Familie, Gedanken, Junioren

Aufruhr

Ich denke, wünschen hilft. | Rahel Varnhagen von Ense 

Vorab – ich bin monothematisch und werde es vermutlich – aber wer weiß das schon?, noch nicht einmal ich selbst – in der nächsten Zeit immer wieder sein.

Die Zukunft von uns allen liegt vor uns. Inwieweit wir sie beeinflussen können, liegt nicht immer in unserer Hand. Ich habe die Zukunft von drei Menschen zu planen und einmal wieder eine Heidenangst. Auch in Anbetracht der letzten aufwühlenden Debatten im deutschen Bundestag, in der es um Zuwanderung von Migranten geht. (Ist das nicht doppeltgemoppelt, denn Migranten sind ja Menschen, die von einem Ort an den anderen übersiedeln.) Wer pflegt unsere Alten? Wer pflegt unsere behinderten Kinder und Mitmenschen? Wer versorgt sie? Sind es doch zum großen Teil ausländische Mitbürger!  Aber das ist eigentlich auch nur ein Thema am Rande. Denn meins ist, meine behinderten Kinder und deren Zukunft. Dabei ist es gar nicht unbedingt so, dass ich um sie Angst habe, es geht ihnen gut. Es wird ihnen auch gut gehen, ohne mich. Davon bin ich überzeugt. Sie sind im Grund zufriedene ausgeglichene Menschen und sie sind anpassbar – was ja in meinen Augen schon wieder nach hinbiegen klingt.

07:52 Uhr – Unterbrechung: Wiebke ist wach geworden und braucht ein bisschen Aufmerksamkeit.

Die Zukunft meiner Junioren ist abhängig von Assistenzkräften und so vielen mehr. Was mich allerdings in Aufruhr versetzt ist, dass ja auch noch meine Zukunft gibt.

07:58 Uhr – der Kerle hat schlechte Träume. Ich nehme ihn in den Arm.

Ihr lest/seht, ich scheue mich davor es auszusprechen: Meine Zukunft ist, wenn die Junioren ausziehen, ohne Aufgabe. Mein ganzes Leben lang  habe ich ich mich um die Belange anderer Menschen gekümmert. Seit ich denken kann. Schon mit 12 Jahren hatte ich Verantwortung für meine kleine Schwester. Ich kann nichts anderes! Dazu kommt, dass ich Einzelkämpfer bin (ich mag kein Kämpfer sein!). Schon von jeher war ich viel auf mich alleingestellt, hatte und habe kaum Freunde. Auch der Tatsache geschuldet, dass ich im Autismus-Spektrum bin, was mir erst sehr spät klar wurde. Wenn jetzt die Junioren nicht mehr bei mir wohnen würden, wäre ich isolierter denn je. Es gibt kaum Kontakte außerhalb der Pflege, die würden dann wegfallen. Ich habe es in meinem Leben nicht gelernt Kontakte zu knüpfen . Ein Fehler, ein vergangener Fehler! Aber ich bin inzwischen auch sehr menschenscheu geworden und habe eine ausgeprägte Sozialphobie  entwickelt. Dazu kommt die Angst. Auch Angst vor der Angst. Die Hilflosigkeit und das alleine gelassen werden, wenn ich um Hilfe bitte. Denn es ist nicht so, dass ich auf Hilfe pfeife – ich lasse sie mir nur ungerne überstülpen.

Natürlich weiß ich, dass ein Blog nicht das geeignete Medium ist und ich erwarte hier auch keine Ratschläge. Manche Kommentare machen mich sogar wütend. Aber abstellen mag ich sie dann dennoch nicht, weil hin und wieder sehr kluge Gedanken dabei sind. Ich weiß, ich weiß; jetzt habe ich wieder einmal Kommentatorinnen verprellt. Aber ich möchte gerne ehrlich sein können …

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Ich schreibe kein journalistisches Blog. Kein Blog, das Anspruch hat, vielen Menschen ihre Gegenwart zu spiegeln; ich möchte meine Gegenwart erzählen und da ist es eben nicht immer Sonnenschein und gute Laune. Ich habe kein sehr optimistisches Gemüt, aber eins kann ich euch sagen, in der Depression bin ich nicht gefangen.

