Das ewig gleiche Thema:
Vorsicht, ich möchte nicht, dass dieser Beitrag als jammern aufgefasst wird. Ich möchte auch nicht, dass es so aussieht, als ob ich überzogene Ansprüche habe. Ich möchte auch nicht, dass uns gesagt wird, dass wir doch schon sehr viel machen und damit zufrieden sein sollten. Ich werde jetzt hier ungeschönt schreiben. Denn moralisch abwägen und diplomatisch sein, ist hier nicht. Außerdem wird es ein Betrag sein, der immer wieder ergänzt wird, weil ich tatsächlich viel zu emotional involviert bin, als dass ich einen komplett sachlichen Bericht schreiben kann. Es ist mein Thema und ganz bestimmt hier falsch. Es geht um soziale Isolation! Es ist nicht nur mein Thema, es betrifft einen Großteil der pflegenden Angehörigen. Einfach zu sagen, dass die Angehörigen sich doch zusammenschließen könnten, wäre zu kurz gegriffen. In meinem/unseren Fall passt das nicht so ganz – es passt auch in der Regel nicht so gut. Denn Behinderung ist nicht gleich Behinderung und auch unter behinderten Menschen gibt es »sotte un sotte«! Diverse Foren im Internet ersetzen auch nicht das direkte Gegenüber. Zumal es die Behinderung der Junioren äußerst selten gibt und ich mich nicht ausschließlich über medizinische Belange unterhalten möchte. Auch das, natürlich – aber nicht nur.
Es ist schwierig für uns spontan zu sein, alles muss geplant werden und wenn ich einmal wirklich aus dem Impuls heraus etwas unternehmen möchte, dann habe ich keine Helfer*innen. Oder wenn eine Aktion, die durchdacht ist, von den Junioren aus verschiedensten Gründen boykottiert wird und ich dadurch die Helfer*innen enttäusche und mein Plan B mangels Unmöglichkeiten derer nicht zu machen ist, dann habe ich erstens Frust und zweitens ein schlechtes Gewissen den Junioren und den Helfer*innen gegenüber – weil ja etwas anderes geplant war. Mich nervt dieses durchgetaktet sein.
Während ich schreibe, laufen mir Tränen die Wange herunter und ich sehe die Tastatur nicht mehr. Cut
Als Kind hatten wir in unserer Nachbarschaft eine Dame wohnen, sie war sehr viel alleine. Ihre Kinder hatten Freunde – sie hatte ihre pflegebedürftige Mutter. Als diese nicht mehr lebte, ist die Nachbarschaftsdame jeden Tag in die Stadt gefahren und hat eingekauft. Egal was. Sie hatte das Geld und auch den Platz den Krempel unterzustellen. Den Platz für Krempel hätte ich, beim Geld würde es schon schwieriger werden, aber ich will mir gar nicht Aufmerksamkeiten in Form von Konsum einkaufen wollen. Aber genau wie die Dame, deren Mann übrigens eine gesellschaftliche Stellung hatte, bei der er seine Frau nicht dabeihaben wollte, bin ich sozial abgehängt. Mir fehlt es nicht an Zeit. Aber ich habe dann Zeit, wenn andere keine Zeit haben und ich habe keine Zeit Veranstaltungen zu besuchen, die mich interessieren, weil diese oft abends stattfinden und ich das mangels flexibler Helfer*innen nicht machen kann. Ganz abgesehen davon, dass ich mir das alleine gar nicht zutrauen würde.
…und jetzt weiß ich nicht wie ich euch vermitteln kann, wie komplex und verfahren unser Familiengefüge ist. Vielleicht kann das nur jemand nachempfinden, der in der gleichen oder ähnlichen Situation steckt. Mein Ansinnen hier auf dem Blog ist aufzuzeigen, dass manches nur Fassade ist und ich (aber auch alle anderen Menschen) nach außen etwas darstellen, was sie möglicherweise gar nicht sind.
Dieser Beitrag wird vermutlich – ich weiß es jetzt noch nicht – durch weitere Seiten nach und nach erweitert werden und bedenkt bitte, dass ich aus dem Bauch heraus schreibe, mit vielen Emotionen und garantiert nicht Polical Correctness.
Gudrun sagt:
Nein, als Jammern fasse ich deinen Beitrag nicht auf, eher als Ausdruck einer tiefen Traurigkeit. Du musst so vieles unter einen Hut bringen, was manchmal nicht darunter zu bekommen ist. Eigentlich ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass irgendjemand am Ende enttäuscht ist.
Wie stellst du dir das vor, wie dir geholfen werden kann?
Schwierig ist es. Du wohnst alleine in einem Haus. Stimmt schon, da wo viele zusammen sind, passt auch nicht immer alles, aber irgendwie finden sich doch Gleichgesinnte. Man muss sich aber drauf einlassen können.
Ich wünsche dir sehr, dass du Hilfe bekommen kannst und dass Einsamkeit kein Thema für dich ist.
Grüße zu dir in den Süden.
piri sagt:
Wie ich mir das vorstelle, dass mir geholfen werden kann? Indem ich mich verstanden fühle und nicht alleingelassen werde.
Gudrun sagt:
Schreib darüber, immer wieder. Und vielleicht entstehen so die Anregungen für neue Ideen.
M. - K. sagt:
Ich habe Dich gelesen, piri.
