Heute vor einhundert Jahren hat eine wunderbare Frau ihren zweiten Sohn zur Welt gebracht. Diese Frau war meine Oma!
Welche Zeit es damals war; 1925 am 13. Mai, weiß ich nicht – es hat mir niemand erzählt und ich habe auch nie danach gefragt. Aus dem Geschichtsunterricht weiß ich, es war keine leichte. Hitler ist im April gegen eine Gebühr von 7,50 Schilling aus der österreichischen Staatsbürgerschaft entlassen worden und wurde Deutscher. Mein Opa, hatte frisch eine Stelle als Dorflehrer in Ostfriesland angetreten und meine Oma war einsam. Das weiß ich, das hat sie mir erzählt.
Wann die kleine Familie wieder zurück in die Stadt an der Weser gezogen ist – keine Ahnung, jedenfalls erzählte mein Vater von einer schönen Kindheit in Hameln. Irgendwie muss ein Teil der Familie verblendet gewesen sein; mein Großonkel war ein überzeugter Nazi und Großbauer, später dann Bürgermeister auf dem Dorf. Zum Teil haben meine Großeltern profitiert, dass sie Lebensmittel günstig von der Dorfverwandtschaft bekommen konnten. So erlitten sie in den schwierigen Zeiten keine Not. Bildung war wichtig und ich erinnere mich, dass die Meyers-Lexikonreihe Lieblingsbücher meines Vaters waren. Ein Spruch von ihm, der heute gültiger denn je ist: Man muss nicht alles wissen, man muss nur wissen, wo es steht!, ist mir nachhaltig eingebläut worden und inzwischen auch meine Devise.
Früh wurde mein Vater, nach dem Notabitur zur Waffen-SS eingezogen und er musste zum kämpfen nach Russland. Zeit seines Lebens hatte er darüber Alpträume. Nachts weinte und schrie er im Schlaf. Darüber gesprochen hat er nicht! Auch nicht erwähnt, dass er sehr spät aus Sibirien aus Kriegsgefangenschaft nach Hause kam.
Er, der Künstler wurde Maler und Tapezierer. Nicht gerne, wo er doch vorher in der Schweiz bei Johannes Itten Kunst studiert hat.
Einschub: sowohl mein Opa, als auch mein Vater waren Sozis der ersten Stunde – dies zur Rehabilitation.
Meine Eltern haben sich in Zürich kennengelernt und da sie eine Familie mit vielen Kindern haben wollten, musste mein Vater einen Handwerksberuf erlernen. Er führte sogar einige Zeit, als Meister einen eigenen Betrieb. Mehr schlecht als recht. Er wollte auch, wenn er schon kein Kunstschaffender werden konnte, Lehrer sein. Also studierte er nebenbei. Er wurde, als Quereinsteiger, ein, von seinen Schüler*innen, geliebter und verehrter Lehrer.
Cut: heute wäre er 100 Jahre alt geworden. Ich vermisse ihn immer noch sehr!
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Kuddelmuddelgedankenchaos, sehr schnell dahin geschrieben und emotional behaftet.
13. Mai 2025 09:13 — 9:13
Das ist ein sehr schönes Gedenken.
Und er hatte großes Glück dabei.
Sehr schön, wenn man mit seinen Großeltern zusammen sein kann.
Und heute ist zu sehen, wie schnell man in Krieg verwickelt sein kann, den man nicht will, dem man aber auch kaum entfliehen kann.
13. Mai 2025 20:34 — 20:34
Na ja, das mit dem Glück möchte ich anzweifeln. Aber ich liebe meinen Vati und schon deswegen wollte ich ihm gedenken.
13. Mai 2025 09:31 — 9:31
Magst Du mehr schreiben?
13. Mai 2025 20:34 — 20:34
Mal gucken!
13. Mai 2025 09:41 — 9:41
Sehr, sehr durchwachsenes wildes Ahnenleben, hervorstechend die Liebe zu den Künsten und dem Wissen an sich …
13. Mai 2025 20:34 — 20:34
Mein Vater war ein Künstler, leider nicht sehr erfolgreich!
13. Mai 2025 11:34 — 11:34
Ein schöner Beitrag ist das. Wir sollten viel mehr erzählen von solchen Menschen und Begebenheiten. Das sagt manchmal mehr als jedes Geschichtsbuch.
Meine Mutter wollte immer Schneiderin werden. Zur Ausbildung hätte sie eine eigene Nähmaschine mitbringen müssen, Die Familie war sehr arm und eine Nähmaschine war nicht drin. Sie wurde dann Hutmacherin und zwar eine Gute. Das Nähen und Schneidern hat sie sich dann selbst beigebracht.
Es ist gut, dass unsere Eltern ihren Weg gefunden haben, egal, wie viele Steine ihnen im Weg lagen.
Liebe Grüße zu dir ins Dörflein.
13. Mai 2025 20:36 — 20:36
Den Weg gefunden haben sie alle, manche mussten stolpern und manche sind kutschiert worden.
13. Mai 2025 23:33 — 23:33
100 Jahre schon!
99 bei meinem Vater. Dritter Sohn. Auch Flakhelfer, Notabitur, dreieinhalb Jahre Kriegsgefangener in Sibirien.
Gerne gelesen. Die Liebe zu deinem Vater ist sehr spürbar.
14. Mai 2025 06:51 — 6:51
Ein bewegendes Zeugnis von Geschichte, Erinnerungen und Herz. Und ein Vater, der seine Bestimmung gefunden hat. Danke, dass du uns an diesem Leben teilhaben lässt.
14. Mai 2025 10:20 — 10:20
Ich kann nicht sagen, wie ich damals gehandelt hätte. Das Trauma, das dein Papa in sich trug spricht dafür, dass seine Begeisterung wohl schnell umschlug. So wird es auch heute noch sein. Ich bin froh, dass ich schon so alt bin, dass ich wohl nicht mehr in den Krieg ziehen muss. Das mag egoistisch sein, aber so ist es. Ändern können wir alle nichts daran wie es kommen wird.