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Warum ich noch nie

Warum ich noch nie einen toten Menschen gesehen habe, liegt auch daran, dass ich ein bisschen feige bin. Es liegt aber auch daran, dass die Toten in meiner Familie in weiter Entfernung gestorben sind, oder ich war zu jung. Meine Oma wollte nicht, dass ihre Enkel sie tot sahen und das haben wir respektiert. Mein Vater, meine Mutter, meine Schwiegereltern, die Schwager – alle waren weit weg und es ergab sich nicht die Gelegenheit. Ich hätte mich auch nicht drum gerissen. Bei meinem Mann war es ganz anders. Schockstarre. Der Arzt der mir die Botschaft sehr lapidar am Handy meines Mannes mitteilte – hätten wir keine Rufumleitung vom Festnetz auf sein Handy gemacht, hätte ich vom Tod erst erfahren…, ach lassen wir die Spekulation! Jedenfalls war dieser Arzt nicht sehr einfühlsam und als ich fragte: „Soll ich ins Krankenhaus kommen?“, meinte er: „Es hat doch sowieso keinen Zweck mehr!“

Keine zwei Stunden später wurde der Leichnam meines Mannes ins Gerichtsmedizinische Institut der Med-Hochschule Hannover überführt und ich hatte, nachdem sich mein Schock gelegt hat, gar keine Gelegenheit mehr, MamS zu sehen. Nach Hause gekommen ist er als Asche in einem Päckchen vom DPD. Eine richtige Verabschiedung gab es nicht. Schön war das nicht. Lange Zeit erwartete ich ihn. Hätte ein letztes Mal sehen mir den Abschied leichter gemacht? Keine Ahnung.

Veröffentlicht von piri

✨ In Momenten, in denen ich an mir und meiner Arbeit zweifle und meine, nichts Gutes auf die Reihe zu bekommen, denke ich manchmal daran, mir kurz das, was ich schon geschafft habe, anzuschauen. Dann geht's wieder. ✨

14 Gedanken zu „Warum ich noch nie“

  1. roswitha sagt:

    das ist eine schlimme erfahrung, ich hätte hinterher den arzt gesucht und ihm gesagt, das er empathielos besser woanders arbeiten sollte, anstatt mit menschen umzugehen. aber ich verstehe auch, warum du dich nicht wehren konntest, deshalb bin ich dafür, dass sich jeder/jede wehrt, der/die es kann, damit lernprozesse bei solchen menschen angestossen werden.

    1. piri sagt:

      Die Schockstarre war so groß, dass ich dem Arzt gar nichts mehr gesagt habe – nur aufgelegt!

  2. Gerel sagt:

    Ich sah mein totes Kind. Es war noch warm. Meine Kinderärztin war dabei. Sie erbot sich, meine Mutter zu informieren. – Als Jörn-Iven im Sarg lag, habe ich ihm Alpenveilchen mitgegeben und seine gefalteten Hände dafür gelöst. es war kein schöner Anblick, die Schädelöffnung war nur notdürftig mit einem weißen Pflasterstreifen verklebt. – So einen Anblick wünscht man niemanden. Furchtbar!!!

    1. piri sagt:

      Meine größte Angst ist, meine Kinder zu beerdigen.

  3. C Stern sagt:

    Ich habe zu diesem Thema ein eintägiges Seminar besucht, weil mir vor solchen Entscheidungen ebenfalls graut. Hier wurde uns eindringlich mitgegeben, dass es wichtig sei, sich von einem toten Menschen zu verabschieden, die ÄrztInnen und BestatterInnen seien heutzutage wesentlich besser ausgebildet, könnten einfühlsamer auf Hinterbliebene eingehen. Um zu begreifen, braucht es angeblich diesen letzten Anblick. Ich glaube, das muss jede*r für sich entscheiden.
    Ich konnte lange nicht einmal auf Friedhöfe gehen, jetzt ist mir das wieder möglich, allerdings habe ich die Gräber meiner Verwandten schon sehr lange nicht mehr besucht.
    Ich sehe sie noch in so vielen schönen Situationen vor mir …

    1. piri sagt:

      Auf Friedhöfe gehe ich schon lange nicht mehr, mein Mann ist dort nicht! Er ist immer um uns herum, so wie alle unsere Toten. Dass wir alle endlich sind, ist mir klar – ich hät‘s nur gerne auch im wahrsten Sinn des Wortes begriffen!

    2. Conny sagt:

      Der Tod ist für mich allgegenwärtig. Ich arbeite seit vielen Jahren in der stationären Altenpflege.
      Es ist nicht immer einfach, aber man lernt damit, und auch mit der Sterbebegleitung, umzugehen.
      Es ist etwas auf was man sich einlassen kann. Natürlich wissen wir, dass wir den beruflichen Abstand haben.
      Aber Abschied nehmen ist gut – auch im privaten Rahmen.
      Liebe Grüße

      1. piri sagt:

        Das weiß ich schon, aber dennoch kann man mir die Angst nicht nehmen. Der Tod ist der Höhepunkt des Lebens, aber wie Mascha Kaléko in ihrem Gedicht: Memento  schreibt. Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang, doch mit dem Tod der andren muss ich leben.

        Ich konnte nicht Adieu sagen und hab‘s lange nicht begriffen, dass mein Mann wirklich tot ist.

        1. Conny sagt:

          Das Ihnen nicht die Möglichkeit des Abschiednehmens von Ihrem Mann gegeben wurde ist wirklich nicht vertretbar.
          Meiner Erfahrung nach nach dürfte das wenigstens die Situation damals etwas „nachvollziehbarer“ gemacht haben – schade, dass es noch immer Kollegen gibt die situativ eine solche Sichtweise haben.

          1. Margrit sagt:

            Danke, liebe piri, für deinen offenen Bericht. Ich muss sagen, dass er mich ziemlich schockt. Kann verstehen, dass alle auch die Profis überfordert waren in der Situation. Trotzdem hätte ich ein dermaßen unprofessionelles und dir gegenüber unverantwortliches Vorgehen nicht für möglich gehalten, ist schliesslich nicht in der psychologischen Steinzeit passiert.

  4. mona lisa sagt:

    Ich habe schon als Kind Tote gesehen, weil man mich als Bote mit Blumen zu einer Adresse geschickt hat, die sich dann als Leichenhalle herausgestellt hat.
    Es war so kühl und ruhig dort.
    Ich versuche immer, mich – spätestens – am offenen Sarg zu verabschieden.
    Das ist mir ein Bedürfnis, das ich nicht erklären kann.

    1. piri sagt:

      Einen offenen Sarg gab es nicht – für mich ist das unbekannt und alles Unbekannte macht mir Stress.

  5. christine b sagt:

    wie schlimm muß es doch sein, wenn man sich von einem lieben menschen nicht mehr verabschieden kann.
    wie schwer ist es dann, es in den kopf zu kriegen, dass er tot ist.

    eine bekannte mama hat ihre 19 jährige tochter nach einem autounfall die ganze nacht danach gestreichelt, mit ihr gesprochen, ihr die stofftiere von daheim mitgebracht. muß eine furchtbare nacht gewesen sein, aber am morgen war sie soweit, ihr kind gehen zu lassen.
    ich durfte meinen papa auch noch sehen, er lag wie schlafend auf der bank im garten. bei mamas tod war ich neben ihr. ich glaube mir hat das sehr geholfen.

    1. piri sagt:

      Irgendwie habe ich Angst vor all dem.

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