Behinderung, Bücher, Gedanken, Junioren, Musik

Überlastung

… klingt nicht so professionell wie Overload. Es ist aber das deutsche Wort dafür. Mein Filterungsvermögen ist verstopft – schon eine Weile. Mir scheint, alles stürmt gleichzeitig auf mich ein.

Überlastung bezeichnet eine exogene Reizüberflutung, welche bei autistischen Menschen auftreten kann. Dabei wird das Individuum von zu vielen sensorischen Reizen gleichzeitig überflutet. Ursachen können beispielsweise geräuschvolle Umgebungen, grelles Licht, intensive Gerüche oder ungewohnte Berührungen sein. Aber auch neue, unbekannte Umgebungen oder Situationen werden mit all ihren Details wahrgenommen, was schnell zu Überforderung führen kann. Deswegen bevorzugen Autistinnen und Autisten das Bekannte und mögen Veränderungen nicht.

Manchmal wird die empfundene Intensität oder Menge der Reize von den Betroffenen als so überfordernd wahrgenommen, dass diese den Reizen ausweichen wollen. Dies kann einen Meltdown oder Shutdown als Nachwirkung haben.

Jetzt, habe ich gehört, ändert sich auch die Betreuungssituation der Junioren tagsüber. Gleich mehrere Mitarbeiter*innen bekommen eine Chance etwas komplett neues auf die Beine zu stellen – ich gönne es ihnen von Herzen. Allerdings wird das momentane gute System völlig auseinandergerissen und es steht noch nicht fest, wie es in der alten Gruppe weitergeht. Mich hat das aus den Puschen gehauen und mein Töchting wird’s das auch tun. Wir beide sind entweder schon mittendrin im Meltdown und das darf und kann kein Dauerzustand sein. Das geht an die Substanz.

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Was schönes gibt es aber auch zu erzählen. Auch wenn ich für mich gerade nur leichte Kost lese, so lese ich dem Kerle Bücher vor, die wunderbar philosophisch sind. Samsons Reise hat zwar irre lange Kapitel, aber es ist ein poetisch erzähltes Abenteuer, das uns sehr berührt hat.

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14:25 Uhr am Vormittag habe ich der Bandkollegin von den Junioren geholfen Kleinmöbel umzuziehen – vom dritten Stock mit Rundtreppe in den dritten Stock mit normalem Treppenhaus. Mein Rücken jubiliert, aber die Bekannte kann gar nicht, weil sie Ischiasschmerzen hat. Nebenbei erfahre ich, dass der Auftritt am Samstag kurzfristig gecancelt ist! Und dann erreicht mich ein schrecklicher Anruf; eine langjährige (43 Jahre lang – fast eine Ewigkeit) Münchner Freundin – zugegeben, wir hatte die letzten 10 Jahre keinen Kontakt – ist plötzlich gestorben! Menno, ist das ein Tag. Es ist erst halb drei. Was passiert denn noch?

Den Junioren muss ich schonend beibringen, dass ihr heißersehnter Gig in die Hose gegangen ist. Die Enttäuschung wird groß sein …

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18:56 Uhr – Erstaunlich gelassen haben der Kerle und das Töchting die Nachricht aufgenommen. Natürlich sind sie traurig, hat die Band doch über ein halbes Jahr Songs  geprobt und perfektioniert. 

