Autismus ist anstrengend

Nicht nur für mein Gegenüber. Autist zu sein, ist eine Gratwanderung. Ich habe im Laufe der Zeit, auch weil ich autistisch bin und immer alles nach genauem Plan machen möchte, zudem auch noch perfekt und für jeden recht, eine Generalisierte Angststörung entwickelt. Schon als Teenager hatte ich Panikattacken, die in keinster Weise eine Ursache hatten. Aus heiterem Himmel hatte ich Angst. So etwas kommt heute auch noch vor, aber eigentlich habe ich permanent Angst. Nicht vor Spinnen, nicht vor großer Höhe, nicht vor wilden Tieren oder Feuer. Als der Kerle am Samstag so gestürzt ist und blutüberströmt vor mir auf dem Parkplatz lag, da hatte ich keine Angst. Da habe ich rational reagiert und entschlossen gehandelt. Als des Kerles Tablet invalid war (und vielleicht noch ist), da habe ich Panik geschoben. Meine Angst ist auch stückweit eine Soziale Phobie – ich habe tatsächlich Angst auf Menschen zuzugehen.

Ich dachte eigentlich, ich hätte das ausreichend im Blog kommuniziert. Anscheinend nicht. So großspurig, wie ich scheine, bin ich nicht und ich dachte auch, das wissen langjährige Leser*innen.

Vom kräftezehrenden Maskieren habe ich erzählt – das heißt, immer im Vorfeld durchspielen zu müssen, was das Gegenüber von mir erwartet und doch nichts wissen können, weil auch ich keine Gedanken lesen kann und tausenddreiundsiebzig Mal komplett daneben liege. Enttäuschungen machen mir Angst, die ungewisse Zukunft, nicht zu genügen, die Erwartungen nicht erfüllen zu können, obwohl ich doch im Vorfeld alles durchgeplant habe. Simple Telefonanrufe werden zum Höllentrip. Behördenkontakte sind schlimm, einfach nur schlimmer Horror – auch wenn ich weiß, dass sie mir helfen wollen.

Ich würde lieber mit dem Fallschirm aus dem Flugzeug springen, eine Felsen hochklettern oder über die schwankende Hängebrücke balancieren, als freiwillig fremde Menschen ansprechen. Dass ich einen Urlaub, für die ausgefallene Reise der Junioren gebucht habe – ganz allein – das ist eine Meisterleistung. Dass ich immer wieder Konzertkarten für meine rollstuhlfahrende Junioren besorge, kostet mich jedesmal (!) eine wahnsinnige Überwindung und ist auch beim xten Mal immer wieder das erste Mal.

Gute Nacht, schlaft fein. Träumt süß von sauren Gurken!

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Tut mir leid für die Überschwemmungsflut an Beiträgen!

Kategorien: Behinderung, Gedanken

15 Kommentare

  1. Ich verstehe deine Ängste. Nein, ich bin nicht so umfassend betroffen wie du. Aber es gibt 2 Bereiche, in denen es mich enorme Kraft kostet, nicht auszuweichen.
    Zum ersten: Gewitter unter freiem Himmel. Natürlich weiß ich, wie extrem unwahrscheinlich es ist, vom Blitz getroffen zu werden. Hilft aber nichts. Ich rechne immer damit, ein gleißendes Licht zu sehen, dann wird’s heißt und es riecht nach verbranntem Fleisch, und das war’s dann.
    Zum zweiten: ich habe Angst davor, Menschen zu verletzen, besonders mit dem geschriebenen Wort, und ganz besonders mit Kommentaren im Blog. Ich brauche ein Gegenüber, den Blick, die Mimik, das Lachen und das Weinen, dann kann ich angemessen mit einem Menschen kommunizieren. Darum kommentiere ich selten tiefschürfend. Es fällt mir sehr schwer.

    • Hallo Martin, umso mehr freut es mich, dass du hier so offen und frei kommentierst. Es ist mir eine Ehre und das weiß ich zu schätzen. Danke

  2. Guten Morgen liebe Piri,
    ich habe mir alles durchgelesen und musste feststellen, dass es mir ähnlich geht. Ich bin zwar keine Autistin und habe auch kein Asperger-Syndrom, trotzdem kenne ich viele der Situationen noch – nur nicht mehr ganz so extrem wie früher. Telefonieren zum Beispiel ist für mich immer noch eine echte Qual.

