Geschwister | und doch nicht die richtige Überschrift

Das Märchen von der traurigen Traurigkeit
Es war eine kleine alte Frau, die bei der zusammengekauerten Gestalt am Straßenrand stehen blieb. Das heißt, die Gestalt war eher körperlos, erinnerte an eine graue Flanelldecke mit menschlichen Konturen.
„Wer bist du?“ fragte die kleine Frau neugierig und bückte sich ein wenig hinunter. Zwei lichtlose Augen blickten müde auf. „Ich … ich bin die Traurigkeit“, flüsterte eine Stimme – weiterlesen….
 
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Trauer und Traurigkeit gehören natürlich zum Leben dazu. Wie Freude oder Zorn sind sie wichtige Emotionen eines Menschen.
 
 Wir sind traurig, wenn uns jemand verlässt, wir etwas verlieren, was uns wertvoll erschien, wenn wir an etwas scheitern, in das wir sehr viel Zeit, Geld und/oder Emotionen gesteckt haben.
 
Ich bin traurig, weil ich es nicht geschafft habe, mein angespanntes Verhältnis zu meiner Ursprungsfamilie in reine zu bringen. Auch bin ich traurig, weil ich es nie schaffen werden kann. Meine Geschwister leben in einer ganz anderen Welt – wir werden nicht zusammenkommen, wenn nicht noch ein Ereignis passiert, das uns alle prägt! Meine Traurigkeit rührt auch daher, dass ich das begriffen habe. Noch bin ich sehr traurig, aber ich stecke mittendrin in der Ablösung und in der Verarbeitung. Falls sich niemand – auch meine Mutter – bei mir meldet, werde ich auf unbestimmte Zeit den Kontakt abbrechen. Auch auf die Gefahr, dass ich die alte Dame nicht mehr sehen werde.
 
Dieses Familienfest hat mir gezeigt, dass die Akzeptanz der Behinderung meiner Junioren nur so weit besteht, wenn sie nicht gesehen werden und weit weg sind. Dabei ist die Behinderung nur ein winzig kleiner Teil des Problems – denn mein Lebensmodell passt nicht in das Weltbild meiner Ursprungsfamilie. – Ich werde es nicht weiter ausführen, denn das ginge zu weit. Persönliche Animositäten gehören nicht öffentlich diskutiert. Aber was ich anprangere ist, dass noch nicht einmal in einem Zwiegespräch die Meinung des anderen Geltung hatte, sondern gleich als Angriff gewertet wurde …
 
Carsten hat beim Windeln wechseln gesagt: „Mama, wir fahren nach Hause!“ Dieser behinderte Mann hat mehr Empathie, als manch studierter Kopf! Unser Gespräch im Auto auf der Rückfahrt – ich habe mich sehr bemüht meinen Sohn nicht zu überfordern (Carsten hat mir versichert, dass er es auch nicht war), dieses Gespräch war auf Augenhöhe, hat mir gutgetan und Carsten ist um 10 cm gewachsen. „Mama, so hätte ich auch gerne mit meinen Verwandten geredet!“
 
Ich entdecke immer wieder, wie sehr auch ich meinen Sohn unterschätze – nur weil er dieses und jenes nicht kann!

… geschrieben unter starken emotionalen Einfluss nach einer zweiten (fast) schlaflosen Nacht.

Kategorien: Kuddelmuddel

12 Kommentare

  1. Menschlichkeit und Empathie hat nicht Intelligenz und das gute Funktionieren in unserem System zur Voraussetzung. Ich wünschte für dich und für ihn, dass deine Familie das kapieren würde. Ich schrieb schon vor ein paar Tagen in die Kommentare, dass man sich Familie nicht aussuchen kann. Und manchmal ist Abstand die einzige Möglichkeit. Ich ziehe das sei ein paar Jahren durch und es geht mir besser damit. Auch wenn ich sie möglicherweise nicht mehr lebend wiedersehe. Sie haben sich für besser funktionierende, pflegeleichtere Menschen entschieden, ich zog lediglich die Konsequenz daraus für mich.
    Es tut mir sehr leid, dass du so darunter leidest. Als ob das deine einzige Herausforderung wäre, dein Leben ist so voll davon, dass du es dir vielleicht ein wenig leichter machen solltest und zwar ohne schlechtes Gewissen.
    Ganz liebe Grüße
    Alice

    • piri ulbrich

      18. Juni 2019 08:07 — 08:07

      Es ist, im Moment, die richtigste Entscheidung. So sehr ich mir auch wünsche, ein gutes Miteinander mit meinen Geschwistern und der Mutter zu haben, so sehr geht es nicht – ich kann/will diese Menschen gerade nicht sehen!

  2. …gut, dass Du es geschrieben hast.

  3. Ich habe in meinem Leben auch erlebt, dass es für die eigene seelische Gesundheit essentiell ist, sich von Menschen zu trennen, die einem nicht gut tun. Auch und gerade, wenn sie zum engsten Umfeld gehören…

  4. mein erster Kommentar ist leider verschwunden, ich versuche es nochmals:

    gelesen…..
    bedrückt über die empathielosigkeit deiner familie
    beeindruckt über das feingefühl deines sohnes
    liebe grüße

  5. Möchte mich gern Wechselweib anschließen – du sprichst mir aus der Seele, Ww! Ich habe den Kontakt zu meiner narzisstischenMutter abgebrochen, weil sie Gift für meine Seele ist.
    Carsten ist ein wunderbarer Mensch, auf ihn kannst du stolz sein! Ich hab ihn sehr gern.

    • Danke für deine lieben Worte, bei mir war es der Vater meiner Kinder, den ich verlassen habe, weil meine Seele krank wurde.
      Bei meiner Mutter reichen mir Pausen.

  6. Eine sehr nachdenkenswerte Geschichte, danke Piri. Wahrscheinlich hat schon so oft jemand gesagt: „..löse dich ab…lass dich nicht beleidigen…“ usw. Doch es ist so schwer, ein endgültiges „Nein“ auszusprechen und sich daran auch noch zu halten… Ich durchlebe es auch gerade und die Traurigkeit begleitet mich… Aber ob ich es jemals schaffe, ohne ihr an meiner Seite auszukommen, weiß ich nicht. Gut, dass es die Hoffnung gibt. So habe ich an der einen Hand die Traurigkeit und an der anderen Hand die Hoffnung. ❤ Fallen scheint damit unmöglich.

  7. Und wenn sich einer auf den Schlips getreten fühlt … Und? Es ist DEIN Blog, DEINE Meinung und DEIN Gefühl.
    Schwer, wenn es so gar keine gute Bindung zur Familie gibt. Fühl dich gedrückt und sei dir versichert, es verstehen viele hier, was da gerade in Arbeit ist bei dir.

    • piri ulbrich

      18. Juni 2019 18:13 — 18:13

      Das ist jetzt ein bisschen komplexer, weil es innerfamiliär ist. Was mit dem Blog ist, ist grad‘ gar nicht relevant!

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