Allgemein, Behinderung, Familie, Gedanken, Junioren

und wieder

Da habe ich den Kerle doch gefragt, ob er in der Freizeit gekotzt hat. „Nein Mama, das habe ich nicht!“

Da war ich gerade in der Stadt und halbnackt, als mein Handy diesen besonderen Ton klingelt. Bei diesem Zeichen klopft mein Herz immer ganz besonders. „Petra, kannst du kommen, Carsten hat gespuckt und klagt über Herzrasen!“ Ja bravo. Aber ich brauchte einen passenden BH. Mit dem ollen ausgeleierten Ding wollte ich nicht zur Beerdigung gehen – auch wenn man die Unterwäsche bestimmt nicht sehen wird und es auch nichts zur Sache gehört, was ich unterm Kleid anhabe. Allein mein Gefühl soll gut sein, ich möchte mich schön fühlen und mich gestärkt dem allen stellen. Da ich eine BH-Größe habe, die selten ist, dauert ein Dessouskauf immer etwas länger und ich hatte mich gerade ausgezogen. Die nette Verkäuferin und ich – wir waren gründlich. Entweder passte mir der BH nicht oder er gefiel mir nicht. Die Farbe war omma oder der Schnitt tunte. Wir haben was gefunden! Sexy, aber nicht so doll – gut sitzend, aber nicht zu fest, ein schickes Teil. Ich zeigˋs euch nicht!

Anschließend bin ich in die Lebenswerkstatt und habe mich furchtbar erschrocken. Der Kerle lag auf der Liege, wie ein Schluck Wasser in der Kurve. Kreidebleich, nein eher aschgrau und leidend, wie Christus am Kreuz. Jetzt sitzt Carsten frisch gewaschen vor mir auf dem Lammfell und spielt mit seinem Tablet. Wiebke ist auch schon daheim, sie hatte plötzlich sehr starke Kopfschmerzen und Bauchweh. Also habe ich sie kurzerhand gleich mitgenommen. Jetzt habe ich einen Kopf, wie eine Dampfmaschine und natürlich kein verträgliches Schmerzmittel mehr im Haus – ob ich mich wohl in die Badewanne verziehen kann?

Behinderung, Musik

Viel zu heiß

Bei uns gibt es heute Hitzefrei! Ich lasse die Junioren schlafen. Sage alle Termine ab und habe dennoch ein schlechtes Gewissen, weil ich gerne mit Beiden ans Wasser gehen möchte, aber keine geeignete Helferin habe.

Dieses Helferthema ist ein Horrorthema! Habe ich nicht auch noch andere Baustellen? Ich wünsche mir einen großen Baum, der Schatten wirft, liebe Menschen, die uns/mich nicht bevormunden und Zufriedenheit allerseits. Ich weiß, das ist utopisch – aber träumen darf man doch. Oder?

Behinderung, Junioren

Ausatmen – einatmen

…oder ist es umgekehrt? Erst einatmen und dann ausatmen? Momentan scheint mir das wirklich alles egal zu sein, Hauptsache atmen – irgendwie. Leben, eben!

„Es reicht. Jetzt reichts.“ Das soll ich mir sagen, sagt meine Psychologin. Zuerst soll ich es mir sagen. Zuallererst mir. „Denn Sie machen schon genug! Sie müssen nicht immer mit Volldampf fahren, müssen nicht immer 150% geben, 90% reichen auch!“ Ich glaube es nicht! Kann es nicht glauben – aber ich muss, sonst ist es irgendwann einmal vorbei mit dem Überlegen ein- oder auszuatmen!

Die Junioren sind in die Werkstatt gefahren. Beide! Auch Carsten und er geht gerne, er freut sich auf die Kumpel und seine Arbeitskolleggen. Ja, er freut sich auf die Arbeit – nur aufs Essen dort freut er sich nicht. Er muss dann essen, wenn alle essen und meistens essen alle anderen sehr viel schneller, als er und dann hat er schon keinen Appetit mehr. Wenn dann auch noch Druck von den Betreuern kommt und insistiert wird: „Carsten trink, Carsten iss!“, dann hat er keine Lust. Am besten wäre es, dass er griffbereit kleine Snacks stehen hätte und die er nach seinem Gusto essen könnte, wann er mag und kann. Da sind allerdings die anderen behinderten Mitarbeiter im Weg. Sie essen ihm das Essen weg! Sie sind behindert, sie nehmen, was sie kriegen können. Manche sind eh schon zu dick und sind auf Diät. Da sind kleine Snacks, die griffbereit stehen, ein willkommenes Futter – im wahrsten Sinne des Wortes!  … und Carsten ist manchmal sogar froh, dass das ungeliebte Essen verschwunden ist!

Einatmen – ausatmen. Zuhause ist es nicht anders. Wiebke isst Carsten – damit er nicht essen muss – die Banane auf. Nur, ich habe es unter Kontrolle, kann einen bzw. zwei Menschen beobachten und gegebenenfalls einschreiten. In der Werkstatt, im Förder- und Betreuungsbereich ist das nicht möglich. Außerdem sind Menschen, die ständig Hunger haben sehr erfinderisch, wenn es um Essenbeschaffung geht. Bonbons und Kekse sind schon lange nicht mehr in den Rucksäcken der Junioren. Allenfalls das Einwickelpapier bleibt drin.

Mir scheint, es gibt gerade einhundertdreiunddrölfzigtausend Baustellen. Nicht nur die, auf der keine hundert Meter von uns ein großes Lebensmittelgeschäft gebaut wird. Oder die, wo die elektrischen Oberleitungen vor unserer Haustür unter die Erde gelegt werden. Oder die, wo am Eck der Straße – hundert Meter in die andere Richtung – ein Winzer ein Restaurant mit Pension baut. Nein, auch auf dem Grundstück ums Haus herum ist alles aufgerissen. Ich weiß noch nicht, wie die Rollstühle da vorbei kommen können? Es muss ein Mäuerchen (!) und Natursteinstelen gesetzt werden. Dafür müssen aber die alten Palisaden raus, und diese sind einbetoniert! Unsere Terrasse werden wir für die nächsten drei Wochen wohl nicht nutzen können! Einatmen – ausatmen. Alles gut! Mein schöner Garten war einmal. Wildfremde Kerle trampeln durch mein Heim und wollen aufs Klo – und das mir, die sich eigentlich gerne zurückzieht und nun keinen Ort dazu mehr hat.

Es ist Sommer und alles wird gut und wenn es noch nicht gut ist, dann ist es noch nicht zu Ende!