Gedanken

der oder die

Ach, der ist mal wieder da und macht einen Rundumschlag.

Bärbel ist genervt. Sie schlägt die Augen nieder. Dabei ist der nur ein Synonym für die und austauschbar. Die ist sehr real. Die besucht Bärbel fast täglich. Die ist alt und allein. Bärbel hat Mitleid mit mit die, aber kann das ewige lamentieren schon lange nicht mehr hören. Die kommt schon durch die Haustür und fängt an zu reden. Redet, nörgelt, erzählt von dem was sie alles schon wieder gemacht hat und die anderen nicht. Sagt nicht einmal richtig guten Tag. Setzt sich an den Tisch. Guckt zu den Gläsern, hüstelt etwas. Bärbel springt! Die nimmt das Wasserglas trinkt es in einem Zug aus und hält es Bärbel entgegen. Die hat noch lange nicht genug. Die redet.

Bärbels Sohn kommt. Er möchte gerne von seiner Mutter, dass sie ihm einen Knopf annäht. Er hat’s eilig und bitte sofort! Bärbel macht. Sie setzt sich, nachdem sie für ihn noch einen Kaffee bereitet und ihm das letzte Stück Kuchen gegeben hat, zurück zu die an den Tisch. Bärbel merkt, dass sie etwas falsch gemacht hat. Sie hat die den Kuchen nicht angeboten. Die hätte sowieso abgelehnt, aber jetzt ist die dennoch beleidigt. Die setzt zur Rede an: Niemand sieht meine Bemühungen und wie schwer es mir fällt und ich kann doch nicht jeden Tag den Dreck der Linde vom Vorplatz fegen – außerdem Bärbel, du könntest auch mal wieder vornen vorm Haus kehren – es sieht niemand, dass ich das Treppenhaus verdunkle damit es nicht so aufheizt. Niemand sagt Gerlinde, dass sie sich etwas mehr bewegen sollte – sie sitzt sich doch den Arsch platt und wenn ich es ihr sage, dann sagt sie ja, ja, ja und bleibt kackfrech sitzen. Sag mal, kannst du dir vorstellen, dass alle meine so überlegten Bemühungen in den Wind geschossen werden und dass mich das maßlos ärgert. Niemand sieht, dass ich es doch nur gut meine. Kein Dankeschön kommt. Nicht einmal erhalte ich ein zustimmendes Kopfnicken von Gerlindes Kindern. Undankbar sind sie. Und dann war ich gestern, während der Gluthitze auch noch am Grab und habe das ganze Unkraut entfernt, habe diese Schlingpflanzen mit meinen eigenen Händen herausgerissen und bin dabei rücklings hingefallen. Niemand hat’s gesehen! So erniedrigend war da. Ich habe da auf meinem Hintern gesessen und habe fast geheult […]

Bärbel schreckt auf. Die hat aufgehört zu reden. Was hat die gesagt? Bärbel überlegt. Sie erinnert sich nicht. Die fängt wieder an. Bärbels Sohn sollte doch nun, da er das Abitur hat, doch endlich in der Lage sein seine Knöpfe selbst anzunähen. Er könnte sich auch selbst einen Kaffee kochen und den Kuchen, den er in sich hineingeschlungen hat, den hätte er die doch anbieten können, zumal es das letzte Stück war. Bärbel kocht innerlich. Bleib ruhig, denkt sie. Sie betet ein Mantra. Mehrere Male leise vor sich hin. Während sie sich aufs Klo zurückgezogen hat. Die hat in der Zwischenzeit das MenschÄrgereDichNicht-Spiel aufgestellt. Bärbel holt tief Luft. Sie bleibt ruhig. Sie setzt sich hin und nimmt den Würfel und wirft ihn. Ein Spielstein fällt. Die fragt: Was ist los? Hat dich jemand geärgert?

Veröffentlicht von piri

✨ In Momenten, in denen ich an mir und meiner Arbeit zweifle und meine, nichts Gutes auf die Reihe zu bekommen, denke ich manchmal daran, mir kurz das, was ich schon geschafft habe, anzuschauen. Dann geht's wieder. ✨

4 Gedanken zu „der oder die“

  1. freiedenkerin sagt:

    Ja, man hat’s alles andere als leicht mit solchen „Die“-Menschen…

    1. piri sagt:

      Und es nervt – raubt Ressourcen, die anderswo gebraucht werden.

  2. Reni E. sagt:

    Man könnte „die“ ja mal unterbrechen und freundlich fragen: Gibt’s auch was Positives zu berichten?
    XO Reni

    1. piri sagt:

      Bärbel traut sich doch nicht.

Kommentare sind geschlossen.