Habt ihr auch schon gemerkt, dass nicht mehr auf Balkonen geklatscht wird, dass Pflegekräfte wieder ganz normal ihren Dienst tun? Jetzt allerdings unter erschwerten Bedingungen, weil sie Verantwortung tragen und trotzdem nicht mehr Geld verdienen. Um eine Lanze zu brechen, muss ich etwas ausholen – bei mir ist ausholen nicht weit und es wird auch kein ellenlanger Beitrag. In den Wohnheimen der kognitiv eingeschränkten Menschen muss jetzt tagsüber immer ein Betreuer anwesend sein, weil die Bewohner nicht jede Woche arbeiten gehen können in die jeweiligen Werkstätten. Vor Corona war der Personalschlüssel schon grenzwertig. Wie er jetzt ist, könnt ihr euch ausrechnen. Manche Wohngruppen sind reine Verwahranstalten geworden. Aushäusige Aktivitäten fallen flach – niemand da, der mit zwei Rollstuhlfahrern allein etwas unternehmen kann. Ganz abgesehen, dass viele Veranstaltungen ausfallen. Im Altenheim werden Bewohner manchmal gar nicht erst aus den Betten geholt oder in ihren Zimmern gelassen. Okay, das war schon vor der Pandemie in manchen Heimen Usus. Aber über Altenheime kann ich nichts schreiben, wir kommen nicht mehr rein. Noch vor einem Jahr waren wir 14tägig dort und machten ein B’süchle. Spielten dort mit Frau E. und Herrn X. Tischkegeln. Carsten hat den Betrieb aufgemischt – es hat allen gefallen! Jetzt fallen auch da die Abwechslungen hintenrunter.
Zu Hochzeiten bzw. zu Anfangszeiten von Corona wurde gesehen, was Pflegende leisten – es wurde geklatscht. Ihre Arbeit wurde anerkannt. Es wurde von Lohnerhöhung gesprochen und dass die Leistung angemessen bezahlt werden muss. Was ist geschehen? Ihr wisst es selbst!
In den Anfangszeiten der Pandemie waren meine Junioren im Heim, ich konnte sie nicht versorgen, war selbst schwer krank und musste erst genesen. By the way: gesund bin ich noch lange nicht. Ich erreiche zirka 80 % meiner Leistung. Aber das ist eine andere Geschichte und tut hier nichts zur Sache. Während der Zeit habe ich nicht gesehen, was ablief in dem Heim. Carstens Hals und Rücken waren allerdings mit Candida befallen. Diese Pilzinfektion wurde, aus welchen Gründen auch immer, nicht ausreichend behandelt – wir laborieren bis dato damit herum. So etwas ist langwierig, aber im Anfangsstadium recht einfach zu behandeln. Ich habe also erst gemerkt, als ich meine Junioren nach Hause geholt habe, was in der Einrichtung nicht optimal lief. Die Menschen dort gaben, weiß Gott, ihr bestes und im Rahmen ihrer Möglichkeiten haben sie eine Superarbeit gemacht. Es wurde für sie geklatscht. Vom klatschen hatten sie aber weder mehr Freizeit noch Lohn.
Als Carsten und Wiebke endlich wieder Daheim waren, wurde das Klatschen schon weniger. Es war und ist mittlerweile selbstverständlich, dass die Angehörigen ihre behinderten Menschen adäquat pflegen und versorgen. Dass Helfer weggefallen und auch noch nicht wieder gekommen sind, dass Freizeiten ausfielen und Treffs und die Band nicht stattfanden, das alles ging zu kosten der pflegenden Angehörigen. Geklatscht wurde lange nicht mehr und für die Angehörigen? Wurde es das jemals?
Vom klatschen kann ich mir nichts kaufen, es dient lediglich der Wertschätzung – aber auch das fällt inzwischen flach. Alles Selbstverständlich!
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dergl sagt:
Die Angehörigen (auch gerade die behinderter Menschen), die die Pflege unter Corona-Bedingungen stemmen wurden schon die ganze Zeit vergessen. Ich meine, die kobinet-nachrichten hätten sogar erst kürzlich berichtet. Auf Twitter poppt auch immer mal wieder etwas auf, von Leuten, die mittlerweile auf dem Zahnfleisch gehen.
Das wird dich und vielleicht auch regelmäßig bei dir Lesende nicht überraschen: Meine Freunde aus dem Breisgau sind beides examinierte Pflegekräfte. Er in einem Krankenhaus, das zeitweise einen Teil einer oder eine ganze Station wegen Covid-Fällen im Personal schließen musste. Seine Frau: Monatelang ohne adaquate Ausrüstung in 24h-Schichten und auf der Onko sind die Leute hochvulnerabel, da ist vielleicht schon Essig, wenn man als Pfleger:in normales Halskratzen hat und Masken aus sind. Die sind ihren Aussagen nach zu Hochzeiten der Maskenknappheit acht bis zwölf Stunden mit derselben Einwegmaske im Einsatz gewesen und die Vorschrift lautet Wechsel nach 1,5 Stunden. Wer getestet wurde oder Verdachtsfall war sollte übrigens bis zum Auftreten von Symptomen weiterarbeiten. Bei den Zuständen ist das Klatschen „eine geklatscht bekommen“ (sagt man hier für geohrfeigt werden). Die Tafel Schokolade, die die zwei jeweils als Dank für ihren Einsatz vom Chef bekommen haben, ist genau so Hohn.
piri ulbrich sagt:
Danke, du sprichst mir aus der Seele – aber das weißt du. Dennoch …
christine b sagt:
mein gott, wie anstrengend ist das alles jetzt in diesen zeiten für pflegende angehörige, das tut einem in der seele weh! pflegende angehörige müssen jetzt absolut „funktionieren“, sonst bricht alles zusammen.
wie furchtbar muß dieses gefühl sein und es macht sicher große angst, wenn man weiß, dass es im heim einfach nicht optimal läuft- siehe candida ohne richtige behandlung bei carsten.
auch seehr alte leute, die zuhause den partner pflegen müssen können teilweise nicht mehr.
die besucher, freunde, enkel bleiben aus um die alten menschen nicht anzustecken und sie bleiben allein. physische und psychische kräfte sind am boden.
piri ulbrich sagt:
Das ist genau der Punkt – der Austausch fehlt. Physisch kann ich alles gut bewältigen, psychisch fällt es mir allein gelassen viel schwerer.