Ganz eigenartige Eigenschaften hat das Vermissen. Wenn ein Mensch uns fehlt, ein ganz bestimmter, vermag das Vermissen sich auszubreiten wie eine Welle – eine große Welle, schwer, dunkelblau mit weißer Schaumkrone – die zahlreiche andere Menschen erfasst und uns auch sie vermissend macht, obwohl das Vermissen nur die eine Person gemeint hat – eigentlich.
Aber uneigentlich heißt Vermissen, etwas spüren können, was eigentlich gar nicht zu spüren ist. Es spüren und zugleich fühlen, dass es fehlt und Schmerz darüber empfinden, ein Schmerz, der Vermissen heißt.
Vermissen hat viele Schlüssel – goldene mit Schnörkel, die zu einer großen Truhe passen und klitzekleine alte abgeschabte für ein Tagebuch – und es schleicht sich zuweilen in unsere Herzen, wenn es noch gar nicht Zeit dafür ist.
Dann ist der geliebte Mensch, den wir vermissen werden – später – noch an unserer Seite, der Abschied noch Stunden entfernt, in unserer Brust knospt aber schon die Traurigkeit, als läge das Leben wohl viele Tage zurück.
Vermissen hat den Geruch eines Mittwochnachmittaglichts und die Farbe vom Abendhimmel, wenn die Engelchen Weihnachtsbrot backen und in manchen Momenten das schillernde spiegeln von Seifenblasen im Spätsommerlicht.
Vermissen lehrt uns, verletzt zu sein.
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Eigentlich wollte ich ein weiteres gesprochenes Gedicht bloggen. Aber dann kam mir dieser Text dazwischen…