Ostern auf eine Freizeit) und Wiebke übt jodeln – hört sich so glücklich an. Sind das wirklich meine Kinder, diese fröhlichen Menschen?

Alltag, Behinderung, Gedanken

wenn man nirgendwo dazu gehört

Wenn man sich nirgendwo dazugehörig fühlt, dann schmerzt das schon heftig. Von wem stammt der Spruch: Mittendrin statt nur dabei.? Ich habe es vergessen, tut auch nichts zur Sache. Dabei sind wir öfter mal, am Rand. Das ist gut – unbestritten. Aber wenn es dann heißt, wir machen jetzt Sport und gehen in die Schwimmhalle, dann scheitert die gemeinsame Aktivität daran, dass es keine geeignete Umkleidekabine für Rollstuhlfahrende gibt, und obendrein ist die Wassertemperatur nur 28° C. Nach 10 Minuten frieren die Junioren!  Oder wir gehen in ein Spaßbad, doch Rutschen und Strudelbecken dürfen sie nicht benutzen, wegen Unfallverhinderungsvorschriften! Bei Konzerten gibt es besondere Sitzplätze direkt an den Fluchttüren, nur von der Bühne sehen Carsten und Wiebke nichts, weil Menschenmassen vor ihnen sitzen. 

Aber ich habe dennoch etwas Schönes zu berichten: Im Dorf gibt es ein neues Café, ebenerdig mit leckeren Waffeln. Dort waren wir heute. Dort werden wir bestimmt wieder hingehen. Dort ist eine supernette Gastgeberin und der Kerle hat für uns den Weg geebnet. Nicht aufgeben, immer wieder, wenn auch nur dabei sein, dann sind wir vielleicht auch irgendwann mittendrin dazugehörig. 

 

Gedanken, Gedicht

Zentimeter über dem Asphalt

Ausgeweint
und es fließen
immer noch
Tränen

leer bin ich
am Beben
mit Augen
dick und geschwollen

zehn Zentimeter
über dem Asphalt
langsam
schwebe ich davon
drifte ab
kann den Kurs
nicht halten

mich hält
schon lange
niemand mehr

© petra ulbrich

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Es geht weiter, es geht immer weiter. Auch nach einer verheulten Nacht voller Selbstmitleid und tausend ambivalenten Gefühlen, ohne Milchreis der Oma, stattdessen mit einer vermeintlichen Community, deren Zusammenhalt der einer platzenden Seifenblase ist. Schillernd und bunt, aber ohne Substanz. Entschuldigt meinen Zynismus. Nennt es ungerecht, aber wer sagt, dass das Leben gerecht ist? Nennt mich anmaßend und nicht genug bekommend, ich nenne es bedürftig.