Dieses Jahr ist zu viel für mich, es schafft mich. Dachte ich doch das von jedem Jahr schon vorher, so ist es dieses Jahr Wirklichkeit. Meine Einsamkeit macht mich krank. Alle Entscheidungen allein treffen zu müssen, ist verdammt schwer. Es fängt damit an, was es morgens zum Frühstück zu essen gibt – ob es überhaupt Frühstück gibt – und hört damit noch lange nicht auf, dem Kerle nachts die Leviten zu lesen, dass er doch um halb zwei schlafen sollte, auch wenn der nächste Tag ein Sonnabend ist. Es ist niemand da, mit dem ich diskutieren kann – über Gott und die Welt und mit dem ich meine Ängste besprechen kann, der sie versteht, hinnimmt, mir zuhört und mich dennoch selbst auf die Nase fallen lässt. So falle ich zwar selbst auf die Nase, aber ich falle immer wieder in dasselbe Loch. Lerne nicht dazu! Sollte man bei Ängsten dazulernen? Ja sicher! Sicherheit bekommen und vielleicht einmal genauer hinschauen, wovor ich überhaupt Angst habe …
Dieses Jahr ist zu viel für viele Menschen, es schafft sie. Dieses Jahr trennt die Menschen von den Menschen. Besonders die, die es schon vorher nicht leicht hatten Kontakte zu halten. Deren Kontakte fallen schneller hinten runter. Mir persönlich fällt es sehr schwer Kontakte zu halten, mag ich mich niemanden aufdrängen und nachfragen, ob, vielleicht, möglicherweise, eventuell Zeit für mich ist. Angekündigt haben sich letztes Jahr im Herbst einige Leute uns zu besuchen. In diesen Zeiten scheint das nicht zu gehen. Ich habe auch nicht nachgefragt, warum nicht! Es liegt nicht nur an der Coronapandemie!
Dieses Jahr ist noch nicht zu Ende. Es zieht sich wie Kaugummi und verfliegt wie ein Luftballon im Wind. Es war doch erst gestern, da ich umsorgt im Krankenhaus lag. Im Nachhinein war diese Zeit sehr zwiespältig: einerseits war ich krank, andererseits musste ich mich einmal nicht kümmern, war ver- und umsorgt. Einerseits habe ich meine Kinder vermisst, andererseits das Verantwortungsgefühl nicht.
Dieses Jahr schafft mich, aber auch dieses Jahr werde ich schaffen!
Reiner sagt:
Der letzte Satz gefällt mir.
Lieben Gruß!
piri ulbrich sagt:
Nur der letzte Satz? Danke.
Der Gruß geht zurück!
dergl sagt:
Wegen Ängsten und (auch so) mal mit jemandem quatschen: Kennst du das Austauschangebot der Angstselbsthilfe? Die machen peer-to-peer, also Betroffene für Betroffene, kostet nix.
piri ulbrich sagt:
Das Angebot kenne ich nicht, hört sich gut an. Hast du einen Link für mich?
dergl sagt:
Da: https://www.angstselbsthilfe.de/dash/beratung-online/
Die wissen vielleicht auch noch mehr. Je nachdem was du brauchst.
piri ulbrich sagt:
Dankeschön
isa sagt:
Man denkt so oft, dass man etwas nicht schaffen wird und am Ende schafft man’s doch auf eine Art. Vielleicht weil man keine andere Wahl hat, nicht einmal die Wahl aufzugeben. Letztlich hat man sich dann unnötig und vergeblich die ganze Zeit mit dem Gedanken zu versagen herumgequält.
Ja, Corona trennt oft die Menschen von den Menschen. Und die Menschen von ihren Jobs und von Gemeinschaften. Aber auch diese Durststrecke müssen wir schaffen. Ich denke lieber nicht so viel darüber nach – ich gehe Schritt für Schritt weiter.
piri ulbrich sagt:
Vermutlich bin ich viel zu verkopft – ich denke viel zu viel und das macht mich schwindlig!
Gudrun sagt:
Ich habe das Gefühl, dass das Jahr erst anfangen muss. Von Anfang an kam ich nicht richtig in die Gänge, dann kam der Umzug und von dem habe ich mich noch nicht richtig erholt. Mein Enkel ist gestern drei Jahre alt geworden und ich habe ihn noch nie im Arm halten können. Sie wollten im Sommer nach Deutschland kommen, aber das ging ja nicht. Auch meine anderen Kinder habe ich seit Weihnachten nicht gesehen. Jan kommt nicht aus Berlin zu mir, um mich nicht zu gefährden.
Deine Ängste kann ich nachvollziehen. Es ist nicht gut, immer alleine zu sein. Miteinander reden löst keine Probleme, es kann aber sehr hilfreich sein.
Ich wünsche dir viel Kraft und viel Ruhe, und dass die Ängste dich nicht einschnüren.
piri ulbrich sagt:
Einschnüren ist das richtige Wort – tatsächlich schnürt die Einsamkeit den Brustkorb zu. Es tut mir so leid zu lesen, dass du deinen Enkel noch nie in den Arm nehmen konntest. Denn genau das ist es, was mich aufrecht erhält, dass ich die Junioren halten, knuddeln und liebkosen kann.
Stephanie Jaeckel sagt:
Ich habe gestern von einer Frau im Radio gehört, sie hat ihren Job verloren und eine Krebsdiagnose. Sie sagt: I don’t do fear. I have made my peace with uncertainty. Das ist doch bei Ängsten meist der Punkt: Wir wissen nicht, wie es ausgeht, und fürchten die schlimmste Variante. Wenn wir es so sehen, wird die Angst vielleicht schon kleiner. Je älter ich werde, desto weniger habe ich Lust auf Angst. Ich sehe sie fast nur noch als überflüssigste Zeitverschwendung! Aber so mutig bin ich natürlich auch nicht jeden Tag… – Einsamkeit, ich weiß nicht. Ist mir immer lieber als alles andere. Wenn Du Dich aber nicht traust, andere anzurufen, um einfach mal zu quatschen, oder zu fragen, warum sie nicht kommen und so: hm, ja, da kannst Du bestimmt noch was reißen. Man darf das nämlich. Vielleicht ist so ein Austausch in einer Angstgruppe oder auch in einer anderen Selbsthilfegruppe schon ein Schritt? Also, ich würde mir auf jeden Fall immer wieder Leute suchen, mit denen ich Gemeinsamkeiten habe. Das fängt ja übrigens schon bei den Nachbar/innen an. Es ist so wichtig, manchmal auch einfach nur zu hören, wie jemand anderes ein Problem löst, vor dem ich gerade stehe. Und das ist am Ende auch so lebendig. Du hast noch fast ein Viertel Jahr Zeit, um 2020 doch noch zu einem guten Jahr für Dich zu machen. Ich drücke fest die Daumen!
piri ulbrich sagt:
Das Jahr ist keinesfalls verloren. Allerdings kommt zu meiner Einsamkeit noch ein Quantum Schüchternheit dazu und kein Selbstvertrauen – aber es wird und manchmal ist die Angst selbst ein Hase!
Paula sagt:
Man kann auch telefonieren, wenn man sich schon nicht treffen kann! Wie wär’s mal wieder?
piri ulbrich sagt:
Machen wir – nur leider heute nicht. Die Junioren halten mich auf Trab.