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Ich weiß, dass Überlastung kein Alleinstellungsmerkmal von Menschen im Autismus-Spektrum ist. Ich weiß nicht, wie andere Menschen auf Überlastung reagieren, höre nur immer wieder von, zum Beispiel der Bandkollegin, dass sie das bis zum Abend wegstecken kann und die Dinge nacheinander angeht. Ich kann das nicht! Mich beschäftig immer alles gleichzeitig. Der Tod der Münchner Freundin mischt sich mit der Enttäuschung der Junioren und dem abgesagten Gig. Gleichzeitig schwirrt der Gedanke ans Abendessen und was gebe ich dem Töchting zu trinken – Wasser mag sie nicht und Apfelsaft verträgt sie nicht, Cola ist zu warm und auch zu süß, Milch mit Kakao ist fast eine Mahlzeit, der Orangensaft ist umgekippt und Tee müsste ich erst kochen. Nebenbei möchte der Kerle auch trinken, aber selbstverständlich nur Cola oder eventuell Spezi, aber bitte nicht pisswarm und aus einem Glas, das er auch halten kann. Zeitgleich kommt der Gedanke, dass im Keller ja die Waschmaschine ausgeräumt werden muss. Wiebke redet von einer Seite auf mich ein und Carsten von der anderen – beide fordern, dass ich ihre Themen ernst nehme und dann muss ich aufs Klo. Mein Handy pingt und die Wunschtochter möchte wissen, ob sie schnell mal vorbeikommen kann, um ihr Hochzeitskleid fotografieren zu lassen – es muss aber auch an manchen Stellen noch geändert werden. Alles gleichzeitig im Kopf. Ich versuche zu sortieren und finde den Anfang nicht. Alles mit gleicher Priorität. Alles möchte ich perfekt machen. Sofort. Dauerbelastung!

Außerdem habe ich so gar keine Lust verglichen zu werden – auch wenn es als Trost gemeint ist! 

Alltag, Behinderung, Familie, Gedanken, Junioren

egal

Diese Broschüre lag bei uns im Briefkasten. Ich brauch sie nicht, denn Broschüren helfen nicht und die Verteiler auch nicht – sie wissen um uns und diese Gemeinschaft macht eine gute Jugendarbeit! Egal ist es nicht, nur uns nutzt es auch nicht.

Glaube, Liebe, Hoffnung. Meine Liebe ist grenzenlos, die Hoffnung auch, allein mir fehlt‘s  am Glaube. Ganz besonders an dem zur Amtskirche. Als mir unser Pfarrer einmal sagte, als ich ihn um Hilfe bat, dass er sich keine hilfsbereiten Menschen aus den Rippen schnitzen kann, da habe ich einen Großteil meines Glaubens verloren. Und unsere Nachbarin von Gegenüber, die sich immer ganz blitzschnell wegdreht, wenn wir kommen, rennt jeden Sonntag in die Kirche um dort den Gottesdienst mitzugestalten. 

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Zu unserem Ausflug: Es war schön! Sehr schön. Schön stressig, schön kühl, sehr interessant – für den Kerle am meisten die KZ-Gedenkstätte. Aber auch das Bergwerk war für die Junioren ein guter Ausflug. Bilder habe ich wieder keine gemacht und müde bin ich jetzt! Aber schön war es und gut, dass wir uns getraut haben.

Behinderung, Gedanken, Junioren, Musik

Dinge tun

… um andere nicht tun zu müssen.

Vermeidungsverhalten entwickeln, nennt man das wohl. Ich bin Meisterin darin! Dabei liegt es mir sehr fern. Weiß ich doch, dass genau das meine Ängste schürt. Dies Wochenende ist noch völlig unverplant, aber die nächste Woche ist zugekleistert mit Terminen. Mir ist soeben klargeworden, dass das, im wahrsten Sinne des Wortes hirnrissig ist. Aber es sind Aktivitäten, die jedes als solches, wunderbar sind und bei denen ich/wir wichtige Kontakte knüpfen können.

Wieder einmal häuft es sich und dann ist auf einmal neuerlich totaler Leerlauf. Ein bisschen mehr Kontinuität täte mir gut – tut doch auch euch und jedem gut!? 

10:26 Uhr – eine wunderbare Aktivität ist gerade wie ein trockenes Wespennest zerstoben. Genau an dem Tag, an dem die Sommerserenade stattfindet, haben die Junioren Generalprobe für ihr eigenes Konzert!