Kuddelmuddel

es geht weiter

Die Erinnerungen an meine erste Freundin kommen, je mehr ich über sie nachdenke. Unsere Freundschaftsphase dauerte nicht lang, gemessen daran wie lange ich schon lebe.  Ungefähr 15Jahre! Aber diese waren prägend. Wir waren nicht so eng, wie ich es oder sie gerne gehabt hätten. Ich bin Autistin, nur wusste ich es damals noch nicht und sie war es vermutlich auch. Wir haben viel miteinander geschwiegen. Wir haben eine Menge dummes Zeug zusammen getrieben. Ich denke an eine Tour, die böse endete. Es war, so glaube ich, nach unserem Tanzstundenball. Kein Erwachsener hatte uns begleitet. Wir waren uns einig, das nicht zu erzählen. Auch aus dem Grund, nicht enttäuscht zu werden. So wussten unsere Eltern nur, dass ein Abschlussballfest anstand. Es gab kein langes Kleid – war auch nicht nötig, denn in der Lokalität legte niemand Wert auf solche Förmlichkeiten. Ewig sind wir dort nicht geblieben. Die Jungs waren noch Kinder und Standardtänze konnte ich nicht. Kann sie heute nicht. In dieser Beziehung bin ich Bewegungslegasthenikerin. Wir haben uns abgeseilt. Meine Freundin hatte eine Flasche Cinzano organisiert. Ein paar ältere Jungs hatten uns aufgegabelt und wir sind in einer Kneipe versackt. Nur Cola haben wir bestellt – immer die stetig leerer werdende Flasche mit dem Wermut unterm Tisch gehalten. Der Lustigkeitspegel stieg. Ich fühlte mich wohl. Anerkannt. Akzeptiert, auch schön  – und war fröhlich. Bis wir an die frische Luft kamen. Da war auf einmal alles anders. Irgendwie bin ich nach Hause gekommen. Meine Mutter hob die Hand, hat aber nicht zugeschlagen, sagte nur: „Das hast du nun davon!“ Sie ließ mich alles sauber machen und verlor kein Wort mehr darüber. Kein Wort. Kein Schimpfen. Kein Trösten. Kein einziges Wort. Stumm war sie damals schon – meine Mutter.

Familie

und dann war da noch

… der Zusammenbruch vor eineinhalb Stunden beim Radiologen! Dabei gab es gar keinen Grund, denn der Befund ist okay – bis auf die üblichen Zipperlein.

Nur ein Wort war falsch, in einem rüden Ton gesprochen, für den sich der Arzt auch sofort entschuldigt hat. Ein Wort zu viel – ein kleiner Nebensatz und meine Schleusen öffnen sich.

Dieser Geburtstag meiner Mutter, dieser schwelende, nicht zu klärende Streit mit meiner mittleren Schwester, dieses über dem Abgrund hängen, diese Nichtachtung von meiner Ursprungsfamilie – all das macht mich krank und furchtbar traurig. Furchtbar im wahrsten Sinne des Wortes. Ich fürchte mich sogar davor, den Brief, den ich skizzenhaft an diese Leute geschrieben habe, zu vervollkommnen und abzuschicken. Aber, ob ich das tue oder nicht – eine Reaktion, in Form eines Anrufes, Brief oder Mail wird nicht kommen – also kann ich es auch gleich bleibenlassen. Sie werden sich nicht melden. Niemand wird sich melden – auch meine Mutter nicht. Inzwischen bin ich sogar der Meinung, dass ich besser daran täte, keinen Brief zu schreiben. Auch keinen, in dem ich mich erkläre!

Warum-Fragen sind müßig. Entweder heißt die Antwort: Deshalb oder es gibt mindestens so viele Antworten, wie sie Adressaten hat. Wenn, dann noch diese sich weigern mit einem zu reden, dann ist es doppelt müßig – tut dennoch verdammt weh!

Wie viele Tränen können in einem Körper sein? Was hält ein Mensch aus? Wann zerbricht er? Wie ist das mit der Resilienz? … mit der Vulnerabilität? Wann habe ich endlich abgeschlossen? Bin ich zu anspruchsvoll an das Leben?