Behinderung, Gedanken, Junioren

kein Anspruch

 … auf alleiniges Schicksal und Leid! Ich will hier kein schneller, höher, weiter in Punkto wer hat es am schwersten getroffen, veranstalten. Jeder Schicksalsschlag ist dramatisch für den, der ihn erleidet. Bitte seht meine Schilderung nicht als Sensation. Das ist es nämlich nicht. Es ist Leben. Meins, das des Kerle und exemplarisch auch das von pflegenden Angehörigen.

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Essen ist, also seit ich an meinen Sohn denken kann, ein heikles Thema.  Die körperliche Behinderung, das mit der offenen Blase hatte ich sehr bald im Griff und das ist, bis heute, kein großes Problem. Das Leben lief plätschernd vor sich hin. MamS forcierte seine Karriere, war aber immer dann da, wenn ich ihn brauchte.

Ein fröhliches Kind war Carsten immer, auch als er knapp 2jährig in Bremerhaven in einer Orthopädischen Klinik war. Alleine! Ich habe Ausbildung gemacht. Er hatte eine Betreuerin: Frau Rosenbaum, sie war wunderbar. Sie sprach mit Carsten, las ihm vor und erfand Wörter. Braunkohlenförderband oder Lohnsteuerjahresausgleich waren nach ihrem Namen und Auto, Papa und Mama Carstens erste Worte. Er war im wahrsten Sinne des Wortes ans Bett gefesselt. Seine Beine steckten im Streckverband damit beide Hüften eingerenkt werden sollten. Hat nicht viel gebracht, weil keine ausgebildeten Hüftpfannen vorhanden sind. Stattdessen hatte er bis dato schon diverse Knochenbrüche und beim krabbeln ist er einmal so aufs Kinn gefallen, dass er sich die Zähne ausgeschlagen hat. Zusätzlich zum Kieferbruch. 

Bei einem Spaziergang in der Stadt, sprach mich ein Obdachloser an, nachdem ich ihm ein bisschen Geld gab: „Der kleine Mann, geht er auch in den Kindergarten, da wo ich immer schlafe?“ Das musste ich wissen, wo er immer schläft – und dann hat er‘s mir erzählt. In einem Nebenzimmer eines Sonderpädagogischen Kindergarten war eine Notunterkunft für Penner, wie er es nannte. Ich bin gleich dorthin. Niemand von irgendeiner Behörde oder Lebenshilfe hat mir das damals gesagt. Carsten konnte dort zur Förderung gehen, Krankengymnastik machen und stundenweise betreut werden. 

Oh menno, mich nehmen die Erinnerungen mit. Ich will und kann nicht alles erzählen. Ein Buch wird nicht geschrieben …

Behinderung, Gedanken, Junioren

2500 g

Zweitausendfünfhundert Gramm – manche Babies kommen mit sehr viel mehr Gewicht zur Welt, einige Babies brauchen dafür sehr lange. Ich kenne welche, die hatten ein Geburtsgewicht von 760 g und haben sich gemacht! Allen Müttern, die Sorgen haben, gebührt mein Mitgefühl und ganz ehrlich freut es mich – wenn es auch paradox klingt – dass hier im Blog andere Frauen ein bisschen von ihren Sorgen erzählt haben. Herzlichen Dank dafür! Ich würde so gerne jeden einzelnen Kommentar beantworten, aber ich kann emotional nicht – leider!

Also, der Kerle sollte erst mit 2500 g aus der Kinderklinik entlassen werden. Wenn das tatsächlich geschehen wäre, hätte ich mein Kind irgendwann im Herbst heim holen können. Mit ‚Gedeihstörungen‘ ist er auf die Welt gekommen. Das zieht sich bis heute hin. Täglich habe ich Muttermilch abgepumpt, ich kam mir vor, wie eine Melkkuh mit dieser elektrischen Pumpe, täglich habe ich diese nahrhafte Milch per Kühlbox in die Säuglingsstation geschafft – nicht nur für Carsten, auch andere Babies haben profitiert. Denn mein Baby hat nicht getrunken! Der Aufenthalt zog sich hin. Es wurde Februar, ich hatte Geburtstag, es wurde wärmer, Frühling, wir zogen um in eine größere Wohnung vor die Stadt. MamS begann sich auf die Meisterprüfung vorzubereiten – er war viel zu oft auf Schulungen und schon damals war ich einsam. Ich erkundigte mich nach einer anderen Berufsausbildung. 

Anfang Mai, oder war es vier Wochen früher, das erinnere ich nicht mehr so genau, habe ich gestreikt, habe mich mit dem Oberarzt verabredet und meinen Sohn nach Hause geholt. Ohne, dass mir auch nur eine Schwester oder eine Ärztin gesagt hat, wie ich die offenen Bauchwand versorgen soll. Alle waren überfordert. So etwas wie Frühe Hilfen gab es damals noch nicht, keine Hebamme ist zu uns gekommen. Ich bin 20jährig mit einem schwerstmehrfachbehinderten Kind allein gelassen worden. Meine Mutter war jünger, als es Carsten heute ist, die anderen Großeltern waren weit weg und außerordentlich betroffen! Für 20ml Säuglingsnahrung brauchte mein Baby eine Stunde. Auch nachts! Extra für Fütterzwecke besorgte ich mir einen wunderschönen orangefarbenen Ohrensessel in den ich mich hineinkuscheln konnte …

Behinderung, Gedanken, Junioren

erzählen

So nun erzähle ich ein bisschen was wie es weiterging mit Carsten und überhaupt.
Der Kerle ist nach seiner Geburt sofort in die Kinderklinik gekommen. Ich musste damals 8 Tage in der Geburtsklinik bleiben. 8 lange Tage! MamS (Mann an meiner Seite – bitte merkt euch das. Stammleser kennen diese Abkürzung.), also MamS ist sofort ins Kinderkrankenhaus, um sein Kind zu sehen und dort haben die Ärzte ihm gesagt, dass das Neugeborene vermutlich ein Junge ist, aber kaum Überlebenschancen hat. Carsten war nur ca. 14 Tage zu früh geboren, normal groß und auch nicht extrem leicht. Er hatte, und hat sie noch, die Blase auf der Bauchdecke liegend. Das hat die Ärzt*innen vermutlich sehr verwirrt, weil sie es noch nie gesehen haben. Carsten wurde steril, eingepackt, isoliert und rundum versorgt. Aber ohne uns, ohne mich! Das Neugeborene in der nahen medizinischen Hochschule vorzustellen, ist Ihnen anscheinend nicht eingefallen. Auch wir Eltern haben nicht daran gedacht. Wir waren ja noch so jung, denn dann hätten wir eine lange Odyssee nicht machen müssen.

Als ich endlich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, bin ich täglich zu meinem Kind gegangen und durfte es dennoch nicht anfassen, durfte Carsten lediglich auf einem Laubengang stehend von außen begutachten. Noch heute bekomme ich einen Zorn. Eigentlich bekomme ich erst heute diesen Zorn, damals war ich nur traurig. Ich war Mutter und doch keine Mutter. Hilfe hatte ich auch damals keine, mit einem Arzt sprechen konnte ich auch damals nicht, diese waren genauso überfordert wie wir Eltern. Aber einen Vorwurf muss ich ihnen machen. Sie hätten sich erkundigen können, was eine Blasenekstrophie ist. stattdessen haben sie sich darauf kapriziert, dass das Kind 2500 g Gewicht haben sollte.

Entschuldigt, ich kann nicht weiterschreiben …