Es ist mitten in der Nacht, ich möchte den vorherigen Beitrag nicht infrage stellen. Es war ein schöner Tag gestern. Es war auch einer, der mir wieder einmal gezeigt hat, dass wir etwas Besonderes sind. Wir sind auch in großer Gesellschaft isoliert. Besonders wenn Wiebke die Menschen zu viel werden. Das Töchting kann noch weniger als ich Menschenansammlungen aushalten. Wenn wir dann auch noch im Mittelpunkt stehen – was jetzt als Anachronismus dasteht – ungewollt, weil unser Tisch leider nicht mit an den Rand gestellt werden konnte und sich niemand zu uns setzen wollte. Es stimmt ja gar nicht, dass sich niemand zu uns setzen wollte, es war nur nicht genügend Platz vorhanden, weil eben nur auf eine Bank drei Leute passen. Die Hütte war rustikal eingerichtet, keine Stühle, nur Bänke, und auf Bänken können Rollstuhlfahrer leider nicht sitzen. So saßen wir eben in der Mitte des Raumes, an exponierter Stelle, und das Töchting fühlte sich als Ausstellungsobjekt sehr unwohl.
Ich kann Wiebke verstehen. Alle gucken sie an, niemand spricht mit ihr, irgendwie ist es ihr zu viel. Carsten dagegen hat es genossen. Es stand im Mittelpunkt und ist auch selbstständig zu anderen Tischen gefahren und hat sich unterhalten. Das wollte ich auch machen, aber sobald ich mich von Wiebke entfernt habe, hat sie sich alleingelassen gefühlt. Ich bin also immer wieder zu ihr zurück und habe auf sie eingeredet, dass wir doch noch ein bisschen bleiben wollten und dann gehen. Gespräche meinerseits konnten so auch nicht stattfinden. Mehr und mehr wurde ich traurig. Es ist auch niemand zu uns gekommen und hat sich zu uns an den Tisch gesetzt. Ich saß alleine mit meiner maulenden Tochter, hab ein lächelndes Gesicht gezeigt und war mehr und mehr einsam.
Dabei hat kein Mensch der Gesellschaft das mit Absicht gemacht. Niemand hat die Misere so richtig wahrgenommen. Ich nehme es niemandem übel, es war einfach so. Leider habe ich kaum Gelegenheit gehabt, überhaupt ein gutes Gespräch zu führen. Immer hat Wiebke relativ schnell blockiert. Ich kann sie sogar sehr gut verstehen. Wenn ich stand und ein Gespräch führte, dann sah sie nur Bäuche oder Hinterteile! Keine Augenhöhe war möglich. Es beugte sich niemals zu ihr runter. Sie fühlte sich übergangen und so wandte sie die einzige Möglichkeit an die sie hatte und fing an zu weinen. Wiebke ist geistig doch etwas mehr behindert als Carsten und ihr bleibt nicht die Möglichkeit das kognitiv und mit Charme auszugleichen. Sie sieht nicht, dass wenn sie wenn sie weint, dies die Menschen abschreckt und diese dann gehen, weil sie das nicht aushalten können oder wollen. Wiebke merkt nicht, dass sie durch ihr weinen mir die Möglichkeit nimmt, Kontakte zu knüpfen, um aus meiner Isolation zu kommen. Wiebke möchte eigentlich nur in Ruhe gelassen werden. Aber dadurch, dass sie weint, steht sie im Mittelpunkt und kann nicht in Ruhe gelassen werden.
Wir sind vorzeitig gegangen. Carsten war enttäuscht. Ich war eigentlich nur traurig, weil Wiebke – nicht absichtlich – einmal wieder für uns den Abend gesprengt hat. Aus Rücksichtnahme, weil mein Töchting sonst sehr viel lauter geworden wäre, die Feier gestört hätte, mussten wir gehen.
Es zeigt sich, dass auch in einer sehr offenen Gesellschaft – alles weltoffene Menschen – autistische Menschen Außenseiter sind, besonders wenn sie auch noch eine geistige Behinderung haben. Wie man es allerdings hätte besser machen können, weiß ich auch nicht. Es war gut, wie es war. Es war wunderbar. Die Berührungsängste, waren klein, aber dennoch da.
Manchmal, so wünsche ich mir, möchte ich allein zu solchen Festen gehen. Aber dann nehme ich Carsten die Möglichkeit,. seinen Charme zu versprühen. Ich stecke in einem Dilemma. Wiebkes Unwohlsein kann ich gut nachvollziehen. Carstens Wunsch nach Kontakte knüpfen in gewisser Weise auch. Im Grunde genommen stecke ich immer zwischen zwei Stühlen. Meine eigenen Interessen fallen hinten runter. Ich hätte gerne auch Kontakte geknüpft und Gespräche geführt. Dem war leider nicht so. Und dem jetzt hinterhertrauern? Nützt nichts! Was bringt es? Quintessenz ist, dass es ein schöner Tag war.
