Gedanken, Kuddelmuddel

Zettelgeschichten

„Also Karoline, ich habe dir einen Einkaufszettel geschrieben. Aber achte bitte darauf, dass du ganz genau auf die Preise guckst!“

Wie sie es hasst, wenn ihr Ihr Gatte ganz genau vorschreiben will, was sie einkaufen darf. Dabei fiel es ihm im Traum nicht ein, selber auch nur einen Schritt in den neuen Edeka zu setzen. Karl-Heinz ist mittelgroß, etwas dicker, als zu seinen besten Zeiten und sein schütteres Haupthaar war schon lange nicht mehr blond – die aschgrauen Haare hatten die Macht auf seinem Kopf ergriffen.

Im Flur der Wohnung hängen zwei beige Sommerjacken an der Garderobe neben dem bodentiefen Spiegel. Natürlich putzt Karoline täglich die Fingerabdrücke und Nießspuren ihres pingeligen Mannes klaglos ab. Er selber nimmt allerhöchsten einen Waschlappen in die Hand. Putzlumpen sind etwas für Weiber!

Bis vor einem Jahr ist er wochentags pünktlich um 7:30 Uhr aus dem Haus gegangen. Karoline konnte durchatmen und ihre rote Jacke aus dem Schrank holen und ein Stündchen oder auch zwei mit ihrer besten Freundin durch die Weinberge walken. „Das hat ein Ende! Wenn ich in Pension bin gehen wir zwei, dann brauchst du Elisabeth nicht mehr zu strapazieren!“ Draus geworden ist nichts und ihre rote Jacke hängt auch schon elf Monate im hintersten Eck des Kellerschranks.

Wenn er wenigstens ab und zu ohne sie aus dem Haus gehen würde, aber lieber sitzt er auf dem Sofa. Ein Weinchen steht vor ihm auf dem Couchtisch, die Tageszeitung liegt daneben und immer puzzelt er! „Komm aber bald wieder, du weißt, ich möchte pünktlich mein Mittagessen. Um 13:00 Uhr gibt es Mittagsmagazin und du weißt, das möchte ich in Ruhe sehen!“

Karoline rennt einkaufen. Sie braucht einiges. Das meiste hat Karl-Heinz notiert – mit den Angebotspreisen hintenan. Die Sonne blinzelt durchs zarte grün der Bäume und verspricht einen frischen Frühlingstag. Karoline fühlt sich gehetzt. Bei Edeka gönnt sie sich vom Bäcker einen Café to go und eine Zigarette in der Ecke. Sie fingert in der Jackentasche nach dem Einkaufszettel. Sie weiß ungefähr was drauf steht. Aber der Zettel ist nicht in der Jackentasche, nicht im Geldbeutel, nicht in der Einkaufs- und auch nicht in der Handtasche. Dabei weiß sie doch sehr genau, dass es ihn gibt – den fein säuberlich geschriebenen Einkaufszettel vom Blog ihres Mannes. Diesen Blog hatte er noch aus dem Amt mitgehen lassen – genauer gesagt waren es 10 und 4 sind schon aufgebraucht. Der Zettel ist weg.

Christa ist auch weg!, denkt sie auf einmal. Christa ist weg! Ich muss sie suchen. Ihre kleine Tochter ist nicht da! Im Freibad war sie plötzlich verschwunden und als dann der Arzt kann und ihr sagte, dass er das kleine Mädchen vorsorglich mit ins Krankenhaus nehmen würde, weil die Wunde genäht werden musste, war sie tagelang nicht ansprechbar. Karl-Heinz hatte ihr damals vorgeworfen, die Aufsichtspflicht verletzt zu haben.

Daran erinnerte sich Karoline jetzt im Edeka. Sie bleibt kurz hinter dem Eingang stehen. Sie sieht das Kind wieder. Der Film läuft vor ihrem inneren Auge ab. Ein alter Film, leicht wacklig und etwas vergilbt. Das Mädchen, fällt ihr wieder ein, ist in eine Glasscherbe getreten und blutete heftig. Aber geweint hat Christa nicht – das tapfere kleine Ding.

Karoline geht weiter, sie wird schon das richtige kaufen, auch ohne Einkaufszettel. Sie denkt an den schönen Sommer, in dem sie täglich mit ihrer Tochter im Freibad war. Jemand berührt sie von hinten. „Sie können doch nicht einfach mitten im Weg stehen bleiben! Sie blockieren ja den ganzen Betrieb!“ Sie rückt mit dem Einkaufswagen ein Stück zur Seite. Leer ist er. Was soll sie jetzt reinlegen? Sie fasst noch einmal in die Jackentasche und weiß doch, dass der Zettel nicht da ist. Er ist nicht da. Verloren?

