Masking bedeutet, als autistischer Mensch so zu tun, als ob man neurotypisch wäre.
Erst letztens habe ich wieder erfahren, dass es anstrengend ist, sich mit mir zu unterhalten – sowohl für mich, als auch für mein Gegenüber. Eine Situation, in der ich Kritik geäußert habe, weil ich meine Junioren benachteiligt gesehen habe, hat sich, weil wir aneinander vorbei gesprochen haben, dermaßen hochgeschaukelt, dass ich nach dem Gespräch erst einmal völlig fertig war. Dabei habe ich erzählt, dass ich Asperger-Autistin bin. In wie weit mein Gegenüber das realisiert hat, weiß ich nicht, konnte es nicht einschätzen und auch das – mich unverstanden zu fühlen – hat mir enormen Stress bereitet. Dabei war dieser Mensch nicht einmal unwissend über Autismus. Ich habe mich einfach, wie ich es schon seit meine frühen Jugend kenne: Am seidenen Faden, von jemanden, den ich nicht kenne, mit zwei Finger haltend über einer tiefen schroffen Schlucht im Wind hängend, gefühlt! Vermutlich könnt ihr diese Metapher halbwegs nachempfinden. Oder ist das auch nur ein Bild, das ausschließlich in meinem Kopf herumgeistert?
Wenn ich in einem solchen Kontext stehe, dann fange ich an zu maskieren. Mein Vater sagte damals immer: Jetzt fängt sie an zu schauspielern! Im Nachhinein merke ich, dass er mich erkannt hatte. Nur ich wusste seinerzeit noch nichts von Autismus. Jetzt, da ich das Wissen habe, tue ich bei außenstehenden Menschen oft so, wie ich denke, dass sie es von mir erwarten. Das verbraucht eine Menge Ressourcen. Aber mich jedesmal erklären mag ich auch nicht. Denn manchmal, eigentlich oft, heißt es: Du bist doch intelligent genug. Reiß dich doch einfach mal zusammen!
7. Juni 2023 09:36 — 09:36
Allles das, was du hier schreibst, verstehe ich – und ich habe dich noch nie als anstrengend empfunden. Deine Metapher mit dem seidenen Faden über der Schlucht hat mich zutiefst berührt. Weil ich dieses Gefühl auch kenne. Ich umarme dich aus der Ferne!
7. Juni 2023 09:42 — 09:42
Liebe Grüße in die Ferne!
7. Juni 2023 09:41 — 09:41
Hast du den Anspruch immer mit allen gleicher Meinung zu sein?
7. Juni 2023 09:42 — 09:42
Nein!
7. Juni 2023 11:47 — 11:47
Das Gefühl am seidenen Faden überm Abgrund zu hängen, das was Du so genau treffend beschreibst, kenne ich ebenfalls. Das Gefühl einer Ohnmacht, das Verhalten einer fremden Erwartung anpassen zu müssen. Dein Vater hat Dich erkannt – auch in meiner Familie erkannte mich mein Vater besser als meine Mutter, die zu sehr mit sich selbst zu kämpfen hatte. Viele drehten sich schon von mir weg, weil ich ihnen zu „anstrengend“ war, weil mein Verhalten eben nicht das ist, was als „normal“ oder „neurotypisch“ von anderen angesehen wird. Wohltuend ist immer, wenn ein anderer die innere Drangsal eines Verstellenmüssens durchschaut und einfühlsam darauf reagiert. Leider ist Einfühlungsvermögen ein nicht allzu häufig bei anderen anzutreffendes Wiegengeschenk.
7. Juni 2023 11:57 — 11:57
Mein Vater hat mich zwar erkannt, forderte aber von mir, dass ich mich anpasse. Von seinem Sohn, der noch mehr Autist ist, als ich, hat er das nicht erwartet.
7. Juni 2023 12:34 — 12:34
Ja auch das ist typisch, dass Jungs mehr „anstrengendes“ Verhalten zugestanden wird, dafür erfährt ihr Rollenspielraum traditionellerweise andere Einschränkungen: z.B. Starksein, Ernährerrolle, keine Schminke, keine Kleider usw.
7. Juni 2023 14:22 — 14:22
Oftmals leider immer noch das Los so vieler Töchter und Frauen in Familien – es wird Fügsamkeit und Duldsamkeit von ihnen erwartet. Nicht nur von ihren Vätern.
7. Juni 2023 18:26 — 18:26
Fügsamkeit und Duldsamkeit wurde bei uns nicht erwartet – es war einfach nicht vorgesehen.
7. Juni 2023 12:31 — 12:31
Kenne ich gut – und ich bin nicht mal Autistin, nur vllt etwas aus der Norm gefallen für bestimmte Leute. Ich bin ja Politiklehrerin und habe auch ein Semester Soziologie studiert und behaupte aufgrund der da gewonnenen Erkenntnisse mal, dass wir alle mehr oder weniger maskieren. Die Soziologie nennt das rollenkonformes Verhalten und sieht das als Basis für die Sozialisation, also der Eingliederung in die Gesellschaft. Und ja, es ist anstrengend!
7. Juni 2023 12:54 — 12:54
Natürlich sind die Grenzen fließend und in die Gesellschaft eingebunden sein, wollen wir doch alle.
7. Juni 2023 13:27 — 13:27
Naja, mal mehr mal weniger. Bin nicht soooo der Fan von Eingebundensein…
7. Juni 2023 13:43 — 13:43
Doch, will ich schon. Allerdings möchte ich meine Eigenständigkeit sehr gerne behalten.
8. Juni 2023 13:29 — 13:29
Ein schwieriger Spagat, sich zu verhalten, wie man denkt, dass andere es erwarten und zu sein, wie man selbst ist! Mir gelingt es nicht, nicht einmal ansatzweise. Schon gar nicht das Zusammenreißen, darum geht es nicht. Es sind immer wieder Kompromisse, und oft genug sind sie faul und meine Bedürfnisse bleiben auf der Strecke – dann funktioniere ich und bin absolut erschöpft.
So stelle ich mir das bei dir auch vor und finde es traurig, dass es offensichtlich keine Lösung gibt.
Liebe Grüße,
Syntaxia
8. Juni 2023 14:13 — 14:13
Es ist Arbeit, manchmal mehr, manchmal weniger anstrengend! Helfen würde mir und anderen, wenn man richtiges Interesse zeigt, dann ist das Miteinander auch für alle gut.