Schlagwort: Ursprungsfamilie

12. Mai

Ein Tag vor dem 99. Geburtstag meines Vaters – Muttertag. Oft hatte er am Muttertag Geburtstag und selten hat ihm das was ausgemacht. Er vergötterte seine Mutter. Sie war aber auch eine wunderbare Frau. Ihr Sohn war ein wunderbarer Mann, ein bisschen größenwahnsinnig vielleicht, aber herzensgut. Er liebte seine Frau, meine Mutter und als Muttertag, Geburtstag und meine Konfirmation auf denselben Tag fiel, hatte meine Mutter das Sagen. Sie inszenierte diesen Tag und das sehr prachtvoll mit dem schönsten Kleid für die Konfirmandin und einem Essen, nachdem sich alle die Finger leckten. 

Nur die Musik hatte sie nicht im Griff, die wollte mein Vater organisieren – aber es war nicht ihre Musik – und so boykottierte sie diese so gut sie es konnte. Schmollend saß sie am Oberhaupt des Tisches, wenn sie nicht herumwuselte. Doch die Musik konnte sie nicht beeinflussen, es wurden die Schlager der Saison gesungen: Mendocino (schreibt man das so?) – ein Lied mit M! Stadt, Land, Fluss haben wir gespielt! Mit dem höherwerdenden Alkoholkonsum stieg die Stimmung. Der Mann meiner Cousine war blau wie eine Haubitze (darf man nicht sagen, ich weiß), aber er war total besoffen und Muttertag und Konfirmation waren perdu – es wurde fröhlich Geburtstag gefeiert und mein Vater hatte sich endlich einmal von seiner Frau emanzipiert!

unterwegs und wieder Daheim

Meine kleine Schwester habe ich besucht und kaum geschlafen, dafür Waldspaziergänge im Matsch gemacht, mir ein paar neue Wanderschuhe gekauft und gelacht, geredet und Geld ausgegeben. Jetzt bin ich müde, aber in zwei Stunden kommen die Junioren und dann geht‘s erst mal rund!

Dialekt, morgens um 6 Uhr drei

Heute hätte ich gerne einen Dialekt, denn das könnte ich dann besser erzählen, was ich erzählen will.

Ich liege noch im Bett. Die Welt um mich herum erwacht. Es rauscht die Kühlkamer. Es rauscht auch der Wind ums Haus. Mein Magen knurrt. Der erste Kaffee schmeckt. In den Juniorenzimmern regt sich nichts. Draußen wird es langsam hell. All das kann man im Dialekt viel schöner ausdrücken. Das klingt weicher oder härter, je nachdem wie dir danach ist. Ich bin geboren in einer Gegend, von der man sagt, dort wird das reinste Hochdeutsch gesprochen. Stimmt nicht! Auch in den Dörfern rund um die Rattenfängerstadt wurde plattdeutsch gesprochen. Aber ich bin in einer Familie groß geworden – Generationen von Lehrern haben dazu beigetragen, dass wir nun ja nicht die Endsilben verschlucken. Darauf hat mein Opa sehr geachtet. „Kind, du wirst es später einmal leichter haben wenn du von Anfang an gleich richtig deutsch redest!“ Dabei ist er selbst übern ‚sspitzen Sstein gesstolpert‘ und wollte es nicht wahrhaben. Meine Oma kam vom Dörpe, sagte dann: „O Paul, sei nich so streng, nimms nich so ernst, Hauptsache is doch, die Kinners können spreken!“

Dass wir keinen Dialekt in der Familie haben, hat vielleicht auch damit etwas zu tun, dass mein Vater in Ostfriesland geboren und meine Mutter Urmünchnerin ist. Wenn meine Mutter sauer war, konnte sie sehr gut bayrisch fluchen.  „Herrgottgruziment!“ Mein Vater, das weiß ich gar nicht mehr, hat er geflucht? Hat er überhaupt viel geredet? Keine Ahnung, wenn’s brenzlig wurde ist er in seine innere Emigration gegangen, hat anfangs, als wir noch beengt wohnten, sein Zeichenmaterial herausgekramt und später im eigenen Haus ist er im Garagenkeller verschwunden. Abgehauen. Aber das war ja eher die Spezialität meiner Mutter. Mein Vater hat sich zurückgezogen. Meine Mutter ist abgehauen, weit weg manchmal. Sie hat uns allein gelassen. Ich hab mich oft verlassen gefühlt.  Jetzt weiß ich, dass sie es auch war. In Norddeutschland mit bayrischer Aussprache muss sie sich wie eine Exotin vorgekommen sein. Wenn sogar Kinder sich über sie lustig gemacht haben, wenn sie der Radio sagte, oder alswie. Mein Opa und meine Oma haben sie (meine Mutter) nur schwer akzeptiert. Das lag zum Teil auch am sprachlichen Missverständnis.

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Das Töchting ist wach – ich werde mich kümmern – werde das aber weiterverfolgen. Denn mir ist beim schreiben aufgegangen, dass ich ein besseres Verständnis für meine Mutter entwickele …

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