Behinderung

Badewannenrandgespräche

Mein Töchting redet Kauderwelsch. Sie quasselt mir ein Ohr ab. Sie ist fröhlich, vergnügt und nicht krank. Ihre Augen sind ein bisschen klein und leicht geschwollen. Aber aus ihnen blitzt der Schalk. Der Kerle liegt im Bett und ab und zu kommt ein leises Grunzen und anschließend ein Stichwort an seine Schwester. Der beiden Geheimsprache verstehe ich auch nach Jahren nicht!

Meine Kaffeetasse ist leer. Die wievielte heute Morgen weiß ich nicht. Kaffee ist Nervennahrung.

Jetzt, nachdem ich mich geschminkt habe, mag ich mir wenigstens ins Gesicht gucken. Klamottentechnisch sehe ich schlampig aus. Dreckige Jeans, schnell gegriffen und abgezogen, ein Pullover von MamS, nackige Füße, aber Juwelierohrringe. Oben hui und unten pfui!

Ich hoffe heute auf schönes Wetter. Terrassenwetter. Der Kerle hat noch keinen Bissen gegessen und auch noch nichts getrunken. Die Sonde ist bestückt und wenn jetzt nichts retour kommt, dann ist das wunderbar.

Mein Töchting quengelt – Fortsetzung folgt…

Gedanken

Trugschluss

Zu wissen was man braucht, heißt noch lange nicht, dass man es auch bekommt, auch wenn man es sich noch so sehr wünscht!

Mir geht es schlecht, so richtig scheißeschlecht. Das hat nur bedingt etwas mit dem positiven Coronatest des Töchting zu tun. Der ist nur einmal wieder der berühmte Tropfen, der das Fass zum überlaufen gebracht hat. Ein bisschen war es in letzter Zeit nicht so voll. Aber viel hat nie gefehlt – Wasser war meist mehr als genug. Meine Belastungsgrenze habe ich mehr denn je ausgedehnt. Was ein Mensch leisten kann, merkt man selber erst, wenn es hart auf hart kommt.

Hart auf hart ist es in den vergangenen Jahren viel zu oft gekommen. Immer wieder habe ich nach Hilfe geschrien. An den verschiedensten Stellen, auch bei der Krankenkasse. Die Hilfen, um die ich gebeten hatte, gibt es, allerdings nur für Kinder. Die Junioren sind keine Kinder mehr, sie sind erwachsen und für Erwachsene wird keine Familientherapie bezahlt und sei sie noch so sinnvoll.

Ende 2019 verschleppte ich eine beidseitige Lungenentzündung. Ich habe funktioniert und meine Junioren gut versorgt. Ja ich habe sogar ein Weihnachtsfest auf die Beine gestellt, für die Pastorenfreundin aufwendig gekocht. Aber ich wusste, dass ich Ende Januar zur Kur fahre und so habe ich durchgehalten. Dass ich Lungenentzündung hatte, ahnte ich nicht – das war nur ein sehr hartnäckiger Husten! Ende Januar bin ich statt zur Kur in die Lungenklinik – Verdacht auf Tuberkulose. Zwei Wochen hatte ich ca. 40Grad Fieber. Isolierstation! Als endlich feststand, dass ich kein TBC hatte, durfte ich ins normale Krankenzimmer. Immer noch mit hohem Fieber. Kein Antibiotikum schlug an. Die Bronchien waren so ´verbackenˋ, der Infekt löste sich nicht. Es wurde probiert und irgendwann hatten die Ärzte wohl das richtige Mittel gefunden. Mir ging es besser und ich durfte, auf eigenen Wunsch, nach Hause. Infusionen, so traute es mir der Oberarzt zu, konnte ich mir auch daheim selbst anstöpseln.

