Schnellschuss oder ein Bericht von heute Morgen und es könnte wieder jammernd klingen.
Jetzt scheint die Sonne am wolkigen Himmel, die Junioren sind in der Lebenswerkstatt, das Badezimmer muss noch aufgeräumt werden und ich kann endlich meine Wackelpuddingbeine von mir strecken.
Es ist eigentlich ein ganz normaler Morgen. Aufgewacht bin ich viel zu früh schon um halb fünf Uhr. Mit Kaffee noch einmal ins Bett und Podcast hören – nichts über Pflege, nichts über Angst und schon gar nichts über Depression, stattdessen ZeitZeichen, Quarks und Carolin Emcke (bei der Jean Asselborn zu Besuch war.) Ich mag den ehemaligen luxemburgischen Außenminister, er hat oft kluge Gedanken. Morgens vor‘m Tag ist das ein wunderbarer Einstieg, nicht gleich mit den aktuellen Weltnachrichten über Krieg, Politik und Sport zu starten. Mein Kopf sagt mir: Du schaffst das! Mein Bauch grummelt wieder, weiß aber auch, dass ich das schaffe. Warum habe ich nur jeden Morgen Bauchweh?
Mein Töchting schmeißt mich erst einmal wieder aus dem Zimmer, deckt sich die Decke übers Gesicht: „Carsten erst!“, sagt sie und meint, dass ihr Bruder als erstes baden soll. Der meint: „Es ist noch viel zu früh, erst fünf vor sieben!“ Okay, ich hole ihn um Punkt sieben raus, stecke ihn in die Wanne, gebe den Kerle einen Waschlappen, schäume die Haare ein und höre mir Geschichten über Eugenius an. Eugenius ist eine Fliege, die wilde Abenteuer in Carstens Gedanken erlebt – und die müssen erzählt werden. Egal, ob ich Zeit und ein Ohr dafür habe. Was raus muss, muss raus. Währenddessen motzt Wiebke, weil ihr niemand Gesellschaft leistet. „Will nicht in die Papierabteilung. Will nicht absteigen. Haare waschen, möchte ich.“ Die Hüfte tut ihr weg, sie liegt wie ein hingeschmissenes Fragezeichen im Bett. Als ich sie hochnehme, weint sie. Ich setze sie aufs Klo, nebenbei spüle ich des Kerles Haare ab, zieh meiner Tochter das Schlafshirt aus, hole den Kerle aus dem Wasser, mummle ihn ein, setze das Töchting ins Wasser und ziehe Carsten nach abtrocknen und eincremen die Windel an. „Bleib einen Moment liegen, ich wasche Wiebke die Haare!“ Nebenbei gehen die Abenteuer von Eugenius weiter. Carsten ziehe ich komplett an, er bekommt Trinken ans Bett. Beide frühstücken in der Werkstatt!
Ach, das Frühstück muss ich noch richten!
Wiebke spült sich die Haare selbst aus. „Kann das alleine!“ Naja, fast – den Restschaum übernehme ich. Wiebke anziehen, die po-langen Haare kämmen und föhnen, Zopf flechten. Hüfte besonders behutsam eincremen, den Rücken auch, Schmerztropfen geben – hat Carsten auch schon welche bekommen? Madamchen möchte nichts trinken, will ihren Plüschigel und Carstens Fantasiegeschichte hat nun noch ein neues Insekt bekommen – ihr wollt nicht wissen welches! Nebenbei ist mein Kaffee kalt geworden und mein Bauchbrummeln ist auch nicht besser. Der Igel ist noch nicht gefunden…
…
Nachtrag um10:44 Uhr, der die prekäre Pflegesituation aufzeigt – leider nur ein Beispiel: Gemeinsam gegen den Versorgungsmangel: wir pflegen e.V. und bpa starten bundesweite Kampagne „Bei Anruf Sorry“
dergl sagt:
Das mit Eugenius finde ich cool. Schreibt das – sofern Zeit da ist – doch mal auf, macht Illustrationen (Collagen, Scherenschnitte, Zeichnungen…) dazu und macht ein kleines Buch draus. Muss ja nicht gedruckt werden, Verlagssuche ist schwierig, aber vielleicht nimmt „Edition Na und ob“ was. Die machen viel spezifisch aus der Lebenswelt behinderter Menschen oder von behinderten Menschen.
Ursula sagt:
Doch!
… möchte ich wissen welches Insekt es ist und wie es heißt
piri sagt:
Sibelius, die Spinne.
Ursula sagt:
Spinne hatte ich vermutet
Sibelius ist ein toller Name. Danke fürs verraten
Margrit sagt:
Eugenius und Sibelius
die hatten einen Streit
dann war die Fliege plötzlich weg
der Spinne tat‘s nicht leid …
piri sagt:
;) super