Familie

der Knacks der Generationen

Hat unsere ganze Generation einen Knacks? So kommt es mir vor, wenn ich im Internet Blogs lese. Wir sind keine Kriegskinder und dennoch hat uns der Krieg immer begleitet. Unsere Väter waren Soldaten und haben Schlimmes erlebt. Unsere Mütter jung im Krieg und auch sie hatten Traumata, die sie nicht losgelassen haben. Ich habe gelernt, dass sich Traumata vererben können, dass diese solange an die Oberfläche gespült werden, bis sie verarbeitet sind. Nicht nur gelernt, sondern auch schmerzlich erfahren habe ich das. Generation nach Generation durchlebt in abgewandelter Form, die schicksalhaften Begegnungen der Vorfahren. 

Erwartet von mir keine wissenschaftliche Abhandlung, ich schreibe emotional und so kann ich vieles, was meine Mutter mir angetan hat verstehen. Aber, dass mein Sohn fast jede Nacht schreit, wie es sein Großvati fast jede Nacht getan hat, das beängstig mich. Carsten wird überfallen, sagt er und er wird entführt und ist gefangen. Er will da raus und kann nicht. Mein Vater war einer der letzten Kriegsgefangenen, die aus Sibirien heimkamen. Nie hat er was erzählt und dennoch wussten wir alle von seinem Leid. Zeit seines Lebens war er unstetig, immer auf dem Sprung – quasi auf der Flucht. Nichts war fertig bei ihm, alles konnte er, meinte er. Anerkennung dafür hat er vergebens gesucht. Da sind die Schnittmengen mit mir, nur ist es bei mir so, dass ich denke nichts wirklich zu können. 

Mein Großonkel war blind, ein armer Mann, der ein Zimmerchen hatte, das wir nötig hatten, denn wir wohnten zu siebt in zwei Zimmern. Dieser Onkel hat mich oft auf seinen Schoß gesetzt, aber ich wollte das nicht. Mit ein bisschen Fantasie könnt ihr euch vorstellen, was passiert ist. Jetzt hängt dessen Regulator bei mir im Wohnzimmer und meine Hassliebe ist dieser Uhr sicher.

Kuddelmuddelgedankenchaos

Veröffentlicht von piri

✨ In Momenten, in denen ich an mir und meiner Arbeit zweifle und meine, nichts Gutes auf die Reihe zu bekommen, denke ich manchmal daran, mir kurz das, was ich schon geschafft habe, anzuschauen. Dann geht's wieder. ✨

11 Gedanken zu „der Knacks der Generationen“

  1. Georg Rode sagt:

    Du beschreibst die Situation aus deiner Sicht richtig. Mittlerweile bin ich mir sicher, dass alle Kriegsteilnehmer traumatisiert waren, entweder waren sie Täter, Opfer, Mitläufer oder sie machten sich unsichtbar. Ich denke, meine Eltern gehörten zur letzten Sorte. Ich war schüchtern, wollte nicht auffallen. Später, nach ihrem frühen Tod, bekam ich Panikattacken.
    Bei meinen Kindern habe ich immer mehr meine ersten Impulse hinterfragt. Erst bei meinem jüngsten Kind hatte ich das Gefühl, Nicht mehr so viel falsch gemacht zu haben.
    Und ja, die Traumata der Großeltern gehen auch auf die Enkel nieder. Wir aber, dazwischen, haben die Chance unser Verhalten zu hinterfragen.

  2. roswitha sagt:

    liebe piri, warum hängst du sie auf? um mich will ich nichts haben, was hass befördert.

    1. piri sagt:

      Die Uhr ist eine Hassliebe – mehr Liebe als Hass. Weil sie mich auch an meine sehr geliebte Oma erinnert, mit einem kleinen Wermutstropfen eben.

  3. C Stern sagt:

    Ich glaube, es gibt keine Generation, die nicht mit schweren Dingen umgehen muss. Und wenn es die Vergangenheit ist, die in den Familiengeschichten gespeist ist. Oft waren / sind Täter auch Opfer und Opfer waren / sind Täter.
    Ich bin aktuell auch mit Vergangenheit beschäftigt und versuche – auch ganz erfolgreich – mich mehr und mehr zu lösen. Ich habe Bücher und eine Technik entdeckt, sehr hilfreich, um auch alle Anteile (meine inklusive) zu sehen.
    Ich bin dabei, immer wieder Dinge wegzugeben, die einfach nicht (mehr) zu meinem Wohlgefühl beitragen. Ich will mich wohlfühlen mit dem, was mich umgibt.
    Liebe Grüße, C Stern