    Ich glaube, viele Menschen kämpfen mit solchen Ängsten, ganz egal, ob sie Autist:innen sind oder nicht. Ich wollte dir einfach sagen: Du bist damit nicht allein. Ich hoffe, das gibt dir ein kleines Stückchen Trost.

    Liebe Grüße

    Anne

    • Oh ja, ich weiß, dass ich nicht alleine bin. Dass es anderen Menschen ähnlich geht ist mir leider kein Trost.

      Jetzt müsste ich noch was schreiben um nicht so hart und knapp rüberzukommen. Würde gerne sagen, dass telefonieren mir tagelang vorher große Bauchschmerzen macht. Aber damit relativiere ich ja zum Beispiel deine Ängst, es sind aber reale und welche die da sind.
      Ach, jetzt hab ich mich schon wieder einmal in die Nesseln gesetzt!

  3. Du bist für mich wie jemand, der einen riesigen Hinkelstein trägt – nur ohne Zaubertrank. Dieses ständige Vorausplanen, Maskieren und die Angst, die immer im Hintergrund lauert. Für mich liest sich das nach einer unglaublichen Stärke – dass du trotz all dieser inneren Hürden Reisen organisierst, Karten besorgst und Verantwortung übernimmst, zeigt so viel Mut. Ich kann es nur immer und immer wieder sagen.

    Vielleicht wird diese Seite von dir manchmal übersehen, weil andere eher deine Stärke sehen und deine Ängste nicht wahrnehmen können. Wie auch!? Aber hier, in deinen Worten, wird klar: Beides gehört zu dir. Beides ist wahr.
    Man spürt darin die große Kraft, die es kostet, sich in einer Welt zu bewegen, die gleichzeitig zu viel und doch zu wenig Orientierung bietet. Dass du in echten Notsituationen ruhig reagierst, während scheinbar „banale“ Dinge dich erschüttern, zeigt, wie unterschiedlich Angstgesichter haben kann.

    Ich möchte dir auch sagen: Für mich ist es selbst schwierig, auf alles einzugehen. Auch das ist Teil meiner Phobie – die Angst, viel zu viel aufzunehmen, zu viel in mir tragen zu müssen. Vielleicht ist das auch eine Art Verwandtschaft unserer Erfahrungen, nur auf eine andere Weise.

    Danke, du machst deine Welt sichtbar und zeigt, dass hinter dem scheinbar „Starken“ ganz viel Unsichtbares steckt.

  4. „Träumt süß von sauren Gurken!“
    Finde ich gut, das du den Spruch, mit dem mein Opa mich Abends zu Bett gebracht hat, von mir übernommen hast.

    Und du brauchst dich hier für nichts entschuldigen!

  5. Ich lese immer mit. Habe auch viele Ängste, z. B. beim Telefonieren. Lieber schreibe ich dann einen Brief.
    Grüße von Gerel!

  6. ich finde es gehört eine Portion Mut dazu
    sich über seine Ängste und Schwächen zu äußern
    und so Einiges kommt mir bekannt vor
    obwohl ich (soweit ich weiß 😉 ) keinen Autismus habe…
    fremde Menschen ansprechen ?? OH nee..
    Telefonieren?? Nicht wenn es sich vermeiden läßt
    (ich hatte einen Online Freund der das Aspergersyndrom hatte..
    wir haben in 15 Jahren nie miteinander telefoniert )
    auch ich reagiere in Krisensituationen völlig kalt
    als meine Mann schwer verunglückte und sein Kollege sich per Anhalter zu mir „durchgeschlagen hatte .. habe ich eine Tasche gepackt ihn nach hause gefahren und bin die 40 km in das Krankenhaus gefahren ..
    als meine Tochter starb und iches morgens früh erfahren habe
    bin ich danach einkaufen gefahren
    weil ich es an diesem Tag immer gemacht habe
    ich mag spontanes nicht so gerne..aber auch nicht einen Urlaub lange voraus planen..
    es kann einen nicht trösten wenn jemand sagt..so geht es mir auch
    denn das eigene Befinden bleibt und ändert sich nicht
    man muss damit leben
    und trotzdem wünsche ich dir Kraft
    liebe Grüße
    Rosi

    • Hallo Rosi, danke für deinen ehrlichen offenen Kommentar. Gerade, das du schreibst, es kann niemanden trösten wenn man das gleiche erlebt und du dann schilderst, das hat mir gezeigt, dass ich nicht alleine bin.
      Kraft, Kraft habe ich ohne Ende. Woher weiß ich nicht – aber es geht immer weiter.

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