Fragen, Gedanken, Junioren

pinkeln, Angst und so viel mehr

Wie viel Freiheit gönnt ihr euch in diesen Tagen? Wie viel Begegnung ist dir möglich? Wenn du ganz ehrlich zu dir selbst bist: wie leichtsinnig bist du bereits geworden?

∙∙∙∙∙·▫▫▫▫ᵒᵒᵒᴼᴼ ᴼᴼᵒᵒᵒ▫▫▫▫∙∙∙∙∙·

Wir sind/ich bin sehr vorsichtig und dennoch ist die Sehnsucht groß – nach Begegnungen und Aktivitäten. War ich vorher schon sehr isoliert, so bin ich/sind wir es jetzt noch mehr. Zum Glück können die Junioren in die Werkstatt und sehen dort andere Gesichter. Ich mache das nicht, ich kann das auch nicht. Auch deswegen, weil ich mir das nicht zutraue. Außerdem habe ich die Kraft nicht dazu.

Seit einiger Zeit haben wir wieder (fast) täglich vollgepinkelte Betten – vielleicht ist das auch meiner Faulheit geschuldet, weil ich nicht nachts mein Töchting aufs Klo wuchten setzen möchte. Nachts möchte ich schlafen. Aber da ist sie wieder – diese diffuse Angst, diese nicht greifbare, die schwammige und immer wieder aus den Händen gleitende. Ich kann diese Angst nicht benennen. Es ist verdammt viel mehr. Trauer, eine Menge Beneiden – denn Neid im herkömmlichen Sinne ist es nicht, ich gönne allen ihren Urlaub – ich hätte nur selber auch gerne welchen. Ach, ich wiederhole mich. Aber wiederholt sich unser aller Leben nicht immer und immer wieder? So, wie ein Pinkelbett?

Nein – nichts Weiteres. Erstens gehts euch nichts an und zweitens will ich öffentlich nicht mehr so viel über meine Defizite schreiben und drittens ist es eh langweilig!

 

Behinderung, Familie, Gedanken, Junioren, Kuddelmuddel

denkste

Alles ist gut? Nee, nicht wirklich. Gut war der Start in den Tag – kein meckern und meutern, angespannte Vorfreude. Vorfreude? Die Junioren jedenfalls sind enthusiastisch in den Tag gestolpert. Ich hatte Bauchweh. Ich habe immer Bauchweh. Etwas so, wie andere Leute Rücken haben. Mein Muffensausen ist jedenfalls außerordentlich heftig. Ich weiß nicht, was passiert. In der Werkstatt passiert. Die Erzählungen der Junioren sind widersprüchlich – was kann ich glauben? Dass sie gut aufgehoben sind, weiß ich. Allerdings kotzt Carsten wieder und isst noch weniger.

Manche meiner Ängste sind sehr real, aber nicht alle sind greifbar. Mir hat heute mein Doc gesagt, dass ich immer noch krank bin, immer noch Lungenentzündung habe und dass mein Geist (so hat er es nicht gesagt) aber dass meine Psyche noch sehr hinterherhinkt und ich wieder einmal nicht, wie schon nach dem Tod meines Mannes die Zeit habe, das zu verarbeiten. Ich soll nur im Moment sehr aufpassen, dass ich nicht auch noch körperlich krank werde. Von meinem Knubel unterm Fuß und denen in den Handflächen habe ich nichts erzählt. Und das mit dem Haarausfall hatte ich während der Sprechzeit völlig verdrängt.

Carsten und Wiebke gehen in die Werkstatt – ein paar Stunden am Tag. Eine sehr willkommene Abwechslung und ich falle. Ich funktioniere wieder gut und an diese Bauchschmerzen, die keine körperlichen Ursachen haben, werde ich mich wohl auch noch gewöhnen.

Behinderung, Gedanken, Kuddelmuddel

Kopf sagt: Ja – Bauch sagt: Nein

Oder ist es umgekehrt? Der Kopf sagt, dass ich mich mehr zeigen, unter Menschen gehen soll. Der Bauch mit der Soziophobie sagt dazu entschieden Nein. Ich kann es nicht! Ich habe es heute morgen wieder versucht und bin gescheitert. Nicht auf der ganzen Linie. Aber den Schein zu wahren, die Fassade aufzubauen, die Maske vor fremden Menschen zu halten – das kostet Energie. Was hatte ich für eine Wahl? Einzig und allein die Option, dass ich den Gang zum Bürgerbüro verschiebe! Aber früher oder später hätte ich hingehen und den Personalausweis von Wiebke abholen müssen. Als taffe tapfere Frau mache ich das doch zwischen Baum und Borke. So sieht es aus! So selbstbewusst, so ganz starke Mutter zweier behinderter Kinder.

Einen Ausweis abholen, das kann doch jedes Kind – ich habe es ja auch gekonnt!

…und dann bin ich einkaufen gefahren! Nicht im Lebensmittelladen gleich neben dem Rathaus – nein, in den übernächsten Einkaufsmarkt, weil ich, aus dem Augenwinkel sah, dass eine Frau den Laden betrat und ich ihr nicht begegnen wollte. Da nahm ich doch lieber einen großen Umweg in Kauf, weil ich nicht mit der Bekannten reden wollte. Ich möchte über ein bestimmtes Thema nicht reden – da nehme ich lieber Reißaus, als mich dem zu stellen. Auch ein Asperger Thema! Manchmal kann ich mich dem stellen, aber wenn ich übervoll bin, dann passt nichts mehr rein, dann gehe ich den Weg des geringsten Widerstands und ziehe den imaginären Schwanz ein.

Je mehr ich ausweiche, je mehr ich mich verkrieche, umso mehr sehne ich mich nach Menschen. Völlig ambivalent und überhaupt nicht logisch. Kontraproduktiv und mir selbst im Raum stehend. Da weiß mein Kopf, dass ich präsent sein soll, einfach da sein, mich zeigen soll – und mein Bauch sucht unsicher das nächste, noch so kleine Loch, mich drin zu verkriechen.