Erst die erste Seite und jetzt grad eben die beiden anderen.
Einsamkeit ist ein großes Thema.
Das Feld der pflegenden Angehörigen auch.
Dass es schwer sei, bei Dir zu lesen.. Hmm. Es wird ja niemand dazu gezwungen, denke ich bei mir. Ich lese gerne. Manchmal kann ich etwas Satz sagen, manchmal bleibt es bei einem Gruß und an anderer Stelle habe ich Dich gelesen, aber schreibe nichts.
Ich schicke Dir liebe Grüße, bei uns ist es sehr windig heute, auf der Terrasse fällt einiges um, dafür war die heutige Ernte sehr erquicklich.
piri sagt:
Danke für deine Kommentare. Ich bin für jeden Kommentar dankbar, merke ich doch dadurch, dass ich gesehen werde.
Verwandlerin sagt:
Meine Sorgen will auch keiner haben… Ich übrigens auch nicht…
Manche Situationen sind halt beschissen. Nichtsdestotrotz empfinde ich trotzdem große Lebensfreude mitunter, so wie du hoffentlich auch.
Ich werde übrigens eine Antrag für einen Schwerbehindertenausweis für meine Tochter stellen, geht bei anhaltenden psychischen Problemen auch. Und sie hat dann besseren Schutz auf dem Arbeitsmarkt, im Rentensystem usw.
LG Marion
piri sagt:
Mach das mit dem Behindertenausweis – es steht ihr zu und niemand hat gesagt, dass das Leben nur Spaß ist!
Verwandlerin sagt:
Ja!
monsieurquirit sagt:
Die Komplexität deiner Situation sieht man /sehe ich schon, wenn ich deine Beiträge lese, aber ich erlebe das so natürlich nicht. Meine eigene Behinderung kam spät, so dass ich den Zustand davor wider besseres Wissen anstrebe, aber wo ist die Grenze, wenn man sie ständig ein wenig verschiebt?
Ich denke, auch du verschiebst die Grenze zum Unmachbaren und zum Unerträglichen, bis dir die Kräfte ausgehen, aber erst spät. Unter Aspergern gibt es große Unterschiede, aber du bist sozial kompatibel, die Einschränkungen kommen durch deine Verantwortung für deine großen Kinder. Deine Kraft sollte dich stolz machen, aber gegen Einsamkeit hilft sie auch nicht.
piri sagt:
Ich bin stolz drauf. Mehr kann/will ich im Moment dazu nicht sagen.
Nora sagt:
Natürlich wirst du gesehen. Das siehst du doch auch in den Zugriffszahlen. Aber es gibt einfach viele stille Leser wie mich, die entweder gerade genauso den Kopf tief in den eigenen schweren Paketen vergraben haben wie ich oder zu dem Thema gerade einfach nichts Passendes beizutragen haben. Klar, dass es dir so vorkommt, als schriebest du ins schwarze Nichts hinein, aber das ist nicht so. Wir sitzen alle im selben Boot und rudern wie wild. Oft erkenne ich mich in deinen Texten und nicke vor mich hin. Das mit der Einsamkeit ist ein großes Thema der Gesellschaft. Es betrifft nicht nur Pflegende, deren Zeitfenster beschränkt sind, es betrifft auch Menschen, die tagsüber in Unternehmen arbeiten, die zwar Kollegen haben, aber nur oberflächlichen Austausch, Menschen, die keine Kinder haben, denn sehr viel spielt sich in der Gesellschaft über Kontakte der Kinder ab, alte Menschen, die zwar gerne geliebt werden wollen, die aber irgendwie nicht mehr offen genug dafür sein können, Menschen, deren Fundament im Leben durch den Tod von geliebten Angehörigen weggebrochen ist, und und und. Man steckt meist in seinem eigenen „Fall“ fest, aber um einen herum ist noch so viel anderes Leid.
piri sagt:
Bin unterwegs und sage erst einmal Dankeschön für deinen guten kritischen Kommentar. Antwort kommt später.
Margrit sagt:
Das finde ich toll beschrieben, Nora, klar und einfühlsam ganz verschiedene Gründe für und Lebenssituationen von Einsamkeit.
Bei mir ist es das Leben mit der geliebten Person, die aufgrund ihres Alters nach und nach Sprache und andere kognitive Fähigkeiten verliert und so nicht mehr die Partnerin von einst sein kann. Die der Lieblingsmensch bleibt, aber manchmal ist mir nach Weinen.
Ich lese noch nicht lange hier, aber den Satz „oft erkenne ich mich in deinen Texten und nicke vor mich hin“ unterschreibe ich unbedingt, liebe piri.
piri sagt:
Danke Margrit, du hast mir auch einen ebenso wichtigen Kommentar geschrieben. Ich lasse Nora ihren jetzt einmal von mir unkommentiert so stehen.
Margrit sagt:
Ich lese hier von einer klugen Frau, hellwach, sensibel, poetisch träumend, manchmal leichtherzig, manchmal traurig wie das Leben. In einer verrückt schwierigen Lage, mit zwei bemerkenswert „anderen“ Kindern, die sie voll fordern. Eine Situation über so lange Zeit, die ich mir kaum vorstellen kann. Ich fühle aber kein Anderssein und ganz bestimmt nichts Monströses!!
piri sagt:
Jetzt werde ich ganz rot und sage auch herzlichen Dank für diesen Kommentar.