  4. Robert sagt:

    Liebe und Hass sind die beiden Seiten der gleichen Medaille. Nirgends sind wir anderen Menschen so nahe und verbunden wie in Liebe oder Hass.
    Erfreue dich an der Uhr, achte sie und erfreue dich an ihrer schlichten Schönheit oder ent-sorge(!) sie. Konsequenz ist eine starke Medizin. Die Uhr ist nicht dein blinder Onkel und auch nicht deine geliebte Oma.
    Klar hinsehen und fein unterscheiden sind übrigens verschreibungsfreie Medikamente. Ich nehme diese Medikamente auch, deshalb wird sich meine Phantasie auch nicht vorstellen, was in deiner Vergangenheit „da passiert sein könnte“.
    Ich drücke dir die Daumen und bin sicher, dass du diese Hassliebe (Liebeshass?) gut auflösen wirst.
    Schöne Grüsse,
    Robert

    1. piri sagt:

      Es muss sich niemand etwas vorstellen, ich wollte nur aufschreiben. Die Uhr ist eine Uhr und tickt, zeigt mir die Zeit an und ab und zu kommen Erinnerungen – sie gehen auch wieder.

  5. Trude sagt:

    Schmeiss die Uhr weg!
    Du brauchst das blöde Ding nicht, das dich immer an das A. erinnert …

    1. piri sagt:

      So einfach ist das nicht. Wenn meine Uhr mich nur an meinen Onkel erinnern würde, hätte ich sie bestimmt nicht aufgehängt.

  6. Amélie sagt:

    Sehr spannende Einblicke in Deine Familiengeschichte. Dankeschön dafür. Inzwischen ist die Forschung sicher, dass Traumata wie Kriegstraumata vererbbar sind. Da ich zur Nachkgiegsenkelgeneration zähle, kann ich ein Lied davon singen und meine Kinder beobachte ich gut. Bei den meisten Traumata meiner Eltern kenne ich die Auslöser. Kriegsgefangenschaft, Flucht, Verlust der Heimat, Verlust von Hab und Gut, Hungerszeiten nach dem Krieg, Todesangst. Meine Mutter litt Zeit ihres Lebens unter Panikattacken, wenn Silvester war. Selbst kurz vor ihrem Tod noch.
    Mit der Uhr bin ich da ganz bei Robert. Es ist ein Ding und Du hast es, weil es gute und auch böse Erinnerungen birgt. Du lässt die guten überwiegen, Du verdrängst auch nicht: das ist gut und stark. So mache ich es auch mit Dingen, die ich um der Liebe willen behalte, nicht um eines Hassens willen.
    Liebe Grüße zu Dir und Deinen Kindern. Bin grad viel unterwegs und habe wenig Zeit für Kommentare. Heute fiel es mir mal leicht, Worte zu finden.
    Liebe Grüße
    Amélie

  7. Rosa sagt:

    Liebe Piri,
    das, was du schreibst, was unsere und die Traumata der Eltern oder auch Großeltern betrifft, kann ich nur bestätigen. Auch mein Leben ist geprägt von dem, was meine Eltern Schlimmes erlebt haben (und ich selbst als Kind) – in einem der grässlichsten Länder der Welt. Einige meiner Geschwister sind ebenfalls davon betroffen. Es ist ein emotionales Erbe, wenn man so sagen darf, und es lastet schwer auf der Seele. Sogar meine Enkelin ist von der Depression eingeholt worden.
    Jeder, denke ich, geht anders mit dieser Erbschaft um, und ich habe das Gefühl – du machst es auf deine Weise genau richtig.
    Herzliche Grüße
    Rosa

  8. christine b sagt:

    oh mann, die uhr hätte ich längst jemand anderem gesschenkt oder einem floh,arkt. weg damit.
    bei uns in der familie war/ist es ähnlich wie in deiner.
    unser papa war 2 jahre in sibirischer gefangenschaft, erzählte kaum ewas. es war dort ein drama und tgl. kampf nicht zu verhungern.
    er war nach dem krieg zuhause immer fleißig am werken, ein lieber papa. ein unruhiger geist, er hatte oder brauchte immer etwas zu tun- im haus- im garten- am auto….. er stöhnte in der nacht. meine schwester und ich, seine kinder, haben wohl über die gene etwas weitergereicht bekommen, oder auch von mama, die als kind in der völlig zerbombten stadt jede nacht in den luftschutzkeller laufen mußte.
    meine schwester und ich hatten eine gute, normale kindheit, aber wir schreien beide laut und voll angst in der nacht wenn wir träumen. oft echt peinlich, wenn man bei geöffnetem fenster schläft oder im krankenhaus. ich lasse zuhause meine fenster lieber nachts zu.

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