Ich schreibe blind, denn durch meine Brille sehe ich nichts – sie ist voller Tränen. Es ist eben Kuddelmuddelgedankenchaos.

Behinderung, Familie, Gedanken, Junioren

emotional

Transparent einer jungen befreundeten Erzieherin in ihrer Kita!

Du musst dein Ändern leben. | Rainer Maria Rilke

Ein nichtaufschreibbarer Tag war das heute! Viel zu sehr mit Emotionen beladen. Politisch, bundespolitisch – mir ist auch deswegen übel. Mir ist kotzübel, was da im Bundestag abgeht. Herr Merz ist für mich untragbar, Frau Weidel sowieso und gemeinsam sind sie einfach eine Pest. Mehr mag ich dazu nicht schreiben – mir fehlen kultivierte Worte.

Wichtiger für mich, das vormittägliches Gespräch! Es war sehr einfühlsam, aber dennoch hart. Ein Zukunftsgespräch. Eins vor dem ich mich gerne drücke. Eins, das mir aufgezeigt hat, dass ich nicht ewig lebe. Das Thema Endlichkeit möchte ich gar nicht so nah an mich heranlassen und dennoch ist es allgegenwärtig. Die Entscheidung ist mir für heute abgenommen worden. Sie ist allerdings nur vertagt.

Familie, Junioren

Winter ade

Hoffmann von Fallersleben schrieb: Winter ade! Scheiden tut weh. – Wenn’s denn nur schon soweit wäre.
Es ist Ende Januar und der Winter dauert mindestens noch eineinhalb Monate. Da müssen wir durch, da müssen wir jedes Jahr durch.

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Unruhige Tage! Warum lasse ich mich unter Druck setzen? Stimmt auch nicht so ganz, denn ich hab‘s doch in der Hand und bräuchte mich nicht unter Druck setzen zu lassen.

Geburtstage sind einschneidende Ereignisse. Besonders die der eigenen Kinder. Heute vor 49 Jahren – neunundvierzig – war es, glaub ich, auch ein grauer Tag und ich bin damals an Menschen geraten, die unglaublich unsensibel waren. Die Ärzte bei der Geburt, die Hebamme, die mich alleingelassen hat. Ich war doch so jung! Die Tatsache, dass mir mein Kind nicht gezeigt wurde. Noch nicht einmal gesagt wurde, ob es ein Junge oder Mädchen ist. Mein Sohn wurde mir einfach weggenommen. Ins Kinderkrankenhaus gebracht, Ohne dass einer der Eltern ihn anfassen durften. Auch nach 49 Jahren tut das weh, wie am Abend der Geburt. 

Ich liebe dieses Kind unendlich. Habe es, seit ich wusste, dass ich schwanger war, geliebt. Ich durfte meinen Sohn nicht sehen. Nicht anfassen. Nicht in den Arm nehmen. Stattdessen wurde auch mein Mann nach Hause geschickt. Er war allein. Ich auch. Die Geschichte mit der fremden Hebamme und den Binden habe ich oft erzählt.

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Die Hebamme kam abends ins Zimmer um mit der Wöchnerin im Nachbarbett Binden aufzuwickeln. Sie kannten sich, waren befreundet: „Wir haben heute ein Kind geboren, dass am besten die Nacht nicht überleben sollte. Es hat keine Lebenschance!“ Ich habe mir die Bettdecke über den Kopf gezogen und angefangen zu weinen. „Was hat sie denn?“, fragte die Hebamme. „Weißt du nicht, dass das die Mutter ist?“ Die Hebamme verlies fluchtartig den Raum und ward nie wieder gesehen.

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Carsten hat heute Geburtstag. Er ist ein fröhlicher, meist ausgeglichener kleiner Mann. Als ich ihn endlich im Mai in den Arm nehmen konnte, habe ich wieder geweint – dieses Mal aber Freudentränen.

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