Behinderung, Junioren

was der Tag uns bringt

Irgendwas wird schon sein, etwas wird er bringen – der Tag. Hoffentlich isst er oder wenigstens sollte der Kerle seine Astronautenkost in der Werkstatt austrinken! Denn gestern – nachdem ich ihn am Nachmittag gefragt habe und er mir glaubhaft versichert hat, dass er die beiden Fläschchen ausgetrunken hat – heute Morgen entdecke ich im Rucksack eine fünfviertel volle 125ml-Flasche. Ergo, er hat fast nichts getrunken! Ach menno, was mache ich bloß?

Eine diffuse Angst beschleicht mich wieder jeden Morgen. Ich gehe mit Angst ins Zimmer des Kerle. Die Angst verschwindet nicht mehr. Ich mag die Ängste nicht benennen. Außerdem ist es nicht nur die eine. Es sind multiple Ängste, die in sich verschwurbelt sind und die, wenn ich sie auseinanderklamüsere, wieder neue Ängste heraufbeschwören. Die Ängste meiner Kindheit kommen und gehen, manchmal bleiben sie – so wie gerade jetzt, da ein Familienfest ansteht und ich nicht möchte taxiert zu werden – meine, ach so erfolgreichen, Geschwister – was habe ich dem entgegenzusetzen? Mit mehr Selbstbewusstsein könnte ich meine Lebensleistung anführen. Für mich ist das eine Selbstverständlichkeit und Selbstverständlichkeiten sind, in meinen Augen, keine besondere Leistung …

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Jetzt werde ich erst einmal überlegen, wie ich dem Kerle das Essen schmackhaft mache!

Behinderung, Familie, Junioren

Sonntagmorgens

Ausschlafen für Carsten! Wiebke ist schon seit sieben Uhr wach. Das Töchting frühstückt im Bett und genießt es bedient zu werden. Dem Kerle reiche ich die Astronautenkost – er trinkt solange ich das Fläschchen halte. Jetzt pennt er noch etwas, denn mittags kommt eine Helferin – wir wollen zu einem Konzert auf die BuGa. Wenigsten die eineinhalb Stunden sollte er durchhalten. Musik ist ein Teil unseres Lebens und Carsten freut sich auch drauf. Wir werden einfach eine Decke mitnehmen, dass er vom Rollstuhl absteigen kann. 

Noch ist es nicht so weit! Noch liegt der Kerle im Bett und ruht sich aus. Wiebke lacht und singt ihre ganz eigenen Lieder. „Winnewippa und Papa Schlumpf guckt zu!“ Schick möchte sie aussehen, ein Kleid hat sie sich herausgesucht – ob sie es tatsächlich anzieht, wissen wir jetzt noch nicht. Vor der großen Verkleidung steht noch die Dusche und Haare waschen. Pony schneiden, sollte ich ihr auch noch! Carsten werde ich bärtig lassen – jeder Aufregung gehe ich momentan aus dem Weg. Ist ein Dreitagebart noch en Vogue?

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Viertel vor neun – ich trinke noch einen Kaffee und wünsche euch einen wundervollen Tag!

 

Behinderung, Familie, Gedanken, Junioren

Wecker

Von irgendwoher tönt eine Glocke. Nicht Bimbam oder Klong-Klong oder ein hektisches Bimmeln, nein ein wohltuendes sanftes Läuten. Fast ist es ein Lied, das in mir singt. Es macht mir Mut, ich trage etwas in mir, dass raus muss – familientechnisch gesehen!

Denn schwerer als alles Ausgesprochene wiegt manchmal das Ungesagte. Der Augenblick, in dem etwas Bestimmtes zu sagen wäre und den man dann verstreichen lässt, aus Angst oder Zögern, und dann ist er um und kommt niemals wieder. Gewiss gibt es Ungesagtes, das besser ungesagt bleibt: Unbedachtes, verletzendes, das nichts zum Guten verwandelt, sondern zerstört. Diese Art Ungesagtes wiegt nicht schwer, sondern wird leichter  und leichter im Herzen dessen, der es für sich behält. Anders die andere Art Ungesagtes. Ungesagtes, das die Kraft besäße, in Sekundenkürze ein ganzes Leben zu verändern oder doch zumindest  den Tag dessen, dem die Worte gelten. Worte, die gesagt sein wollen, seien es unangenehme oder angenehme.

Wer den Mut aufbringt, sie auszusprechen, dem gehört das Leben voll und ganz. Ich möchte, das mir das Leben gehört und so habe ich heute Morgen  – nach dem sanften Wecken – an meine Familienangehörigen geschrieben und um Unterstützung bei einem großen Familienfest gebeten. Mal sehen, wer sich meldet?