Von irgendwoher tönt eine Glocke. Nicht Bimbam oder Klong-Klong oder ein hektisches Bimmeln, nein ein wohltuendes sanftes Läuten. Fast ist es ein Lied, das in mir singt. Es macht mir Mut, ich trage etwas in mir, dass raus muss – familientechnisch gesehen!
Denn schwerer als alles Ausgesprochene wiegt manchmal das Ungesagte. Der Augenblick, in dem etwas Bestimmtes zu sagen wäre und den man dann verstreichen lässt, aus Angst oder Zögern, und dann ist er um und kommt niemals wieder. Gewiss gibt es Ungesagtes, das besser ungesagt bleibt: Unbedachtes, verletzendes, das nichts zum Guten verwandelt, sondern zerstört. Diese Art Ungesagtes wiegt nicht schwer, sondern wird leichter und leichter im Herzen dessen, der es für sich behält. Anders die andere Art Ungesagtes. Ungesagtes, das die Kraft besäße, in Sekundenkürze ein ganzes Leben zu verändern oder doch zumindest den Tag dessen, dem die Worte gelten. Worte, die gesagt sein wollen, seien es unangenehme oder angenehme.
Wer den Mut aufbringt, sie auszusprechen, dem gehört das Leben voll und ganz. Ich möchte, das mir das Leben gehört und so habe ich heute Morgen – nach dem sanften Wecken – an meine Familienangehörigen geschrieben und um Unterstützung bei einem großen Familienfest gebeten. Mal sehen, wer sich meldet?
Nur, wie fange ich an? Ohne, dass ich wieder einmal resigniert darüber berichte, wie behinderte Menschen – in diesem Fall meine Junioren – zwar dabei, aber eigentlich nicht mittendrin sind.
Gestern am sehr frühen Abend kann eben eine junge Frau (16 Jahre alt), sie wurde wohl vom Jugendreferenten der hiesigen Kirchengemeinde geschickt, und wollte uns zum Gottesdienst abholen. So gut, so schön! Carsten liebt diesen Gottesdienst – es ist ein Jugendgottesdienst und auch etwas moderner und unkonventionell. Diese junge Frau kam also zu uns, um uns zu helfen. Das hat sie auch im Rahmen ihrer Möglichkeiten ganz ordentlich getan. Im Gemeindehaus hat sie ihre Freunde begrüßt und da habe ich schon gemerkt, dass sie sehr unsicher war. Ich habe sie dann gehen lassen. Was nützt mir eine, die nicht weiß, was sie machen soll. Eigentlich hätte sie sich nur zu uns setzen sollen oder besser noch, ihren Freundinnen Carsten und Wiebke vorstellen können und sich mit Carsten unterhalten. Gut, hat sie nicht gemacht! Ihr mache ich keinen Vorwurf, sie war total unsicher und wusste nicht …
Der Jugendreferent war auch da. Noch nicht einmal begrüßt hat er Carsten, obwohl sich der Kerle wirklich große Mühe gegeben hat, um die Aufmerksamkeit des Mannes. Carsten wurde einfach übersehen. Wiebke wurde gar nicht gesehen, aber ist okay – sie will das auch nicht. Aber Carsten suchte das Gespräch. Er ist zu anderen hingerollt und wollte reden. Er wurde einfach übersehen! Auch meine Vermittlungen verliefen im Sande, die Leute haben mit mir geredet. Das wollte ich nicht! Ich wollte, dass mit Carsten gesprochen wird, aber sie haben ihn nicht verstanden (seine Stimme ist gewöhnungsbedürftig), aber sie haben sich auch gar nicht die Mühe gemacht ihn überhaupt zu verstehen. Es ist traurig! Und das, bei Menschen, die auf dem Podium von Nächstenliebe und dass Gott sie doch so liebt, wie sie sind, gesprochen haben.
Ich bin enttäuscht! Da sollte ich nicht sein. Es tut mir so leid für Carsten.
Auf dieser Veranstaltung sind nur Menschen zu uns gekommen, die wir schon lange kennen. Gehört habe ich, dass einige ‚Fremde‘ miteinander geredet haben, wie toll sie es doch finden, dass ich mir zutraue mit ’solchen Menschen‘ zu kommen. Sie könnten das nicht! Gesagt, mir gesagt, hat das keiner!
Ich hatte 2 dabei. 2 sehr unterschiedliche behinderte Junioren. Carsten, der gerne mit anderen gesprochen hätte, das auch versucht hat und abgeschmettert wurde und Wiebke, die sehr introvertiert ist und am liebsten daheim geblieben wäre. Ich stand wieder einmal dazwischen und hätte so gerne eine Vermittlung gehabt.
Vorweg, der Kerle hat sich nicht übergeben – er hat aber auch nichts gegessen. Ergo ist nichts drin was raus kann.
Vergangenheit holt mich ein. Eine nahe, die einen Trigger zu einer alten setzt. Es hat etwas mit der Helferin zu tun, die mich Knall auf Fall verlassen und mich so schmählich in Stich gelassen hat. Ich möchte ihr nicht begegnen, aber wir sind beide zu einer Feier eingeladen, auf der ich ihr nicht aus dem Weg gehen kann.
Ich will meine alten Wunden nicht aufreißen, sie waren gerade frisch verheilt – und dennoch ist es geschehen. Innerste Familiengeheimnisse drängen wieder nach außen – unverarbeitete, verschüttete. Am liebsten täte ich fliehen. Nur an mich denken, mir gerecht werden. Denn mein Seelenheil ist getroffen, ich bin gekränkt und krank davon. Heute Nacht habe ich nur sporadisch geschlafen. Unaufbereitetes geisterte durch meinen Kopf und stieß vergessenes an, das sich dazu gesellte. Geschwistergeschichten, Geschichten ums verlassen werden, Schuldzuweisungsgeschichten und unausgesprochenes. Ich bin Asperger-Autistin, ich verstehe unterschwellige Hinweise nicht, kann manchmal noch nicht einmal die Mimik richtig deuten.
Ich kann nicht mit dieser Frau auf die Feier gehen. Dann hängt der Zwist nicht nur zwischen uns, sondern über allem. Das will ich nicht. Will diese Feier nicht verderben, nicht für mich und für den Gastgeber erst recht nicht.
Dieser sagt, ich soll doch über meinen Schatten springen und an die Kinder denken und außerdem müsste er sich ansonsten eine andere Lokalität suchen, weil er eine Saalmiete hat. Er würde meine Scham verstehen (ich habe Wut, keine Scham) und die Frau würde mir verzeihen. Da stehen die Vorzeichen für mich falsch. Ich bin in eine Ecke gedrängt, in die ich nicht gehöre. Und dann empfinde ich das als emotionale Erpressung.
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Seht ihr, Carstens Kotzerei ist eine Baustelle von ganz vielen. Aber gestern sind wir dem entflohen. Wir waren im Kino. Das Personal dort hat mir geholfen Wiebke in die Reihe zu setzen, sie haben auf die Rollis aufgepasst und wieder bereit gestellt, als ich mit Hilfe eines netten Mannes wieder unten ankam. Mit 2 Rollis ins Kino ist nicht für Schwächlinge – aber war gut, uns tat es gut, den Alltag einmal zu durchbrechen…
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