Kuddelmuddel

17. November | halb eins in der Nacht

Ich halte es nicht mehr aus. Das Weinen halte ich nicht aus. Mein starker Mann weint und lässt meine Hand nicht los. Sie ist zwar sehr schlapp, aber wir halten einander. Ich rufe die 112 an! Nach quälenden 15 Minuten klingelt es – nein, es klingelt nicht. Ich habe die Tür schon aufgemacht, meine aufgeregte Mutter steht in ihrem Haus im Treppenhaus und weiß nicht, was sie tun soll. Hans kollabiert am Treppenabsatz und wird im Haus wiederbelebt.

Sie fahren ohne Blaulicht sehr vorsichtig ins Krankenhaus.

Ich ziehe mich an und fahre hinterher. Im Krankenhaus finde ich um diese Zeit keinen Arzt. Ich soll warten. Ich laufe im Kreis, wie ein Tiger im Käfig. Auf 20qm im Kreis, Schlangenlinien und 8ten, aber immer in Bewegung. Niemand sagt mir was. Abwarten. Sie wissen nichts. Haben keine Ahnung. Warum mein Mann in diesem Zustand ist, obwohl er doch nur Rückenschmerzen hatte -keine Ahnung. Ich renne im Krankenhausflur wie ein unruhiger Tiger.

Um vier rufe ich meine Schwägerin an. Sie kommt, sagt sie. Sie kommt mit ihrem Freund. Eine Stunde Fahrt. Ein Arzt sagt mir, dass mein Mann stabil ist. Ich darf nicht zu ihm. Er soll in die nächste Herzklinik, sie warten auf die Feuerwehr. Diese macht in meiner Heimatstadt den Krankentransport.

Es ist früh. Es ist nachts und ich kann nicht mehr rennen. Ich darf nicht zu meinem Mann, sie lassen mich nicht. Ich bin unruhig. Ich habe Angst. Meine Schwägerin will mich trösten, ich schiebe sie weg.

Ich sitze vor der Intensivstation auf dem Boden und kann nicht denken. Inzwischen ist es 6Uhr. Ich muss heim, die Junioren sind mit der alten Großmutti allein und wachen bald auf.

Veröffentlicht von piri

In Momenten, in denen ich an mir und meiner Arbeit zweifle und meine, nichts Gutes auf die Reihe zu bekommen, denke ich daran, mir kurz das, was ich schon geschafft habe, anzuschauen. Dann geht's wieder. | Viel lieber als Likes, sind mir Kommentare herzlich willkommen.

4 Gedanken zu „17. November | halb eins in der Nacht“

  1. Madddin sagt:

    Gibt es Worte des Trostes? Ich weiß es nicht. Ich würde sie gerne aussprechen, und bin mir auch bewusst, dass das ein schwieriger Balanceakt ist. Ich glaube, viele lesen deinen Schmerz und sind jetzt bei dir.

  2. Anna-Lena sagt:

    Liebe Petra,
    ich erinnere mich noch gut und kann nur erahnen, was du durchgemacht hast.
    Alles Liebe und Gottes Segen und Kraft für dich!

  3. mijonisreise sagt:

    Ist es das erste Mal, das du deine Geschichte so aufschreibst? Ich frage deswegen, weil es ein guter Schritt ist …

    1. piri ulbrich sagt:

      Aufschreiben tu ich diese Geschichte zeitgleich zum Geschehen das erste Mal – ich finde es wichtig. So kann ich abschließen. Nur den Schlüssel werde ich nicht wegwerfen!

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