Ihr Name ist ein Allerweltsname. Sie hätte gerne einen anderen gehabt. Ihre Eltern waren in der Beziehung fantasielos. Sie hatte alles, alles außer einem herzlichen Elternhaus. Ich hatte meine Oma, die mich von Zeit zu Zeit in den Arm nahm. Sie hatte einen Hund. Den hat sie sich eines Tage einfach aus dem Tierheim geholt. Ihr Vater konnte nicht Nein sagen. Auch er sehnte sich nach Wärme. Unsere Väter waren Geschäftspartner gewesen, bevor meiner das Malergeschäft ganz aufgab und endlich Lehrer wurde. Der Vater meiner Freundin war Elektriker, war ein Kleinstunternehmer mit einem angestellten Gesellen. Das Geld, das unbestritten vorhanden war, hatte die Mutter meiner Freundin von ihrer Mutter geerbt. Darauf bestand sie, dass das Geld von der Großmutter war. Der Vater war ein Niemand, ein Emporkömmling, der gerade mal Handwerker geworden ist. Meister seines Fachs und ein fleißiger obendrein. Er war nur nie daheim. Auch die Mutter nicht. Sie machte das Büro! Was immer das auch heißen mochte.
Wir Mädchen hatten beide keine rechte Bleibe. Ich durfte/musste/sollte meine kleine Schwester beaufsichtigen – meine Freundin fand das toll – sie hatte keine Geschwister und ein leeres voll gestelltes Haus mit viel Schnickschnack, das hätte kaputtgehen können und dann gab es Ärger. Gemeinsam haben wir nicht viel gemacht. Gemacht haben wir überhaupt kaum etwas. Gelesen, ja und uns im Buchladen herumgetrieben. Ich hatte kein Geld für Bücher, sie hatte es. Auch deswegen war sie meine Freundin. Ich durfte ihre Bücher mitlesen. Durfte/musste das lesen, was sie interessant fand. Griechische Geschichte und das antike Rom ist mir heute noch ein Gräuel. Aber Lolita hat mich als 11-Jährige erschreckt und auch verstört. Für meine Freundin war es ein Spaß mir diese Art Literatur nahezubringen.
… und oft hatte ich meine kleine Schwester im Schlepptau.
Reni E. sagt:
Das mit dem Schlepptau kenne ich. Bei mir waren es 2 jüngere Geschwister.
Schönen Sonntag wünscht dir
Reni
piri sagt:
Nicht immer leicht und es war eine große Verantwortung! Liebe Grüße zurück.
dergl sagt:
Danke, dass du das erzählst. So wird es wohl für einige gewesen sein, die als Kind aus Mehr-Geschwister-Familie mit einem Einzelkind befreundet waren.
Ich weiß gar nicht, ob es in der Zechensiedlung, in der meine Mutter aufgewachsen ist Einzelkinder gab. Meine Tante väterlicherseits (die ist glaube ich auch so alt wie du und meine Mutter) war in erster Ehe mit einem Mann, der Einzelkind war verheiratet. Vielleicht war das damals tatsächlich etwas, das mit Schichten zu tun hatte, mein Vater und seine Schwester waren ja auch „Unternehmerkinder“. Wären sie es im Ruhrgebiet gewesen hätten die vermutlich kein Wort mit den „Dreckspatzen“ von den Bergleuten gesprochen.
Dass „Lolita“ dich mit 11 verstört hat kann ich nachvollziehen. Gleichzeitig auch, dass es für deine Freundin einen gewissen Reiz hatte, weil es nicht nur das Gegenteil von Kinderbuch ist (was verboten ist hat immer einen Reiz), sondern auch mit teils impliziten-expliziten spielt und viele Lesende es das dann, insbesondere als es später kommerzialisiert wurde quasi als „Liebesgeschichte“ wahrgenommen haben und das sollte es ja nicht sein. Da hat sich der Autor ja später auch zu geäußert, dass das Buch von vielen ganz anders gelesen wurde, als er intendiert hatte.
Frau Frogg sagt:
„Lolita“ als Elfjährige! Ich würde mal sagen, das ist der Beweis dafür, dass da niemand so recht auf Eure Lektüre geachtet hat. Das Buch habe ich mit 24 gelesen und erinnere mich noch heute: verstörend und fesselnd und moralisch hochproblematisch.
piri sagt:
Hat keiner kontrolliert!
freiedenkerin sagt:
Als Elfjährige hätte mich Lolita auch zutiefst verstört. Ich glaube, ich war schon hoch in den Dreißigern, als ich dieses Buch gelesen habe, und auch da war es für mich noch ziemlich starker Tobak.
piri sagt:
Ich habe es nicht noch einmal gelesen und vermutlich habe ich nur einen Bruchteil dessen verstanden, von dem ganzen. Ich habe ja noch nicht einmal gewusst, worum es überhaupt ging!