Allgemein, Behinderung, Gedanken

Ein neuerlicher Versuch einer Erklärung

Im sozialen und gesellschaftlichen Umfeld zeige ich – zeige ich es wirklich, oder fühle ich mich nur so? – jedenfalls kommt es mir so vor, dass ich ein unbeholfenes Verhalten habe. Mir wird gesagt, dass ich manches Mal unhöflich, arrogant und respektlos wirke. Ich sei analytisch und unterkühlt und würde oft unangemessen laut sprechen.

Selber habe ich beobachtet, dass ich nicht verstehe, wann ein Gespräch beendet ist und dass ich anderen Personen ins Wort falle, wenn ich denke zu wissen, was sie sagen wollen.

Small Talk bereitet mir große Schwierigkeiten und was ich bereden soll, das weiß ich oft nicht. Small Talk sehe ich manchmal als richtiges Gespräch an und will daraus ein großes machen, was vermutlich oft als unangemessen betrachtet wird, weil es eben nur ein kleines ist.

Telefonieren tue ich äußerst ungern. Erstens weiß ich nicht, wann ich wieder dran bin und zweitens kann ich dabei noch weniger einschätzen, was mein Gegenüber in Zwischentönen sagen möchte.

Ich bin ehrlich, oft sogar mit einer kindlich naiven Offenheit oder mit einer Sachlichkeit, mit konsequenter Stringenz, die mir als andersartiges Verhalten vorgeworfen wird.

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 Das alles war gerade wieder einmal mein Verhängnis! Ich habe zwar irgendwann gesagt, dass ich im Autismus-Spektrum bin, es hat mir aber nichts geholfen, weil es zu spät geschah und mein Gegenüber von danach an eine Gebrauchsanweisung haben wollte, die ich ihm natürlich nicht geben konnte – auch dieser Versuch einer Erklärung ist es nicht, kann es gar nicht sein, denn ich verhalte mich, wie andere Menschen im Übrigen auch, immer anders – den Umständen entsprechend. Nur, dass ich nicht berechenbar bin!

Behinderung, Familie

müde

Viel zu früh wach geworden. Viel zu wenig geschlafen. Ein kleines Frühstück nur und dann die Junioren wecken, die natürlich viel zu spät eingeschlafen sind und denen es um halb zehn viel zu früh ist.

Carsten hat wenigstens eine winzige Kleinigkeit gegessen. Wiebke streikt und nimmt den Kakao mit und bringt ihn wieder mit heim.

Um elf kam G., um kurz nach zwölf waren wir im Solebecken – es flutscht!Schwimmen macht Spaß und mit ihr als Helferin ist das für mich kein Stress. Alles easy!

Jetzt sind wir Daheim. Draußen regnet es immer noch. Statt Sonntagsbraten gab es Milchreis mit Zimtzucker und Apfelmus – die Herrschaften sind abgefüttert und ich sitze endlich – völlig kallone – auf dem Sofa und möchte zu gerne zur Seite fallen, um ein Stündchen zu schlafen. Der Tsunami ist abgeebbt, aber er hat Spuren hinterlassen. Die Aufräumarbeiten werden Tage dauern. Meine Ohren pfeifen ihre eigene Melodie, mein Wattekopf schwebt über den Wolken und der Kerle spielt zu meinen Füßen mit einem alten Autotransporter. Das Töchting sortiert ihre Schlümpfe und findet für den einen oder anderen kein passendes Gegenüber. Immer ist irgendwas nicht okay. Macht nichts – beginnt sie halt wieder neu und neu und neu …

Behinderung, Gedanken, Junioren, Kuddelmuddel

Konglomerat

Konglomerat ist ein Wort meines Vaters – ich erinnere mich. Die Gemengelage meiner Gedanken lässt mich einfach nicht zur Ruhe kommen. Ich sag‘ dazu immer Kuddelmuddel – das lustige Wort macht es aber nicht besser! Hab‘ die Junioren weggebracht, unter Tränen. Besonders Wiebke hat sehr geweint. Fremde Menschen wollten sie trösten – mein Töchting hat noch mehr geweint und geschrien. Heimweh, schon vor der Abreise in die Ferien! Das kann heiter werden. Betüddelnde Betreuer – Wiebke kann so was gar nicht gebrauchen. Genauso wenig, wie gestreichelt und angefasst werden. Haben die Leute meine „Gebrauchsanweisung der Junioren“ nicht gelesen? Zum Glück sind 2 Frauen dabei, die meine Junioren und ihre Marotten kennen, die wissen, dass Wiebke Autistin ist und möglichst in Ruhe gelassen werden möchte. Erst recht, wenn sowieso schon Holland in Not ist und die Tränen fließen. Carsten freut sich auf den Urlaub – aber: „Du Mama, ich freu mich jetzt schon, wieder nach Hause zu kommen!“ Meine Junioren sind nicht dumm. Besonders der Kerle ist äußerst empathisch und spürt, dass mich etwas sehr bedrückt – ich muss die Situation klären, aber alleine kann ich das nicht. Dazu brauche ich das gegenüber, das bereit ist, auch zu reden! Es ist Herbst! Die dunkle Jahreszeit fängt an. Es wird kalt. Kalt, wie im Winter. Die Junioren frieren sitzend auf ihren Rollstühlen. Dieses Jahr hatten wir kaum Frühling und einen Herbst auch nicht wirklich. Der Winter ist nicht unsere Jahreszeit! Ich schreibe Gedichte, die kaum jemand lesen mag. „Besinn dich auf die Fähigkeiten, die du hast und schau nicht immer, was du nicht kannst!“ Mit meinen Gedichten kann die wohlmeinende Freundin – kann kaum jemand aus meinem Umfeld etwas anfangen. Ich schreibe trotzdem. Ist es Trotz? Nein, ich schreibe, weil ich es möchte, weil es ein Bedürfnis und ein großer Ausgleich zu den Unwegsamkeiten ist. Niemand muss sie lesen oder gar hören – ich tu’s in erster Linie für mich. Dennoch wäre es schön – das hatten wir ja schon. Ich wünsche allen ein schönes, eine Stunde längeres, Wochenende. …übrigens: ich gehe jetzt zum Singen in die Badewanne!

eineinhalb Stunden später

Die Helferin wird nicht mehr kommen. Wir haben uns nicht aussprechen können. Sie hat mir, mit großen Vorwürfen, den Bettel vor die Füße geworfen!

Eigentlich erleichtert mich das. So ist wenigstens ein Schlussstrich gezogen und ich brauche keine Rücksicht mehr zu nehmen!

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