Jetzt hat er sie seit ca. 3Wochen und es ist gut. Carsten hat sich sehr an seine Gleitsichtbrille gewöhnt. Er, der nicht so gut gucken kann – nur ca. 10% Sehvermögen hat – hatte von Anfang an keine Probleme mit den neuen Gläsern. Der Kerle ist richtig froh darüber. Ich bin es auch. „Du Mama, Ich hab nicht mehr so viel Kopfweh!“ Dass er überhaupt Kopfschmerzen hatte, wusste ich nicht. Das hat mir mein Herr Sohn nie gesagt. „Aber Mama, das ist doch ganz klar. Wenn man nicht richtig sieht, kann man auch nicht richtig gut im Kopf sein!“ Wo er recht hat, hat er recht.
Selbstverständlich ist es nicht, dass behinderte Menschen eine Gleitsichtbrille bekommen und nicht jeder behinderte Mann kommt auch so gut damit klar wie Carsten. Ich kenne andere Menschen, die viel mehr Schwierigkeiten hatten als mein Sohn. Er hat die Brille aufgesetzt und gut war’s. Der Trugschluss ist, dass er trotzdem nicht besser sieht – nur eben manchmal schärfer.
Wahnsinn ist oft die Logik eines sehr akuraten Geistes, der überlastet ist.
| Oliver Wendell Holmes
Der abnehmende Mond scheint ins Zimmer, aber es ist nicht mehr dunkel. Ich habe geschlafen bis um halb acht. War bitter nötig, denn die Nacht davor war hellbettschwermüdewach. Und dann der Tag, gestern, mit der Nominierung! Der dazugehörige Beitrag bleibt noch bis Dienstag oben stehen und dann geht’s normal weiter. Vielleicht nicht ganz, denn die Junioren bekommen wieder ihre Namen dazu.
Es herrscht eine beängstigende Stille. Der Kerle schläft wie ein Stein und Wiebke singt auch nicht. Nur von Zeit zu Zeit rauscht ein Auto vorbei – mir ist unheimlich zumute. Gedanken können rattern und mein Blick schweift aus dem Fenster. Ziemlich wüst sieht es aus, unaufgeräumt und grau mit weißen Tupfen. Diese aber nicht von Schnee, sondern es sind Knospen von Gänseblümchen. Zu kurz, um sie in die Vase zu stellen…
Warum mache ich das eigentlich alles hier? Könnte ich nicht auch mein Buch nehmen und die schöne Kuscheldecke, oder den nächsten Zug nach Nirgendwo? An die Ostsee oder Timbuktu? Carsten würde jetzt sofort mitfahren wollen. Wir hatten gestern Nachmittag kurz Besuch. Eine sehr junge Frau erzählte von ihrer Au Pair-Zeit in USA, der Kerle wollte alles wissen und natürlich alles sehen: „Da fahren wir auch hin!“ Wie gerne würde ich das tun. Aber, erstens ist das mit einem Rolli schon eine Herausforderung und zweitens fehlt mir dazu das nötige Geld, ganz abgesehen davon, dass wir dann immer noch keine Begleitung haben. Wir kommen ja noch nicht einmal in die Weinberge, die hinterm Haus beginnen.
Das Töchting singt Kauderwelschlieder, wie immer und mag auch nicht aufstehen. Ganz krumm liegt sie und guckt Schlümpfe (Comik-Geschichten) an. Ich trinke meine Tasse leer, zieh die Aufbaunahrung auf, geht ins Kerlezimmer und bekomme wahrscheinlich gleich ein mürrisches Knurren. Aber verhungern lassen werde ich ihn nicht – wenigstens kotz Carsten grad nicht!
Laut Landesbehörde haben wir heute Nachmittag etwas gemacht, was nicht in den Rahmen der Teilhabe gehört – wir waren in einem großen Pflanzenmarkt. Dort sind Märchenstände und diverse Weihnachtsdekorationen. Schön anzusehen, es duftet zudem nach Anis, Zimt und Popcorn. Glühwein, Kinderpunsch und heißer Schokolade, Glitzerkram und Weihnachtssterne, Lichterglanz und Träume. Aber eigentlich war es *Ironiemodus an: Behindertenbespaßung *Ironiemodus wieder aus! Den Junioren hat‘s gefallen und das ist mir jeden Cent wert, den ich der Begleitung bezahlt habe.
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