Meine Oma hatte immer, unter einer gehäkelten Haube eine Kaffeekanne auf der Anrichte stehen. Von irgendjemand muss ich es ja haben, dass ich so gerne Kaffee trinke und damit meinen Tagesbedarf an Flüssigkeit decke. Nur, war es bei meiner Oma Muckefuck, der warm gehalten wurde. Sie war eine sparsame Frau, es lag wohl auch an der Zeit, dass richtiger Kaffee nur am Wochenende getrunken wurde.
„Magst du auch nen Kaffee?“
„Ist er denn noch warm?“ Ersatzkaffee schmeckt, wenn er kalt ist, wie eingeschlafene Füße.
„Nein, nicht unbedingt – ich kann ihn aber schnell noch mal aufkochen!“
„Oooch nö, nicht nötig. Krieg ich nen Kakao?“ Es gab noch keinen Instantkakao und Kaba war teuer und schmeckte uns Kindern gar nicht.
„Hmmm, dann musste Milch holen!“ Die kleine Frau gab mir eine Blechkanne mit Deckel, legte 50Pf rein und schickte mich zum Milchladen, eine Straße weiter. Erst mürrisch, dann trödelnd und kurz darauf hüpfend lief ich los.
„Tach Petra, was machsten du? Gehste Milch holen? Nimmste mich mit?“ Harti – eigentlich Hartmut, aber das sagte keiner zu dem behinderten Jungen – Harti stand mir breitbeinig im Weg. Und wenn Harti im Weg stand, dann gab es zwei Möglichkeiten! Entweder, man nahm seine Beine in die Hand und rannte – haste nich gesehen – davon, oder man stellte sich der Lage und spielte mit dem großen kleinen Kind. Ich nahm Harti in Schlepptau.
„Guck ma, was Tante Gerner da im Garten hat, woll’n wa ma schaun, ob se da is?“
„Keine Zeit, ich trinke gleich Kakao!“
„Darf ich auch?“
„Türlich, aber erst mal muss ich Milch holen.“ Wir trotteten weiter, denn Harti konnte nicht so schnell – er hinkte ein wenig und seine nicht vorhandene Koordination von Armen und Füßen machten ihn wohl auch zu schaffen. Jedenfalls wedelte er beängstigend mit seinen Händen. Man durfte ihm nicht zu nahe kommen, sonst musste man damit rechnen, umgehauen zu werden.
Nach einer gefühlten Viertelstunde, hatten wir die 800 Meter geschafft und ich konnte stolz die Milch zapfen.
„Und, bezahlst du auch, oder soll ich anschreiben?“ Frau Meier stand hinterm Tresen, guckte streng und hielt die Hand auf. Mir wurde heiß und kalt gleichzeitig. Oma hatte mir doch Geld mitgegeben, aber wo war das? Hatte ich es verloren? Ich krempelte meine Schürzentasche um – nichts! Ich guckte in meinen Schuh – manchmal war das die einzige Möglichkeit Geld sicher zu transportieren. Aber nirgends war was. Oweia, fiel es mir siedendheiß ein, die 50Pf waren in der Kanne!
Harti fingerte an den Kirschlollis herum: „Krieg isch ein?“
„Nee…“, schrie ich und zu Frau Meier flüsterte ich kleinlaut: „Das Geld is unta da Milch, da kommich jetz nich ran!“
„Was hast du gesagt!“ Frau Meier sprach immer sehr laut, aber jetzt tönte ihre Stimme, als wolle sie gegen einen Orkan ankämpfen. „Sag mal, wozu hast du deinen Kopf? Zum Haare schneiden?“ Das verstand ich nicht, ich hatte lange Zöpfe und ging nur zum Frisör zum Haare waschen. „Bring mir sofort das Geld, aber dalli!“
Harti habe ich stehen gelassen, er konnte nicht rennen und ich musste ganz schnell heim – weg von Frau Meier und ihren Schimpftiraden.
Als ich beim Garten von Tante Gerner war, klopfte mein Herz nicht mehr so stark. Ja, ich wurde sogar übermütig und begann die Kanne zu schleudern. Das konnte ich gut. Kein Tropfen Milch ging verloren – es klepperte bloß ein bisschen – das 50Pf-Stück!
Meinen Kakao habe ich bekommen und Harti durfte auch einen trinken. Nur zum Bezahlen, zu Frau Meier, wollte er nicht mehr mitkommen.