Ich fühle mich nicht gut genug ausgerüstet, um mein Leben zu meistern: die Zukunft macht mir Angst – hat mir schon immer Angst gemacht. Ich bin ununterbrochen in Sorge, ruhelos, von vielen irritiert, ich kann nicht abschalten und entspannen fällt mir verdammt schwer. In meinen Notizen habe ich diesen Satz gelesen, geschrieben habe ich ihn aber bestimmt nicht: Jeder Tag ist so, als würde ich in Bleistiefeln durch Wackelpudding laufend auf den Kilimandscharo steigen. Jeder Schritt in meinem Leben ist eine Wahnsinnsherausforderung.
Ich bin Perfektionistin, lege diese Maßstäbe an mich selbst sehr hoch. Aber auch an andere Menschen setze ich hohe Ziele – oft viel zu hohe. Aber ich denke; was ich kann, können andere doch sowieso! Deswegen sind Beziehungen in der Regel nicht von Dauer, weil sich wohl das Gegenüber ständig kontrolliert oder ausgenutzt fühlt. Dabei möchte ich, dass es meinen Mitmenschen gut geht. Freundschaften setzen mich emotional und auch sozial unter Druck – ich weiß selten wann ich wie reagieren oder handeln soll. Ich erscheine kalt, unempathisch, unsensibel und zu rechthaberisch, dabei will ich nur (mich) erklären.
Immer noch hängt mir so ein Vorwurf in den Knochen. Mir wurde gesagt, dass ich mich nicht auf meinen Autismus ausruhen soll – so oder so ähnlich gemeint, geschrieben wurde es anders. Inzwischen bin ich verunsicherter denn je…
Amélie sagt:
Mit den Vorwürfen, die mir gemacht werden, könnte ich einen schwunghaften Handel eröffnen. Aber Vorwürfe braucht niemand. Das Einzige, das Vorwürfe und unerbetene Ratschläge tun, sind verunsichern. Mit meinen Verunsicherung könnte ich ganze Nationen verunsichern- so viel davon trage ich in mir.
Erklären könnte ich mich genau so wenig wie jemand mich erklären könnte, denn Menschen sind komplex und veränderlich wie Berge oder wie Strömungslandschaften. Allerdings mag ich Ehrlichkeit und die Kritik meiner Gegner kommt mir näher als die Komplimente meiner Freunde. Manchmal tut mir die Kritik weh. Dann hinterfrage ich, ob sie berechtigt ist. Doch diese Entscheidung treffe ich und auch die Entscheidung, ob und wie ich etwas verändern kann oder will. Ob ich sie in Teilen annehmen will, ob als Ganzes oder sie abschmettern soll. Keiner dieser Wege ist leicht und etwas entschieden zurück zu weisen ist schwerer als es zähneknirschend anzunehmen.
Niemand kann aus seiner Haut heraus. So werden aus Annahmen schnell mal Vorwürfe, die beim genaueren Anschauen oft eine eigene Angst oder Verunsicherung projizieren.
Liebe Grüße von Amélie
piri sagt:
Dein Kommentar ist ja gigantisch!
quersatzein sagt:
Was Amélie sagt, könnte ich nicht besser sagen, darum schliesse ich mich der Vorrednerin an und wünsche dir gute, konstruktive Impulse und möglichst keine Vorwürfe von Besserwisser/innen.
Man muss manchmal auch nachsichtig sein mit sich selber. :–)
Liebe Grüsse,
Brigitte
piri sagt:
Ich bin mir meine größte Kritikerin.
andrea sagt:
Ich glaube ja, dass es genau darum geht: sich in diese „Unsicherheitszone“ hinein zu begeben, wie du es hier beschreibst. Und nein, einfach ist das nicht.
Liebe Grüße, Andrea
piri sagt:
Mach ich immer wieder, muss jede*r immer wieder machen, denn wir wollen ja miteinander leben – und niemand hat‘s leicht!
Syntaxia sagt:
Das sehe ich wie Amélie! Wir können nicht jeden Menschen bis ins Kleinste verstehen und uns hineinfinden. Wir haben Ähnlichkeiten, aber auch enorm viele Unterschiede, nicht nur im Außen!
Menschen, die Vorwürfe machen muss man nicht als die betrachten, die alles richtig sehen und verstehen. Es ist ihre Sicht auf die Dinge und wir dürfen unsere haben. Kritik ist immer zu hinterfragen und nicht generell falsch oder richtig.
Eine chinesische Weisheit sagt: Es jedem Menschen Recht getan
ist eine Kunst die niemand kann!
Der Goethe hatte auch eine Weisheit parat, die ich einmal von einer Freundin notiert bekam:
Nimm den Tag
so wie er ist
nicht schwerer
ist er nicht dein Freund
dann ist er dein Lehrer.
Auch ich war und bin immer Außenseiterin und kann deine Gedanken gut nachvollziehen.
Mit deinen Worten erinnerst du mich wieder – danke fürs Teilen, liebe Piri!
Liebe Grüße,
Syntaxia