Behinderung

Was grausam

…oder: haut drauf!

Oder denkt euch euren Teil – ich mag grad nicht konform sein und ständig Kompromisse machen. Ich möchte mich auch nicht immer unterordnen und Dinge tun, die ich für andere mache! Gut, oft ist es unumgänglich – besonders dann, wenn ich mit den Junioren unterwegs bin. Und sich einer Gruppe unterzuordnen ist per se ja auch erst einmal keine Schande und dient der Gemeinschaft und einem friedlichen Miteinander. Aber mich komplett verleugnen, um dabei zu sein, nein, das will ich nicht mehr.

Gestern habe ich – der Tag war im Gesamtfazit gut – ein Experiment gemacht. Ich weiß, es ist etwas perfide, aber mir war danach, als wir zum wer weiß wievielten Mal warten mussten; ich erzählte den Mitwartenden in einem ernsten Ton einen offensichtlichen Schmarrn, den Carsten sofort durchschaute. Mein Sohn hat mich total perplex angeguckt, ich habe ihm vermittelt, dass er den Blödsinn nicht aufdecken sollte. Ich wollte einfach die Begleiter testen – mir war so danach. Natürlich ist es unschön und schon gar nicht fein, aber wenn der Helfer, den ich anfrage, einfach noch andere Leute mitschleift und einer von denen zu einem Tagesausflug kein Geld, nichts zu trinken oder zu essen mitnimmt, dann darf mich das doch nerven, wenn dieser voraussetzt, dass ich die Zeche und den Eintritt bezahle! Und, wenn der sich dann auch noch nicht einmal bedankt …

Wiebke hat Carsten den Becher Cola aus der Hand geschlagen, sein T-Shirt war getränkt mit dem süßen Zeug – verständlich, dass er da zornig und ungehalten war. Ich war es auch! Wiebke habe ich ausgeschimpft. Und dann kommt eine Passantin und gafft, schüttelt ihr Haupt und eschauffiert sich über mein Verhalten, dass ich meine Tochter (ein behindertes Kind!) gemaßregelt habe, zetert und stiert, statt einfach weiterzugehen oder zu helfen. Wir sind doch keine Zootiere! Ein bisschen bin ich mir so vorgekommen. Es waren viele Menschen unterwegs und wir haben eben auch viel gesessen und gewartet – auf die Frau, die jede Bank ausprobiert hat, weil sie nicht laufen konnte. Aber warum ist sie mitgekommen, wenn sie doch – oder ihr Bruder, der unser akquirierter Helfer war – wusste, dass wir auf einen Baumwipfelpfad wollten?

Versteht mich nicht falsch, der Tag war schlussendlich schön. Aber es gab so viele Dinge zu bedenken, Sachen zu klären, auszuhalten, Streit zwischen den Geschwistern zu schlichten, Carsten zu waschen (auf einem winzigen Klo), Wiebke in einem winzigen Klo drauf zu setzen, Carsten im Auto zu wickeln – ohne ausreichende Hilfe, außer der tollen Schiebehelferin.

Ich glaube, ich kann es hier gar nicht vermitteln, was es für eine Arbeit ist mit zwei behinderten Menschen zu wohnen und am Leben teilhaben zu wollen. Die körperliche Arbeit ist nachrangig – sicherlich nicht zu unterschätzen und auch schwer. Viel schwerer wiegt aber, dass ich und andere Behinderte immer gegen Vorurteile ankämpfen müssen und besonders angepasst sein sollen. Nicht auffallen scheint die Devise zu sein und damit seine eigenen Bedürfnissen hinten anzustellen!

Veröffentlicht von piri

In Momenten, in denen ich an mir und meiner Arbeit zweifle und meine, nichts Gutes auf die Reihe zu bekommen, denke ich manchmal daran, mir kurz das, was ich schon geschafft habe, anzuschauen. Dann geht's wieder. ☀️ ❤️ Viel lieber als Likes, sind mir Kommentare herzlich willkommen.

8 Gedanken zu „Was grausam“

  1. Manuela sagt:

    Nein Petra, bei den Beispielen, die du aufzählst, darfst du mit Recht verärgert sein und dir Luft machen. Ich würde den Helfer, der seine Schwester mitschleppte, wahrscheinlich um ihr auch etwas Gutes zu tun, zur Rede stellen. Er sollte für eure Familie da sein. Und wenn ihr ein Ziel habt, dann auch dieses helfen zu erreichen. Dafür wird er bezahlt. Und wenn er sie ungebeten und wahrscheinlich auch ungefragt mitnimmt, dann hat er auch finanziell beizutragen. Du musst dich vor niemandem klein machen. Es ist dein Recht, dass du einforderst. Und nur, wenn du es auch an die betreffenden Personen adressierst, ansprichst, wissen sie um ihre Fehler.

    1. piri ulbrich sagt:

      Das Fatale an der Situation ist, dass er kein Geld will und ich somit im Prinzip kein Recht habe – er aber ungefragt Menschen mit sich herumschleppt, die mir/uns im Weg stehen. Ich mag diesen Menschen sehr gerne – ich denke, er wird nicht kommen, wenn er seine anderen Kontakte vernachlässigen muss. Er denkt, man könnte es vereinbaren. Ich mag diese Schwester auch sehr gerne und zu anderen Gelegenheiten habe ich auch nichts dagegen, wenn wir gemeinsam etwas unternehmen. Nur gestern (und bei anderen größeren Unternehmungen) war mir das alles eher Last!

      Aber ich kann das nicht vermitteln, weil ich dann wieder Angst habe, alleine zu stehen!

  2. dörte sagt:

    Was Manuela schreibt: „Und nur, wenn du es auch an die betreffenden Personen adressierst, ansprichst, wissen sie um ihre Fehler“ kann ich auch nur unterstützen.
    Vielleicht ist es Dir möglich, es so wie hier, es in schriftlicher Form zu tun. Darin bist Du doch bewandert. Einen Versuch wäre es doch wert.

    1. piri ulbrich sagt:

      Genau – ich muss es versuchen!

  3. Barbara sagt:

    Du hast jedes Recht. Nur, weil Du Hilfe brauchst, bedeutet das nicht, dass Du mit allem einverstanden sein musst.
    Und dass Du Deine Junioren auch einmal scharf kritisierst, ist richtig so. Im Grunde zeigst Du doch, dass Du sie ernst nimmst und das muss auch so sein. Und sie brauchen Deinen Schutz.
    Der einzige Nachteil ist natürlich, dass es generell schon wenig Hilfe gibt.

    1. piri ulbrich sagt:

      Dieses, darauf angewiesen sein, auf die wenigen Helfer, macht es tatsächlich sehr, sehr schwer Rechte einzufordern, die mir eigentlich zustehen.

  4. Paula sagt:

    Ich würde es nicht „Rechte einfordern“ nennen, sondern eher „klare Ansagen“. Der Helfer, der mal eben so seine Schwester mitbringt, aber kein Geld annehmen will, hilft Dir nicht zu Deinen Bedingungen, sondern macht einen Familienausflug draus. Auf solche „Hilfe“ würde ich verzichten und dann eben nicht zum Baumwipfelpfad fahren.

    1. piri ulbrich sagt:

      Das ist ja nun vorbei. Größere Ausflüge werden wir in Zukunft – das habe ich gelernt – mit klaren Absprachen bezüglich der Hilfe machen.

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