Der leider etwas unglücklich endete. Dennoch bin ich sehr dankbar, eingeladen worden zu sein.
Klingt das jetzt frustriert? Ist meine Realität! Es ist eine komplett andere als eure. Manchmal, so denke ich, stehe ich am Rande und gucke einer Inszenierung zu. Bin Zuschauer, statt Akteur. Aber andersrum ist es sicherlich genauso.
Jetzt ist es sehr lang geworden, und ursprünglich wollte ich diesen Beitrag passwortgeschützt bringen. Ich traue mich jetzt, ihn öffentlich zu machen.
Nachtrag: Vermutlich werde ich diesen Beitrag am Morgen noch einmal gründlich überarbeiten müssen. Ob der Verständlichkeit wegen.
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18:00 Uhr – nicht bearbeitet. Der ganze Tag war wie auf Wolken völlig in der Schwebe. Wiebke hat sich beruhigt. Der Kerle hat gechillt. Ich selbst erwarte viel zu viel von allen, allem und sowieso.
19. Oktober 2025 8:06 — 08:06
Liebe Piri,
beim Lesen hatte ich das Gefühl, mitten in eurer Runde zu sitzen – und zugleich die feinen Zwischenräume zu spüren, die niemand sieht.
Vielleicht war dieser Abend weniger ein Misslingen als ein Spiegel. Ihr in der Mitte des Lebens, dort, wo alle hinsehen – aber kaum jemand wirklich hinschaut. Und genau da wurde sichtbar, was sonst übersehen bleibt: wie laut Stille werden kann, wenn Blicke statt Worte fallen.
Wiebke hat ihre Grenze gezeigt, ehrlich und unverstellt. Du hast sie gehalten, beschützt, getragen. Und Carsten hat den Mut verkörpert, der nach außen strahlt. Vielleicht warst du gar nicht zwischen zwei Stühlen – sondern zwischen zwei Welten: der fühlenden und der sichtbaren.
Es war wohl kein leichter Abend, aber einer, der gezeigt hat, wie viel Wahrhaftigkeit in euch wohnt. Und vielleicht – nur vielleicht – war darin schon das Besondere: dass ihr überhaupt da wart, sichtbar, echt, mit allem, was dazugehört. Was zu euch gehört.
Hast du das Gefühl, dass sich mit jedem solchen Moment ein kleines Stück Verständnis in der Welt mehr zeigt?
Für mich ja.
19. Oktober 2025 11:16 — 11:16
Ja, je öfter wir uns zeigen, umso mehr werden wir gesehen und weichen (Vor)Urteile auf.
19. Oktober 2025 11:31 — 11:31
Absolut! Wir alle tragen unseren Teil dazu bei, das Bild zu weiten. Je öfter wir uns zeigen, desto normaler wird Vielfalt. Eigentlich haben wir auch die Verantwortung im Miteinander dazu.
19. Oktober 2025 11:37 — 11:37
Kostet bloß so wahnsinnig viel Kraft.
19. Oktober 2025 22:27 — 22:27
Finde ich gut, nicht bearbeitet.
So ist es aus Dir heraus geflossen und es ist so gut zu verstehen.
Das bedeutet nicht, dass ich nicht Deine Zwiespälte spüre.
Ich glaube, manchmal gibt es nicht „so ist es für alle gut“, weil natürlich jede und jeder andere Bedürfnisse und Wünsche hat. Ihr Drei, die anderen Gäste.
Zudem habe ich mich beim Lesen gefragt, wie wäre ich als Gast mit der Situation umgegangen.
Wiebke hat für sich ganz klar gezeigt, wie es ihr mit der Situation geht.
Euch zeigen, dabei sein, so wichtig, so wertvoll und zugleich nicht einfach für Dich, wenn Du das alles tragen sollst.
Liebe Grüße zu Dir und Euch!
19. Oktober 2025 19:51 — 19:51
Evtl. kannst du ja einen Kompromiss finden und mal einen solchen Abend alleine verbringen und beim nächsten Mal nimmst du die beiden wieder mit.
Wie du schon geschrieben hast, sicher hat es keiner böse gemeint. Wenn an den Wänden kein Platz für Rollstühle war, musstet ihr leider in die Mitte des Raumes gesetzt werden.
Eigentlich ja sogar schön, das versucht worden ist, euch einen geeigneten Platz zur Verfügung zu stellen.
20. Oktober 2025 5:55 — 05:55
Na ja so einfach ist das nicht, ich kann schlecht die Junioren allein daheim lassen.
22. Oktober 2025 19:18 — 19:18
Es ist einfach dumm gelaufen. Ich kann deine Enttäuschung verstehen. Ihr seid im Grunde drei Persönlichkeiten mit grundverschiedenen Bedürfnissen