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Mut ist auch

… auszuhalten, dass sich nach einem schönen Tag ein schwarzes Loch auftut. Mut ist auch der Tatsache ins Auge zu blicken, immer dann allein zu sein, wenn Hilfe (seelische und auch tatkräftige) am nötigsten ist. Mut ist es auch, aushalten zu können, wenn das Töchting einen Overload hat, weil das Ausstellfenster in ihrem Zimmer sich nicht schließen lässt. Sie hat deswegen fast zwei Stunden gegreint und ich konnte ihr nicht helfen. Mut ist auch, den Kerle liegen zu lassen, auch auf die Gefahr hin, dass er dicke geschwollene Knie bekommt. Aber es ist ihm wichtig auch einmal zu chillen. Mut ist ebenso, nicht ans Telefon zu gehen, wenn eine bekannte Nummer anruft und die Person dahinter sich eigentlich nur wieder auskotzen will.

Die Junioren sind beruhigt. Mein Adrenalin ist werweißwo. Unsere Terrasse verbeikräutert bzw. verunkrautet, ich sollte dringend duschen. Wiebke braucht mich griffbereit  – das klingt nach Tyrannei, ist es jedoch nicht, denn sie hat einfach nur Angst, dass ich nicht da bin. 

Der Kerle hat nichts gegessen. Das Töchting trinkt nicht, weil sie immer noch im Overload steckt und die flüssige Konsistenz ihr gerade Unbehagen bereitet. Wenigstens sie hat Gemüse und Pilze gegessen. Ich sitze mit der nächsten Tasse Kaffee und er schmeckt mir nicht …

∙∙∙∙∙

16:10 Uhr – Ich bin es leid hier immerdestruktiv zu erscheinen. Ich bin allein, fühle mich alleingelassen, auch wenn mir einige wenige helfen wollen, es aber aus verschiedensten Gründen nicht können. Ich weiß es sehr zu schätzen, aber genau darin liegt auch die Krux. Wenn noch nicht einmal professionell geschulte Menschen einen Ausweg aus dieser Misere wissen und es an Zeit und anderweitigen Ressourcen fehlt – wir bräuchten einmal jemanden, der/die die gesamte Komplexität sieht und diese zusammen mit mir aufdröselt.  – Leider haben auch Fachleute manchmal weder Lust noch Zeit noch Wissen dafür zu Verfügung.

Wir brauchen einfach Menschen, die Zeit mit uns verbringen möchten. Teilhabe am Leben, eben!

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Veröffentlicht von piri

Ich bin ganz schön viel und ganz schön wenig, ich bin Mutter, Hausfrau und Dichterin in allen Lebenslagen. Im Autismus-Spektrum bin ich obendrein. In Momenten, in denen ich an mir und meiner Arbeit zweifle und meine, nichts Gutes auf die Reihe zu bekommen, denke ich manchmal daran, mir kurz das, was ich schon geschafft habe, anzuschauen. Dann geht's wieder. ❤️ | ✨ Kommentare sind herzlich willkommen.

13 Gedanken zu „Mut ist auch“

  1. Annuschka sagt:

    Mut ist vor allem, sich selbst und anderen die Mutlosigkeit einzugestehen. Und dann einigermaßen gelassen auf den nächsten Mutanfall zu warten.

    1. piri sagt:

      Mag sein, dass das ein entscheidender Schritt ist. Wenn dann aber nach den Hilferufen sich niemand imstande fühlt zu helfen, dann ist der ganze schöne Mut verpufft! Ich möchte diese Erwiderung nicht als Resignation verstanden sehen – es ist leider momentan unsere Realität!

      Es klingt so negativ. Tut mir leid!

      1. Annuschka sagt:

        Ich denke, ich kann ahnen, was du meinst.

        1. piri sagt:

          Ich weiß es nicht, hoffe es aber sehr. Danke.

