kein Geschichtenbuch

Dies Blog ist kein Geschichtenbuch, auch wenn ich es manchmal gerne hätte. Wie krieg ich jetzt den Dreh zu dem, was ich schreiben will? 

Ich hab’s so satt, immer stark zu sein, ich will es nicht mehr. Wenn ich es öffentlich oder auch nur im kleinen Raum sage, dann kommt der weise Rat: „Such dir doch Hilfe!“ Ja, wo denn noch? Wenn Fachärzte z. B. nicht wissen, wie sie mit Wiebkes dicken Beinen umgehen können. Keine Ahnung haben, was man machen kann, um des Töchtings Schmerzen zu lindern. Für sie ist nach der Konsultation der Fall erledigt. Wir müssen damit leben. Ich muss es aushalten, wenn Wiebke weint. Ich hab’s auch satt, Carsten immer wieder sagen zu müssen, dass er seine Filme nicht in voller Lautstärke hört. 10 Sekunden ist es leiser und dann wieder Getöse. Wegen einem Legoteil, das ihm fehlt, macht der Kerle ein Mordgeschrei, wenn aber sein Glas mit Cola auskippt, gibt es keinen Mucks. Der Regalboden aus Holz ist nass und was da passieren kann, interessiert ihn nicht die Bohne. „Mama, das ist doch nicht schlimm, kann man wieder putzen!“ Stimmt, aber er kann das nicht. Auch das T-Shirt mit Kakaoflecken von Wiebke – 2 Minuten bevor wir ins Sprechzimmer gehen, vollgekleckert – ist im Prinzip Pipifax. Wäscht die Waschmaschine, aber in dem Moment ist es mir peinlich.   Ermüdend ist es auch, immer wieder erinnert zu werden, dass ausschließlich ich gucken darf, dass beide – nein, eigentlich wir drei – genug trinken und der Kerle sondiert wird. „Sei doch froh, so hast du die Gewähr, dass er nicht verhungert.“ Ja, aber es nervt so manchen, dass wir, wenn wir tatsächlich mal miteinander essen gehen – was leider viel zu selten passiert (eben auch aus diesem Grund) – nur halbe Portionen bestellen möchten. Oft ist es dann so, dass ich nicht das bestelle, was ich will, damit Carsten oder Wiebke das essen können, was sie mögen. Dann soll ich doch nebenbei Verständnis haben für die, denen jemand ins Auto gefahren ist und das nun eine Schramme an der Tür hat. Auch wenn angekündigter Besuch kurzfristig abgesagt wurde, weil der Kurzurlaub am Meer reizvoller ist, als zu uns ins Dorf zu fahren – das müsste ich doch verstehen, oder?

Ach Schiete, es klingt schon wieder nach Jammern, Lamentieren und totalem Kuddelmuddel. Und die Adressaten erreicht dieser Blogbeitrag sowieso nicht.

Heute Nachmittag kommt eine tolle Frau. Wir fahren zum See. Ich bin sehr dankbar dafür – aber ich mag deren Hilfe nicht überstrapazieren und ganz ehrlich, im Vorfeld braucht dieser kleine Ausflug von meiner Seite eine Menge Vorbereitung.

13:50 Uhr – Nachtrag, ein kurzes Gespräch: „Du musst an Wunder glauben.“ „Ach?“ „Ja.“ „Selbst an kleine?“ „Klar doch.“

Kategorien: Behinderung, Gedanken, Junioren

10 Kommentare

  1. Liebe Piri,
    du musst das nicht „in Ordnung bringen“ oder schön schreiben – was du hier teilst, ist echt.
    Du darfst müde sein, du darfst genervt sein, und du darfst trotzdem dankbar sein für die schönen Momente. Es ist ein Balanceakt, und allein das auszusprechen, ist stark und Realität.
    Genieße den kleinen Ausflug heute, du hast es verdient.

  2. Ich finde nicht, dass das Jammern ist. Das ist Realität. Wenn jemand Geschichtenbuch über behinderte Menschen möchte, dann viele Grüße von Jule Stinkesocke. Und da wurde in der Doku von Psychologen gesagt, dass der Mann, der sich das alles ausgedacht hat Probleme hat und echten behinderten Menschen geschadet. Realität ist eben anders.

    Und diese „Such dir halt Hilfe“-Sprüche kommen oft – nicht immer -, auch von Leuten, die nur Geschichtenbuch kennen oder wollen. Auch wenn sie vielleicht gut gemeint sind. Die Realität ist doch viel häufiger als nicht „Es ist für behinderte Menschen und/oder deren Angehörige nicht vorgesehen, dass…“

    • Scheißrealitität! Auch wenn der Ausflug eine wunderbare Unterbrechung des alltäglichen Einerlei war, sind wir dort doch das eine oder andere Mal blöd angegafft worden. Begegnet sind wir kaum anderen behinderten Menschen…

  3. Ich empfinde es auch nicht als Jammern, sondern als Darstellung deiner Realität.
    Mich würde auch ärgern, wenn mir dann jemand einen so überflüssigen Vorschlag macht, wie: hol dir doch Hilfe. Darum geht es ja gar nicht.
    Viel Spaß heute Nachmittag.

  4. ° Habe grade den Ernährungsbutton gewechselt
    ° Wiebkes Beine massiert und eingecremt
    ° den Kerle sondiert und gewickelt
    ° nebenbei ein Bett abgezogen und in die Waschmaschine gesteckt
    ° die Spülmaschine eingeräumt und das Töchting gebeten, diese anzustellen
    ° mein Schienbein blutig gekratzt
    ° mich nicht rausgetraut, weil der Nachbar so fleißig im Garten schafft und meiner aussieht wie Wildwuchs
    ° die dritte Tasse Kaffee weggekippt, weil sie kalt geworden ist
    ° …
    ° …

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