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Lesezeichen

Eigentlich ist es der Einkaufszettel. Uneigentlich ist es manchmal eine Eintrittskarte, es war auch schon mal eine Rechnung aus einem Café, oft ist es auch nur ein Eselsohr.

Dann bekam ich ein besticktes Exemplar geschenkt, das mag ich sehr. Dann war es wieder nur eine Quittung oder ich habe ein Satinband aus dem Nähkästchen geklaupt.

Noch vor einem halben Jahr habe ich mehr gelesen, konnte mich besser konzentrieren. Heute – in dieser Zeit und nach meiner Krankheit – lese ich eher Bücher, die ich in einem Rutsch verschlinge, weil sie nicht sonderlich viel Verstehenmüssen voraussetzen. Da brauche ich keine Lesezeichen. Da sind sie nicht notwendig – jedenfalls für mich persönlich nicht.

Anders ist es mit Büchern, die ich vorlese (es ist aber nicht Max und Moritz). Da sind es für Carsten die Unterbrechungen, die den Text reizvoll machen. Eine kleine Spannung muss aufgebaut werden, damit das Interesse nicht verloren geht. Einmal schlafen, dann kann man weiterlesen. Nur ungefähr die letzten dreizehn oder mehr Seiten, die müssen zu Ende gelesen werden. Atemlosigkeit gehört ja auch ein bisschen zum Vorlesen, so sehe ich es jedenfalls.

Ich werde mir aber jetzt ein Buch aus meinem Fundus heraussuchen, um bewusst so zu lesen zu beginnen, dass ich ein Lesezeichen suchen muss. Ich bin neugierig, was es wohl sein wird! Was ich nehme und ob ich es schaffe, keine Eselsohren zu machen.

es grünt so grün

„Aber Mama, ich habe doch einen halben Hackfleischklops vertilgt!“ Einen halben kleinen und ein Löffelchen Kartoffelmöhrenstampf. Dafür mindestens genauso viel Ketchup. Carsten!

Wiebke hat reingehauen, das muss ich nicht extra erwähnen, oder? Ich hätte jetzt gerne ein Glas Weißwein – am liebsten einen fränkischen Riesling. Aber wegen einem Glas eine ganze Flasche aufmachen, das ist Verschwendung. Eigentlich schade, dass ich mir das nicht gönne! 

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Mein Töchting hat eine neue (alte) Leidenschaft – sie zockt. Sie zockt reihenweise die Therapeuten ab. Sie spielt sehr gerne Memory und kann sich auch die noch so wenig unterschiedlichsten Bilder merken. Alle müssen mal dran glauben – auch die Physiotherapeutin. So, wie Wiebke heute morgen im Bett gesungen hat, so hat sie am Nachmittag schallend gelacht und abgeräumt…

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Ich finde, man darf hadern, auch, wenn es viel schlimmer sein könnte. „Es könnte ja auch viel besser sein!“ Das meint jedenfalls Carsten!

Geräusche

Vogelgezwitscher von draußen und winnewinnewippa aus dem Töchtingzimmer. Der Tag beginnt! Auch heute ist nichts wie immer, nur meine Bauchschmerzen – auf die ist Verlass. Ansonsten kommt aus dem Zimmer des Kerle kein Mucks. Carsten schläft noch eingemummelt in seine Bettdecke. Er macht mir Sorgen. Nicht nur, dass er nicht isst – das ist ja eigentlich fast schon normal. Nein, er wird zunehmend stiller und in sich gekehrter. Der Kerle vermisst seine sozialen Kontakte, seine Kumpels, seine Mitmusiker. „Mama, es ist hier Zuhause besser, als im Wohnheim. Aber wann kann ich wieder ein normales Leben leben?“ Es schnürt mir die Luft ab, macht mir Bauchschmerzen, tut mir in der Seele weh. Dass die Physiotherapeuten kommen und die Ergotherapie gestern sogar auf unserer Terrasse stattfinden konnte, das zählt – sicher – wiegt aber wenig. Mein Sohn verkümmert! Und ich kann dem nur ganz wenig entgegenhalten, weil ich nun mal ich bin und seine Freunde nicht ersetzen kann. Wiebke hat es leichter. Sie ist mit sich selbst zufrieden. Sie beschäftigt sich und spielt vor sich hin. Nicht, dass der Kerle das nicht auch macht, aber er ist ein sehr kommunikativer Mensch und braucht viel mehr, als sie ein Gegenüber.

„Blöder Virus!“ Wiebke sagt das und guckt ihren Bruder mitleidig an. Sie versucht ihn aufzumuntern und will Blödsinn mit ihm machen. Ganz kurz geht er drauf ein und dann versinkt er wieder in seine Melancholie – ich weiß nicht, wie ich ihn aus diesem Zustand herausholen kann. Nicht nur, dass er geistig verkümmert, körperlich lässt er sich auch hängen – und dann ist da immer noch dieser Hautausschlag…

Die Vögel singen, Wiebke singt, die Sonne scheint, ein neuer Tag fängt an.

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