  2. Izzy sagt:

    Du wirkst für mich nicht destruktiv, sondern einfach ehrlich – ehrlich erschöpft, ehrlich allein, ehrlich überfordert mit etwas, das aktuell zu groß ist, um es alleine zu tragen. Dieses Gefühl, allein zu sein, obwohl manche dir helfen wollen, ist bitter. Und ja, es tut weh, wenn selbst Fachleute nicht wirklich weiterwissen oder keine Zeit und Kraft haben. Dann bleibt man mit allem wieder allein zurück.
    Du schätzt die Hilfe, das merkt man. Aber genau deshalb ist es so frustrierend, wenn sie nicht reicht. Weil du eben nicht undankbar bist – nur einfach überfordert mit etwas, das zu viel für eine Person allein ist. Und was du beschreibst, ist eigentlich ganz simpel, aber so wichtig: Wir brauchen Menschen, die wirklich Zeit mit uns verbringen wollen. Nicht nur reden oder helfen im klassischen Sinn – sondern einfach da sein, dabei sein. Teilhaben. Das macht so einen Unterschied. Und du hast recht: Das ist nichts, was zu viel verlangt ist. Das sollte ganz normal sein.

    1. piri sagt:

      Ja deshalb ist es ja so frustrierend, weil so viele mit mir gemeinsam mit ihrem Latein am Ende sind!

  3. Steffen sagt:

    Inwiefern bist du destruktiv, wenn du alle deine Kraft aufwendest, um da zu sein? Warum solltest du nicht herauslassen dürfen, was sich in dir anstaut, weil es ja keine andere Person oder keinen anderen Ort, wo diese Gedanken und Gefühle hingegeben werden können?
    Ich vermute, du möchtest diesen Ort (Blog) hier gern als wunderschönen Ort sehen, zu dem die Besuchenden kommen, weil es hier keine Negativität gibt. Aber wie schon von Izzy erwähnt, bist du authentisch. Und zumindest für mich ist das enorm wichtig.

    1. piri sagt:

      Willkommen hier.
      Inwiefern, warum? Müsig! Mir sagen Menschen offen ins Gesicht, dass ist destruktiv wirke und allein diese Tatsache lässt mich (ver)zweifeln. Authentizität ist nicht immer hilfreich und manche Zeitgenossen wollen lieber was anderes, weil‘s bequemer ist!

      1. Steffen sagt:

        Steht es anderen zu, über dich zu urteilen? Vielleicht bist du auch tatsächlich destruktiv. Vielleicht möchtest du ein System kaputt sehen, dass dir keine Hilfe zukommen lässt obgleich es behauptet, dass kein Mensch ausgeschlossen wird und alle teilhaben sollen. Das wäre für mich ein verdammt guter Grund für ein wenig Zerstörungswillen.

        1. piri sagt:

          Ob es jemanden zusteht über mich zu urteilen steht außer Frage. Ich werde be- und verurteilt. Ja, ich möchte das System ändern, nicht sprengen, lediglich verändern – aber ich werde es nicht alleine schaffen. Solange es nicht genügend Ehrenamtliche gibt, noch nicht einmal für den Thekendienst des örtlichen Sportverein, wie soll man da Menschen motivieren, mit geistig Behinderten etwas zu unternehmen? Dass es auch großen Spaß machen kann, werden viele nicht erfahren, weil sie es gar nicht ausprobieren.

          Ich möchte statt zerstören, lieber etwas aufbauen.

  4. Trude sagt:

    Ich finde dich gar nicht destruktiv, sondern eher innovativ.
    So wie du mit den Anforderungen umgehst, die ständig auf dich einprasseln.

    Finde ich echt gut, wie du euer Leben meisterst.

    1. piri sagt:

      Danke – tatsächlich wird das auch – wenigstens ansatzweise – in der Tagesklinik gesehen. Danke dir, Trude!

  5. Anne Seltmann sagt:

    Ich glaube fast, du wohnst am falschen Ort.
    Aus meiner langjährigen Berufszeit mit geistig-und körperbehinderten Menschen, weiß ich, dass rund um Kiel und Hamburg, viele Menschen bereit sind, ihre Zeit mit ebendiesen zu teilen…ehrenamtlich. Sie sind nicht nur bereit, sie setzen es auch wirklich um. Auch ich habe damals mehr Zeit mit meinen „Schützlingen“ verbracht, als meinem GöGa lieb war und war haarscharf an der Grenze, dass mein Exmann mich deshalb verlässt. Das wäre mir sogar egal gewesen.

    Für mich wirkst du auch nicht destruktiv, sondern einfach nur verzweifelt. Und ich wünschte, dass diese Verzweiflung endlich die Kraft freigibt, aus der Hoffnung wächst.

    Liebe Grüße

    Anne

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