Das war tatsächlich kein Problem. Nur war es vermutlich doch nicht das richtige Antibiotikum, denn mir wurde speiübel und ich bekam einen anaphylaktischen Schock. Eine Bekannte brauchte mich, da war ich schon nicht mehr ganz bei Sinnen, zurück in die Lungenklinik. Der diensthabende Arzt wollte mich nicht aufnehmen, aber meine Begleitung beharrte darauf. Da setzt zum ersten Mal mein Erinnerungsvermögen aus.
Ich bin wieder in ein Isolierzimmer auf die Intensivstation gekommen. Neuerliches ausprobieren welches Medikament mir helfen könnte! Sehr bald stellte sich heraus, dass diese Intensivstation nicht ausreichend genug ausgestattet war, um mich zu versorgen. Ich wurde verlegt, erst ins heimische Klinikum, dann, weil inzwischen außer Lunge auch die Nieren und die Leber zu versagen drohten, nach Heidelberg in die Uniklinik. Ich hatte einen Dialysekatheter. Als mein Herz auch noch anfing zu streiken, bin ich innerhalb der Uniklinik auf eine andere ITS gekommen – mit Blaulicht und Martinshorn passend um Mitternacht zu meinem Geburtstag am 29. 2. 2020. Vieles weiß ich nicht, mir fehlen so einige Tage, ich hatte Halluzinationen und wäre fast gestorben.

Irgendwann durfte ich nach Hause – es hat sehr lange gedauert. April war es. Da war dann schon Corona und die Junioren im Wohnheim. Ich durfte und konnte sie nicht besuchen. Ende Mai waren wir endlich wieder zusammen. Ganz wacklig habe ich sie wieder alleine ver- und umsorgt. Wie gesagt, der Mensch kann viel, wenn er muss und auch will. In die Werkstatt sind die Junioren erst wieder im Herbst gewesen! Professionelle Helfer waren nicht da.

Im Jahr 2021, ich war noch lange nicht wieder Rekonvaleszent, hatten wir im Sommer Hochwasser im Keller, wir durften zur Mutter-Kinder-Kur. Der systemische Berater dort redete mir ein, dass ich meine Ängste auf die Kinder übertrage. Der Kerle war inzwischen so apathisch und mager, dass ich Angst hatte, dass er verhungert. Täglich kotzte er mehrfach und war nicht mehr er selbst. Meine Nerven lagen blank. Der Kerle war dem Tode näher, als dem Leben. Der Not gehorchend bekam er eine PEG-Sonde. Dann regnete es ins Haus. Die Heizung ging kaputt, wir froren. Auch mit der Magensonde ist es ein täglicher Kampf um die Ernährung. Beide Junioren haben kein Durst- und Hungergefühl. Ich muss für sie denken und sie erinnern. Wir lebten auf einer Baustelle. Aber den Junioren wollte ich meine Not nicht zeigen.

In den Zeiten hatte ich immer auch Menschen an meiner Seite, die geholfen haben. Nur Entscheidungen musste ich alleine fällen. Das hat mich oft überfordert. Richtig verarbeiten konnte ich meine eigene Sepsis nie. Ich habe es immer verdrängt. Das rächt sich irgendwann.

Jetzt hat mein Töchting positive Coronatests und wir sind wieder isoliert. Ich bin nicht zum ersten Mal alleine, kann mich mit niemanden so recht beratschlagen. Das Fass läuft gerade voll …

Ich weiß, was ich brauche! Einen Menschen mit dem ich schweigen, sprechen, streiten, reden und still zusammensitzen kann, einen Menschen, der mich sieht und der mir keine unangefragten Ratschläge gibt, der zupackend ist und mit mir zusammen den nächsten Schritt überlegt. Der mich an die Hand nimmt – oder in den Arm (obwohl, das möchte ich real gar nicht) nur im übertragenem Sinn.

Kuddelmuddelgedankenchaos und ganz bestimmt nicht korrekt  – ja, ich weiß. Schwer zu verstehen!

Familie, Kuddelmuddel

Weltgefüge

Mir bricht gerade, mein mühsam aufrechterhaltenes Weltgefüge auseinander. Es geht hü und hott. Heute war des Töchtings* (*bitte in den Kommentaren auch keine realen Namen mehr nennen – weder den der Junioren, noch meinen) Test in der Werkstatt wieder positiv. Gestern eindeutig negativ  – auch am Abend! Ich werde irre. Mich macht das wahnsinnig. Dieses rauf und runter – hü, hott, rein, raus – Achterbahn. 

Was mich fertig macht, ist, dass ich alles alleine ausmachen muss. Alle Ängste alleine ausstehen muss, dass mir niemand wirklich zur Seite steht. Ich habe Angst, auch wenn Omikron lange nicht so schlimm ist. Für den Kerle ist es schlimm, er hat nichts zuzusetzen. Noch ist er negativ, ich auch. Aber was ist, wenn? Ich bin fix und fertig und dabei völlig allein!