Kategorie: Behinderung

Ein Morgen vor dem Auftritt

Immer noch ist ein Auftritt etwas besonderes. Immer noch scheuchen die Junioren sich gegenseitig am Morgen wie Hühner durch die Gegend. Immer noch herrscht angespannte Stimmung, wenn abends ein Bandauftritt ansteht. Da kann man nichts machen – da muss man durch!

Das Bett von Wiebke ist nass – nach 4 Wochen das erste Mal wieder. Ich habe keine Zeit, ich muss weg, habe einen Banktermin! Carstens Bett ist auch nass, aber das wusste ich – er hat turnusmäßig ohne Windel geschlafen. Minna wäscht schon. Wenn ich aus der Stadt heimkomme kann ich trocknen lassen und die zweite Fuhre einfahren. Heute ist auch etwas besonderes. Heute ist die Ehrung des Ehrenamtes. Da muss alles superklappen – der Auftritt und das drumherum. Auch ich bin aufgeregt. Als Betreuerin der Bandcrew werde ich wieder Lebens- und Liebesgeschichten hören. Irgendwie freue ich mich darauf – nur der Banktermin, der ist nicht so ganz toll …

Alles wird gut – irgendwann!

Das Zitat passt

Im täglichen Leben versuchen wir, uns dadurch besser verständlich zu machen, dass wir die Sprache anderer übernehmen, und hoffen, so eher begriffen zu werden, doch in der Nacht (…) spricht ein ungebundenes Selbst in einer höchst eigenen Sprache zu uns.
Connie Palmen

Ich habe mich bemüht heute. Ich bin gescheitert. Carsten dagegen hatte einen Erfolg auf ganzer Linie. Dabei hat mich die kleine Jamile aus Aleppo begeistert. Und ihr Bruder Jan, und die anderen drei Brüder, deren Namen ich mir nicht merken konnte.

Seit eineinhalb Jahren sind sie mit ihren Eltern in Deutschland, vorher waren sie in der Türkei, die Kinder sprechen akzentfreies Deutsch. Der Vater weigert sich, weil er noch immer mit dem Herzen in Syrien ist. Die Mutter bemüht sich sehr, hat leider nicht die Möglichkeit, die die Kinder in Schule und Kindergarten haben.

Wir waren gemeinsam essen. Im Gemeindehaus. Carsten, mein Kommunikator, hat sofort Freundschaft (!) mit Jamile geschlossen und der 6jährige Jan wich nicht von seiner Seite. Auch wenn der Wortschatz begrenzt war, sie haben sich fabelhaft unterhalten. Nur gegessen hat der Kerle nichts – mal wieder nichts, wie immer. Noch nicht einmal Brigittes sensationelles (Originalton Carsten) Mousse au Chocolat. Wiebke hat gerne und gut gegessen und sie wurde zeitweilig von der älteren Dame sogar gefüttert. Die Beiden kennen sich schon lange. Brigitte darf das – jemand anderes nicht. Auf gar keinen Fall!

Ich habe mich bemüht. Bin zwischen den Junioren hin und her gehuscht, habe dort übersetzt und dort die besondere Stimme der Junioren gedolmetscht. Wollte dem älteren Ehepaar gerecht werden und mit ihnen reden. Wollte unsere Begleitung einbinden – aber da war noch eine fremde Sprache, rumänisch! Ich wollte vermitteln. Ausgerechnet ich, die kaum den Mund aufkriegt! Aber ich mag sie doch alle! Die Kinder – da zähle ich jetzt Carsten und Wiebke dazu – die Kinder hatten keine Scheu, sie haben mich einfach unterbrochen und gefragt. Ohne Rücksicht auf Verluste. Ich wurde immer unsicherer, war es am Morgen schon und während des Gottesdienstes. Ich habe versucht mich unterzuordnen. Habe mich vergessen.

Da wird gepredigt, dass wir die am Rande, nicht stehen lassen sollen und dass Jesus immer bei uns ist, uns nie im Stich lässt, uns immer beschützt. Ich saß allein in der ersten Reihe. Niemand sah meine Tränen und meine Sprache war die der anderen.

und manchmal

… stehst du da und kannst nur staunen!

Staunen über die Unbeschwertheit, mit der Die bunten Mützen ihre Songs spielen und sich nicht beirren lassen, wenn um sie herum scheinbar niemand richtig anwesend ist.
Staunen über das große Mundwerk vom Kerle, der das Publikum dann doch noch fesselt.
Staunen über den anderen großartigen Sänger mit kleinem Handicap, der mir bei Kaffee und Kuchen ununterbrochen von seiner Liebe vorschwärmt.
Staunen über die Tombola, die so gar nicht für Menschen mit besonderen Bedürfnissen bestückt ist.
Staunen über das Töchting, das so schön ist, wenn es lacht!
Staunen über bunte Blätter, einen blauen Himmel, große weiße Wattewolken, ein Backsteingebäude in dem die Menschenmassen mürrisch verschwinden und fröhlich wieder ausgespeit werden.
Staunen über Behindertenfunktionäre, die Berührungsängste haben.
Staunen über scheinbar tolpatschige Menschen und dann erfahren, dass diese eigentlich auf dem Rollstuhl sitzen sollten.
Staunen, um des Staunens Willen.

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Ich bin müde! Ich habe einen guten Job gemacht und ich habe mich unterhalten – das erstaunt mich am allermeisten. Ich kannte diese Menschen nicht …

Wenn ihr wollt, könnt ihr uns gerne etwas Gutes tun!

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