Und sie legt hinein:

Schokoladeneis
Erdbeeren
ein Pfund Spargel
Sahnejoghurt
Gänseleberpastete
ein Sixpack Bier
Gin
zwei Steak
Gesichtscreme
Deo
Weißwürste und süßen Senf
Spiegel (Zeitung)
Spiegel (zum reinschauen)

Die 25€uro, die ihr Karl-Heinz mitgegeben hat, reichen nicht aus. Karoline zückt die Kreditkarte ihres Mannes und fragt die Kassiererin, ob sie auch einen höheren Betrag eingeben könnte. Diese bejahrt und Karoline tippt schmunzelnd fünfhundert.

Karl-Heinz wird heute auf sein Mittagessen warten müssen, denn sie hatte vorhin im Schaufenster der kleinen Boutique ein luftiges buntes Sommerkleid gesehen – und wo sie die passenden Schuhe dazu kaufen konnte, wusste sie auch schon. Eventuell fand sie auch noch einen Mantel und ein kleines Täschchen – und das schönste an der Sache war, dass sie überall mit Karte zahlen konnte!

Auch Elisabeth wird sich freuen, wenn sie sich endlich wieder meldet!  Ich freue mich, wenn Kommentare kommen! Das finde ich wunderbar – und kritisch dürfen sie gerne auch sein.

Behinderung, Gedanken, Gedicht

Geschenkt bekommen

Das Kind im Rollstuhl hebt die Ärmchen, so hoch es geht, und es geht nicht besonders hoch. Es öffnet die Hände, so weit wie möglich, doch die Finger krümmen sich nur.

Der kleine Körper drängt danach, loszulaufen, gespannt, was es zu entdecken und zu sehen gibt, aber die gelähmten Beine regen sich nicht, die Füßchen stecken, verdreht und verkrampft, in festen Schuhen.

Eigentlich ein Bild des Jammers.

Wäre da nicht in den wenigen noch möglichen Bewegungen diese unbändige Begeisterung, wäre da nicht, weit geöffnet, staunend und lachend dieser jubelnde Kindermund, und wären da nicht die strahlenden Augen, in denen eine Freude aufleuchtet, die vollkommen losgelöst ist von allen Grenzen und allen Behinderungen.

Da lebt ein Kind im engsten Raum einer harten Wirklichkeit und verkündet dennoch die befreiende Weite des Ewigen.

Und Gott ist Mensch geworden.

©Marianne Haas

Allgemein

es ist eben Advent

Die Bohnengeschichte

Keiner kennt sie so genau, die Frau, die allein in einem kleinen Haus am Dorfrand lebt. Täglich geht sie zur Arbeit wie auch die anderen Menschen um sie und täglich kommt sie abends zurück, schließt die Gartentor auf und verschwindet im Haus.

Im Sommer sieht man sie manchmal noch im Garten zwischen den Blumen sitzen und im Winter ist es schon dunkel, wenn sie heimkehrt.

Eines fällt allen auf, die sich so an sie gewöhnt haben, aber sie kaum kennen – die Frau scheint immer einen Hauch von einem Lächeln im Gesicht zu tragen. Irgendetwas macht sie glücklich, sie, die da tagein tagaus allein in ihrem Häuschen lebt.
Und das ist ihre Geschichte: jeden Tag frühmorgens, bevor sie zur Arbeit geht, lässt die Frau eine handvoll Bohnen in ihre rechte Schürzentasche gleiten und während die Stunden des Tages verstreichen, wandert bei jedem kleinen WUNDERvollen Erlebnis – wenn Augen sich verständnisvoll treffen, wenn ein Lächeln weitergegeben wird, wenn Hände sich öffnen, wenn… – eine Bohne von der rechten in die linke Schürzentasche.

Abends wenn die Frau in ihrer Stube am großen Tisch sitzt, holt sie alle Bohnen aus der linken Schürzentasche hervor und legt sie auf den Tisch vor sich. Und bei jeder Bohne, die sie in der Hand hält, erinnert sie sich an das kleine Wunder des Tages, das sie miterlebt hat.

…und wenn es nur eine einzige Bohne ist, die sie abends aus ihrer Schürzentasche auf den Tisch holt, dann hat sich der Tag gelohnt!