Kuddelmuddel

Resultatsfragment einer Schreibwerkstatt

Mein guter Ort ist eine Erinnerung

Drei Jahre war ich alt, ein kleines pausbäckiges Mädchen mit einem Lockenkopf. Die Großeltern wohnten weit weg – in München. Der Vater musste arbeiten und die Mutter, die schon wieder schwanger war, hatte keine Zeit für ein Fragezeichen, wie mich. Der quengelnde Bruder verlangte ihre ganze Aufmerksamkeit und die neuerliche Schwangerschaft mit aller Übelkeit zusätzlich zu den Geldsorgen, nagte an ihr.

„Schicken wir das Kind doch einfach nach Bayern!“ Nur hatte niemand Zeit mich zu bringen. „Das wird doch wohl nicht so schwer sein, sie kann reden und am Ende der Fahrt gibts sowieso einen Sackbahnhof.“

Gesagt, aber nicht so einfach getan! Ich, als Kind hatte niemals Angst – diese kam erst später. Und, ich musste aus der Schusslinie. Meine Hamelner Oma gab mir ihren Blumenkorb für den Proviant, Teddyline fand auch noch einen Platz und der Koffer war nicht groß. In Hannover hat mich dann mein Opa in den Zug gesetzt – ins Schaffnerabteil. Ich erinnere mich daran, wie sich die Landschaft langsam wandelte, erinnere mich an das Koffernetz über mir und daran, dass ich, ich die Lochzange in die Hand gedrückt bekam und die braunen kleinen Fahrkarten knipsen durfte. Einer vom Zugpersonal packte kurz nach Kassel sein eigenes Wurstbrot aus und bot mir ein Stückchen davon an. Im Gegenzug durfte er von meiner Zitronenlimonade kosten. „Nur nicht so viel, ich habe nämlich auch großen Durst!“

Auch wenn die Männer im Zug unterwegs waren, so fühlte ich mich geborgen. Den Teddy im Arm, die Landschaft vorbeirauschend und in Erwartung eines Abenteuers im Garten des Landesbischofs in München.

Veröffentlicht von piri

In Momenten, in denen ich an mir und meiner Arbeit zweifle und meine, nichts Gutes auf die Reihe zu bekommen, denke ich daran, mir kurz das, was ich schon geschafft habe, anzuschauen. Dann geht's wieder. ☀️ ❤️ Viel lieber als Likes, sind mir Kommentare herzlich willkommen.

8 Gedanken zu „Resultatsfragment einer Schreibwerkstatt“

  1. C Stern sagt:

    In so jungem Alter ohne Eltern oder vertraute Angehörige zu verreisen, das ist schon sehr, sehr außergewöhnlich und beachtlich! Ich weiß gar nicht, ob dies heutzutage überhaupt so funktionieren würde …
    Jedenfalls wunderbare Erinnerungen, schön, wenn der Speicher voll von solchen ist!
    Geborgenheit ist ein so wichtiges Gefühl, es wäre doch toll, sich darin häufig wiederzufinden. So geht es mir zumindest sehr oft, dass ich dieses Gefühl konservieren möchte!

    1. piri sagt:

      Es war auch zu der Zeit sehr besonders und so manche Tante hat gezetert. Meine Eltern hatten Gottvertrauen und ich überhaupt keine Angst.

  2. Ursula sagt:

    Toll geschrieben!
    Möchte einiges dazu sagen. Aber vielleicht später …..

    1. piri sagt:

      Danke

      1. Gudrun sagt:

        Der Text gefällt mir und schon die Überschrift finde ich gut gewählt. Sehr lebendig hast du geschrieben, auch durch den Einsatz der wörtlichen Rede.

        1. piri sagt:

          Danke – und es ist nur ein Entwurf, der ausarbeitungsfähig ist.

  3. Reni E. sagt:

    Früher hat man den Kindern mehr zugetraut. Heute würde man sein Kind nicht mehr so einfach alleine in den Zug setzen. Schade, dass deine Geschichte nicht weiter geht…
    LG Reni

    1. piri sagt:

      Vielleicht schreibe ich sie weiter.

      Es war auch vor über 60 Jahren nicht normal, dass kleine Kinder alleine gereist sind. Mir wurde viel zugetraut, aber ich wurde auch viel zu oft überfordert.

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