Behinderung, Gedanken

Druck

Guten Morgen, ich friere, mir ist kalt. Den Junioren zum Glück im Moment nicht, denn hier ist heute Feiertag Allerheiligen und sie liegen noch kuschelig warm im Bett. Ich habe jetzt die Heizung angemacht, aber genau deswegen habe ich ein schlechtes Gewissen. Darf ich wirklich das Gas verballern, kann ich es mir überhaupt leisten? Von überall höre ich: „Wir haben noch keine Heizung an!“ Das kann ich nicht machen, denn der Kerle ist dünn und mein Töchting hat Durchblutungsstörungen in den Füßen – diese sind sogar im Sommer kalt. Allein, dass sie nicht krank werden, muss es warm sein. Da hilft es auch nicht noch mehr anzuziehen, denn dann können sie sich nicht mehr bewegen. Funktionskleidung gibt es in diesen kleinen Größen nicht und einmummeln in Decken engt ein. Bleibt nur die teure Umweltsünde: heizen!

Ich friere. Auch deswegen, weil mir diese Ausgrenzung Angst macht. Ich überlege, ob sie zum Treff fahren, denn dort ist es nicht warm. Ich überlege, ob ich die Junioren ins Nachbardorf zum Jugendtreff bringe, denn dort wird noch nicht geheizt und die Türen stehen sperrangelweit offen. Die Teilhabe am Leben ist eingeschränkt, sehr sogar. Wem kalt ist, nimmt man auch ein bisschen die Lebensqualität – mich setzt die Verantwortung für die Junioren und die der Finanzen der Familie unter Druck. Es ist nicht so, dass ich es nicht bezahlen kann, aber der gesellschaftliche Druck ist dennoch enorm. Wir wollen keine Umweltschweine sein, wollen unsere Solidarität mit den Schwachen zeigen. Aber wie weit kann und will ich mich, und was noch mehr wiegt, die Junioren kasteien?

Kuddelmuddelgedankenchaos & ein Link, der nur am Rande etwas damit zu tun hat.

Veröffentlicht von piri

✨ In Momenten, in denen ich an mir und meiner Arbeit zweifle und meine, nichts Gutes auf die Reihe zu bekommen, denke ich manchmal daran, mir kurz das, was ich schon geschafft habe, anzuschauen. Dann geht's wieder. ✨

6 Gedanken zu „Druck“

  1. dergl sagt:

    Ich verstehe deine Gedanken schon irgendwie. Ich habe momentan das Glück, dass mir noch eine Wärmflasche die Füße beweglich bekommt und wir hier sonst gerade noch 20-22° haben. Aber ich lese es von vielen, die aus gesundheitlichen Gründen heizen müssen, man bekommt entweder den Stempel „unsolidarische Umweltsau“, die Unterstellung, man müsse ja unglaublich in Geld schwimmen, wenn man jetzt schon „ballern lässt“ – hiesiger Sprachgebrauch – oder eben, das kommt vermutlich am nähesten an deine Gedanken zum Treff heran, dass man sich dann doch zu Hause unter zig Decken vergraben soll, nur für die behinderte oder kranke Person würde man den Aufwand nicht machen. Es scheint also mal wieder eine der Mehrheit irgendwie willkommene Form von „Behinderte raus!“ oder je nachdem schlimmer „Die kosten nur Geld!“ zu sein, die da bei eingen Einzug gehalten hat und das macht natürlich was mit den Betroffenen. Ist ja nicht so, dass man unbedingt alles heizen wollte oder Plastikhalme/eingeschweistes vor geschnittenes Obst und Gemüse etc. brauchen wollte, man kann halt nicht anders. Das will aber niemand sehen.

    1. piri sagt:

      Mir bleibt keine Wahl – ich muss heizen, sonst werden die Junioren krank.

      1. dergl sagt:

        Ja eben, aber das wollen die Leute halt nicht sehen. Die sehen nur, dass du heizt und nicht, dass man das bei euch anders bewerten muss, als bei Leuten, die nicht so schnell frieren. (M. sitzt auch schon mit Steppjacke und gefütterten Straßenschuhen in der Wohnung, weil sie so rasch auskühlt, ihren Mitbewohnern ist es noch zu warm.)

      2. Christel sagt:

        Das sehe ich genauso und es ist auch wichtig zu heizen wenn du selber keine Möglichkeit hast warm zu werden.
        Auch du musst gesund bleiben.

  2. C Stern sagt:

    Liebe Petra,
    ich kann Deine Gedanken sehr gut nachvollziehen – und sie gehen mir ans Herz.
    Es gibt Ausnahmen, die gemacht werden müssen und wo Menschen kein schlechtes Gewissen haben sollen! Diese Ausnahmen gelten aus meiner Sicht auch für Menschen in Altersheimen, diese gelten für alle, die Wärme aus gesundheitlichen Gründen brauchen. Und ich denke, das wird jeder Mensch verstehen!
    Auf einem anderen Blatt steht die Frage nach den Kosten. Es ist bitter, sehr bitter, wenn wir uns das Heizen nicht mehr leisten können!
    Es ist traurig, wenn Menschen am Leben nicht teilhaben können, weil es aus den von Dir genannten Gründen schwierig ist, sogar der Gesundheit schaden kann.
    Liebe Grüße und ein möglichst angenehm verbrachtes Allerheiligen,
    C Stern

  3. karfunkelfee sagt:

    Bei meinen Eltern ist es auch warm und sie heizen – meine schwache Mutter braucht es. Noch begegnete mir niemand, der dies nicht versteht. Ich kann nur als eine Stimme sprechen, doch ich friere gerne etwas mehr, damit die, die aus gesundheitlichen Gründen Wärme brauchen, sie auch bekommen. Außer mir wird es viele geben, die gerade auch genau so denken wie ich. Darum bleibt die Heizung auch aus in meiner Wohnwabe (solange keine Eiszapfen an meiner Nase wachsen). Die Wärme der vergangenen Tage lässt mich das zwar (noch) leicht sagen. Doch ich meine es auch so.
    Liebe Grüße zu Dir, (mit tiefblauen Worten)
    Amélie

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