Behinderung, Familie, Gedanken

Achterbahnfahrt

Rummelplätze waren mir schon als Kind viel zu voll, unübersichtlich und laut. Meine dicke Schulfreundin konnte das nicht verstehen, war es doch ihr Lebenselixier, wenn die Schausteller in der Stadt waren. Sie war Feuer und Flamme und jeden Tag auf dem Platz. Zu der Zeit sahen wir uns noch seltener. Zu der Zeit war ich noch weiter im Wald. Meine Freundin erzählte von Zuckerwatte, kandierten Äpfeln und gruseligen Geisterbahnfahrten. Sie blühte auf, wenn sie vom Nervenkitzel auf der Achterbahn sprach. Ich brauchte das alles nicht, ich hatte schon Muffensausen genug, wenn ich den Schienenwagen zuschaute, wie sie langsam hochgezogen und dann durch die Bahn geschossen wurden. Einmal habe ich das gemacht, einmal und nie wieder.

Und doch fahre ich jeden Tag Achterbahn. Emotionale Achterbahn. Wenn der Kerle mal wieder nicht isst und spuckt und das Töchting zusammenzuckt wenn er auch nur ein bisschen anders hustet. Wenn wir Plätzchen backen oder ins Theater gehen. Wenn Madame mit nasser Hose im Café sitzt und wir gerade Kakao bestellt haben. Heute wollen wir ins Marionettentheater, eine zupackende Helferin begleitet uns, aber ich weiß noch nicht, ob der Kerle das durchhält. Er hängt in den Seilen …

Behinderung, Gedanken, Junioren

zu mutig?

Gerade im Moment verlässt mich der Mut. Bin ich zu mutig gewesen? Mein Neffe kommt uns besuchen – heute Abend. Für die kommenden Tage habe ich einen Kurzurlaub gebucht. Sehr spontan. In Oberschwaben. In einem schönen Hotel mit Schwimmbad und gutem Essen. Sehr spontan – vielleicht zu sehr? Die Junioren freuen sich. Aber ob sich der Neffe auch freut? Ich bekomme so langsam gewaltige Angst vor meiner eigenen Courage. Er hat jedenfalls gesagt, dass es ihm recht ist. 

Wie lange war ich nicht weg? Viel zu lange! Und jetzt krieg ich Muffensausen. Dabei wünsche ich mir nichts mehr, als endlich einmal wieder in einem Hotel aufzuwachen, mich an den Frühstückstisch zu setzen und mich bedienen zu lassen. Wenn denn nicht der Reichsbedenkenträger seine Ansprüche anmelden würde!

Behinderung

mit den Füßen Fliegen fangen

Oft genug könnte ich mich auf den Kopf stellen und mit den Füßen Fliegen fangen. Nicht jeden Morgen – doch heute war so einer. Es regnet! Aber das ist gar nicht schlimm. Überhaupt ist der Morgen ganz normal. Normales Chaos eben. Meine Tochter singt, der Kerle poft, Durchfall ist auch wieder da.

Inzwischen ist Nachmittag und das Wechselbad der Gefühle, bzw. die Achterbahnfahrt  ist einmal wieder voll angefahren. Pflege ist ein Fulltimejob. Krankenkassen, die eigentlich zum Wohle des Patienten da sein sollen, tun vordergründig sehr verständnisvoll, haben aber Richtlinien, die haarscharf an den Bedürfnissen der Menschen vorbeischrammen. Den halben Vormittag habe ich wegen der Inkontinenzversorgung des Kerles herumtelefoniert. Bislang habe ich die Windeln selbst besorgt und bezahlt. Eine Beraterin riet mir, das doch über Rezept abzurechnen. Ja, und da fängt die Misere an. Es gibt eine Pauschale von 24,50€ im Monat – bei einem Windelpreis von ca. 55Cent pro Stück. Das sind 49Stück, noch nicht einmal 2Windeln pro Tag. Ein Witz. Kein Witz, vielmehr Hohn. Ich könnte kotzen. Wenn das der Kerle nicht schon wieder machen würde. Er tut`s.  Dagegen isst er nichts und trinken auch nicht. Mehr erzähle ich nicht, zu mehr reicht meine Kraft nicht. Die anderen Baustellen mit der Krankenkasse gestalten sich auch schwierig. Nett sind sie, ja das sind sie – aber eine klare Aussage bekomme ich nicht.

Jetzt ist früher Abend und – na ja, es ist der normale Alltag weitergegangen. Eine nasse Hose im Jugendhaus. Ich hatte eineinhalb Stunden eine schöne Zeit bei der Freundin. Aber den verlorengegangenen Faden für diesen Beitrag hab ich nicht wieder gefunden …