Gedicht

Zeit

    Ich muß endlich begreifen
    daß ich Zeit habe.
    Zeit für den Vogel auf der Brüstung
    der mit mir redet, im Auftrag.
    Zeit für den Lampenfuß
    in dem sich das Erdenlicht spiegelt.
    Zeit für die Katze auf blauem Samt
    in kleinstem Format an der Wand
    von Almut gemalt, als beide noch lebten.
    Auch für das Schaf mit den schwarzen Ohren
    den schielenden Augen, dem schiefen Maul und dem
    durstigen Mund. Indianisch, ganz einfach, instruktiv.
    Vermissen werde ich’s im kommenden Jahrhundert.
    Ich habe noch nicht ein stillschweigendes Wort
    mit der getrockneten Rose gewechselt, woher und wohin denn.
    Und das Kalenderbuch in schwarzem Leder
    mit der goldenen Jahreszahl
    klafft elegant auseinander, um mich ein- und auszulassen.
    Lernen, Zeit zu haben.
    Lernen, daß es zu spät ist.

    Elisabeth Borchers

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Unruhig bin ich, so sehr, dass ich knirschend meine Arbeit mache. Jetzt bin ich zerknirscht – habe mir einen Schneidezahn zerbröselt durch mein ständiges zusammenpressen. Das, was momentan um mich herum passiert, mit uns geschieht, dass sich Menschen melden, die mir weh getan haben und ich nicht weiß, wie ich damit umgehen soll – das macht mich kirre. Bringt mich aus dem, sowieso schon schwankenden, Gleichgewicht. Einfach so tun als sei nichts vorgefallen kann ich nicht, aber nachtragend mag ich auch nicht sein – ich befürworte eine langsame vorsichtige Wiederannäherung. Von mir wird keiner erwarten, dass ich gleich allen wieder um den Hals falle. Meine Stacheln sind ausgefahren, auch deswegen, um den Abstand zu halten, den ich notwendigerweise noch brauche.

Morgen lasse ich mir mein Äußeres richten (beim Zahnarzt) – die innere Ordnung wieder herzustellen, dauert länger …

Behinderung, Familie, Gedanken, Junioren

Wecker

Von irgendwoher tönt eine Glocke. Nicht Bimbam oder Klong-Klong oder ein hektisches Bimmeln, nein ein wohltuendes sanftes Läuten. Fast ist es ein Lied, das in mir singt. Es macht mir Mut, ich trage etwas in mir, dass raus muss – familientechnisch gesehen!

Denn schwerer als alles Ausgesprochene wiegt manchmal das Ungesagte. Der Augenblick, in dem etwas Bestimmtes zu sagen wäre und den man dann verstreichen lässt, aus Angst oder Zögern, und dann ist er um und kommt niemals wieder. Gewiss gibt es Ungesagtes, das besser ungesagt bleibt: Unbedachtes, verletzendes, das nichts zum Guten verwandelt, sondern zerstört. Diese Art Ungesagtes wiegt nicht schwer, sondern wird leichter  und leichter im Herzen dessen, der es für sich behält. Anders die andere Art Ungesagtes. Ungesagtes, das die Kraft besäße, in Sekundenkürze ein ganzes Leben zu verändern oder doch zumindest  den Tag dessen, dem die Worte gelten. Worte, die gesagt sein wollen, seien es unangenehme oder angenehme.

Wer den Mut aufbringt, sie auszusprechen, dem gehört das Leben voll und ganz. Ich möchte, das mir das Leben gehört und so habe ich heute Morgen  – nach dem sanften Wecken – an meine Familienangehörigen geschrieben und um Unterstützung bei einem großen Familienfest gebeten. Mal sehen, wer sich meldet?

Behinderung, Familie, Gedanken, Kuddelmuddel

dieses Wochenende

Dieses Wochenende hatte es in sich.

Bei den kleinwüchsigen Menschen sind wir angekommen und waren sofort wieder dabei. Natürlich haben diese ganz andere Probleme, als wir mit unserer zusätzlichen geistigen Behinderung. Aber menschlich sind wir weich gefallen. Es war, als ob wir nicht 10 Jahre nicht gekommen waren. Carsten hat sich an den Kindern orientiert, Wiebke hat beobachtet – aus der sicheren Entfernung heraus und deswegen ist sie auch nicht auf dem Gruppenbild dabei – ich habe mich unterhalten, mit Müttern, Vätern, Großmüttern und Großvätern … Wir haben den ‚alten‘ Landjugendpfarrer wieder getroffen und viele haben sich an den Witz von Carsten erinnert. Neue Eltern habe ich gesprochen, andere hatten Scheu, Kinder haben geweint, als sie Carsten sahen. Wir haben geturnt, gelacht, ein bisschen geweint um die schon toten und uns gefreut über kommende Babys. Da Wetter war eher bescheiden – völlig egal.

Dass ich nicht schlafen konnte, lag auch daran, dass mir so viel durch den Kopf geisterte, wir spät ins Bett gegangen sind und ich ausgepowert war. Nicht einmal von der Pflege der Junioren, sondern eher davon, weil Carsten das gesamte Wochenende nur ein Schälchen Müsli gegessen hat und ich Sorge hatte, dass er unterzuckert. Wiebke hat vergessen zu trinken – so musste ich ständig an Essen und Trinken erinnern und mahnen, was gar nicht gut ankam, aber dringend, zwingend notwendig war. Leider können beide Junioren nicht abschätzen, wenn sie nicht essen und trinken, was das für ihr Leben bedeutet.

Wir werden wieder nach Pappenheim fahren, im Spätherbst und dann erde ich ein bisschen Verantwortung abgeben – an einen, der sich auch jetzt schon angeboten hat und der dann die Junioren auch ein Stückchen besser kennt.

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Der BUGA-Auftritt war genial. Um das zu schildern bräuchte ich die Musik, aber da sind rechtliche Gründe dagegen. Auch die vielen Bilder kann ich euch leider nicht zeigen. Eventuell Wiebke und Carsten in Aktion, doch dazu muss ich die Fotos bearbeiten und die Junioren auch erst einmal fragen. Am besten ist, ihr hört euch die bunten Mützen einmal live und in Farbe selber an. Die Stimmung ist jedenfalls gigantisch und Wiebke wäre fast umgekippt, so hat sie hinterm Schlagzeug agiert. Carsten, die große ‚Rampensau‘ war völlig in seinem Element. Er hat es genossen auf der großen Bühne zu stehen und hat die Menschen davor verzaubert…

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Am Abend hatten wir dann noch Besuch und dieser Besuch hat mich zu Tränen gerührt! Daraus entspinnt sich vielleicht eine Freundschaft für Carsten.

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… und meine Schwester werde ich etwas warten lassen. Ich springe nicht mehr gleich, wenn’s Prinzesschen schreit – auch wenn sie noch so löbliche Gründe hat – die alten Narben sind immer wieder aufgerissen und ich bin nicht der Depp, der Pflaster klebt, je nach Belieben mancher Kommandierer.