Behinderung, Gedanken

so tun, als ob

Masking bedeutet, als autistischer Mensch so zu tun, als ob man neurotypisch wäre.

 Erst letztens habe ich wieder erfahren, dass es anstrengend ist, sich mit mir zu unterhalten  – sowohl für mich, als auch für mein Gegenüber. Eine Situation, in der ich Kritik geäußert habe, weil ich meine Junioren benachteiligt gesehen habe, hat sich, weil wir aneinander vorbei gesprochen haben, dermaßen hochgeschaukelt, dass ich nach dem Gespräch erst einmal völlig fertig war. Dabei habe ich erzählt, dass ich Asperger-Autistin bin. In wie weit mein Gegenüber das realisiert hat, weiß ich nicht, konnte es nicht einschätzen und auch das – mich unverstanden zu fühlen – hat mir enormen Stress bereitet. Dabei war dieser Mensch nicht einmal unwissend über Autismus. Ich habe mich einfach, wie ich es schon seit meine frühen Jugend kenne: Am seidenen Faden, von jemanden, den ich nicht kenne, mit zwei Finger haltend über einer tiefen schroffen Schlucht im Wind hängend, gefühlt! Vermutlich könnt ihr diese Metapher halbwegs nachempfinden. Oder ist das auch nur ein Bild, das ausschließlich in meinem Kopf herumgeistert?

Wenn ich in einem solchen Kontext stehe, dann fange ich an zu maskieren. Mein Vater sagte damals immer: Jetzt fängt sie an zu schauspielern! Im Nachhinein merke ich, dass er mich erkannt hatte. Nur ich wusste seinerzeit noch nichts von Autismus. Jetzt, da ich das Wissen habe, tue ich bei außenstehenden Menschen oft so, wie ich denke, dass sie es von mir erwarten. Das verbraucht eine Menge Ressourcen. Aber mich jedesmal erklären mag ich auch nicht. Denn manchmal, eigentlich oft, heißt es: Du bist doch intelligent genug. Reiß dich doch einfach mal zusammen!

Veröffentlicht von piri

✨ In Momenten, in denen ich an mir und meiner Arbeit zweifle und meine, nichts Gutes auf die Reihe zu bekommen, denke ich manchmal daran, mir kurz das, was ich schon geschafft habe, anzuschauen. Dann geht's wieder. ✨

15 Gedanken zu „so tun, als ob“

  1. Frau Lakritz sagt:

    Allles das, was du hier schreibst, verstehe ich – und ich habe dich noch nie als anstrengend empfunden. Deine Metapher mit dem seidenen Faden über der Schlucht hat mich zutiefst berührt. Weil ich dieses Gefühl auch kenne. Ich umarme dich aus der Ferne!

    1. piri sagt:

      Liebe Grüße in die Ferne!

  2. Myriade sagt:

    Hast du den Anspruch immer mit allen gleicher Meinung zu sein?

    1. piri sagt:

      Nein!

  3. karfunkelfee sagt:

    Das Gefühl am seidenen Faden überm Abgrund zu hängen, das was Du so genau treffend beschreibst, kenne ich ebenfalls. Das Gefühl einer Ohnmacht, das Verhalten einer fremden Erwartung anpassen zu müssen. Dein Vater hat Dich erkannt – auch in meiner Familie erkannte mich mein Vater besser als meine Mutter, die zu sehr mit sich selbst zu kämpfen hatte. Viele drehten sich schon von mir weg, weil ich ihnen zu „anstrengend“ war, weil mein Verhalten eben nicht das ist, was als „normal“ oder „neurotypisch“ von anderen angesehen wird. Wohltuend ist immer, wenn ein anderer die innere Drangsal eines Verstellenmüssens durchschaut und einfühlsam darauf reagiert. Leider ist Einfühlungsvermögen ein nicht allzu häufig bei anderen anzutreffendes Wiegengeschenk.

    1. piri sagt:

      Mein Vater hat mich zwar erkannt, forderte aber von mir, dass ich mich anpasse. Von seinem Sohn, der noch mehr Autist ist, als ich, hat er das nicht erwartet.

      1. Verwandlerin sagt:

        Ja auch das ist typisch, dass Jungs mehr „anstrengendes“ Verhalten zugestanden wird, dafür erfährt ihr Rollenspielraum traditionellerweise andere Einschränkungen: z.B. Starksein, Ernährerrolle, keine Schminke, keine Kleider usw.

      2. karfunkelfee sagt:

        Oftmals leider immer noch das Los so vieler Töchter und Frauen in Familien – es wird Fügsamkeit und Duldsamkeit von ihnen erwartet. Nicht nur von ihren Vätern.

        1. piri sagt:

          Fügsamkeit und Duldsamkeit wurde bei uns nicht erwartet – es war einfach nicht vorgesehen.

  4. Verwandlerin sagt:

    Kenne ich gut – und ich bin nicht mal Autistin, nur vllt etwas aus der Norm gefallen für bestimmte Leute. Ich bin ja Politiklehrerin und habe auch ein Semester Soziologie studiert und behaupte aufgrund der da gewonnenen Erkenntnisse mal, dass wir alle mehr oder weniger maskieren. Die Soziologie nennt das rollenkonformes Verhalten und sieht das als Basis für die Sozialisation, also der Eingliederung in die Gesellschaft. Und ja, es ist anstrengend!

    1. piri sagt:

      Natürlich sind die Grenzen fließend und in die Gesellschaft eingebunden sein, wollen wir doch alle.

      1. Verwandlerin sagt:

        Naja, mal mehr mal weniger. Bin nicht soooo der Fan von Eingebundensein…

        1. piri sagt:

          Doch, will ich schon. Allerdings möchte ich meine Eigenständigkeit sehr gerne behalten.

  5. Syntaxia sagt:

    Ein schwieriger Spagat, sich zu verhalten, wie man denkt, dass andere es erwarten und zu sein, wie man selbst ist! Mir gelingt es nicht, nicht einmal ansatzweise. Schon gar nicht das Zusammenreißen, darum geht es nicht. Es sind immer wieder Kompromisse, und oft genug sind sie faul und meine Bedürfnisse bleiben auf der Strecke – dann funktioniere ich und bin absolut erschöpft.
    So stelle ich mir das bei dir auch vor und finde es traurig, dass es offensichtlich keine Lösung gibt.

    Liebe Grüße,
    Syntaxia

    1. piri sagt:

      Es ist Arbeit, manchmal mehr, manchmal weniger anstrengend! Helfen würde mir und anderen, wenn man richtiges Interesse zeigt, dann ist das Miteinander auch für alle gut.

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