Gedanken

nicht gesehen werden

Entschuldigt bitte, dass ich so penetrant bin. Aber zusätzlich zu meinen eigenen Belangen, sind die meiner Junioren mir extrem wichtig! Teilhabe ist kein Luxus, heißt eine Aktion und für die Petition habe ich hier auch schon geworben.  Jetzt wurde uns gesagt: „Ihr macht doch schon ganz viel!“ Nein, dem ist nicht so – wir machen das, was andere ‚normale‘ Menschen in ihrem ‚normalen‘ Alltag machen. Nur gestaltet sich das bei uns anders, schwerer. Ich kann nicht mal eben meine erwachsenen Junioren zum einkaufen schicken – ganz abgesehen davon, dass sie gar nicht mehr hier wohnen würden und längst eine eigene Familie hätten. Wir können nicht mal g‘schwind am Nachmittag in den Biergarten oder ins Café gehen, um ein Stündchen dort zu schwatzen.  Es erfordert eine Menge Aufwand! Wenn ich Helfer*innen habe, muss ich die im Vorfeld organisieren. Vorfeld heißt, mindestens drei Tage vorher. Und dann will einer der Junioren nicht. Muss aber, weil geplant und organisiert! Spontan ist schwierig. Spontan geht nur, wenn ich es alleine mache und das kostet mich Kraft. Denn ich muss meine Junioren überzeugen, dass das auch gut ist und Spaß macht. Ich muss ihnen aufzeigen, dass man einfach mal in den Park gehen kann. Manchmal wollen sie nicht, weil sie es nicht kennen, weil es aufwändig ist – auch für sie – weil es Organisationskram ist, mit zwei Rollstühlen loszuziehen. Da ist es leichter jemand anderes dabeizuhaben. 

Ich habe schon oft erzählt, dass wir kaum Helfer*innen haben. Jetzt, da mir auch noch Gelder gekürzt wurden (um die Hälfte des Betrages) gestaltet sich das noch schwerer. Dann sind die alten Helfer inzwischen wirklich auch an Jahren alt und können nicht mehr. Ich selber werde auch nicht jünger, auch die Junioren nicht. Beide sind schon unflexibeler geworden, auch deswegen weil sie Erfahrungen gemacht haben, die nicht immer schön waren. 

∙∙∙∙∙

Heute morgen bin ich einmal wieder mit Bauchschmerzen aufgewacht. Es ist Sonntag. Den Junioren habe ich einen Ausflug versprochen. Wir werden ihn machen. Mit dem Auto geht’s zum Salzbergwerk, dann unter Tage, dort ist alles ebenerdig – und ich werde ganz viel Zeit einkalkulieren. Wir schaffen das gemeinsam, ich schaffe das. Ihr wisst gar nicht, wie viel Kraft ich habe! Am Abend, das weiß ich, werde ich ins Bett fallen. Es werden uns Menschen gesehen, vielleicht auch ein bisschen geholfen, mich/uns eventuell bewundert – aber in den Köpfen wird sich nichts geändert haben. 

∙∙∙∙∙

Sorry – aber eigentlich will ich mich gar nicht entschuldigen. Eigentlich möchten wir nur teilhaben am Leben!

Gedanken

Seidentuch

Ich hab ein Seidentuch bemalt – letzte Woche – in sehr pastelligen Farben, zart, fast durchscheinend und leicht wie eine Feder. Ich finde es nicht mehr! Mein Seidenschutz, mein schwereloser ist mir abhandenkommen, bevor ich ihn überhaupt eintragen konnte. Ist es symptomatisch, dass er verschwunden ist?

Stattdessen liegt die kostbare, reichlich verzierte, mit aufgesetzten Strasssteinen bestückte Maske auf meinem Kopf – jederzeit bereit vors Gesicht gezogen zu werden. 

In ein Tuch kann ich meinen Körper nicht hüllen. Meine Tränen kann ich dagegen fantastisch hinter der prächtigen Maske verstecken …

∙∙∙∙∙

Dieser Sonnenblumenstrauß steht in unserem Wohnzimmer!

Behinderung, Familie, Gedanken

woanders ist es auch Scheiße

Die Überschrift ist ein Zitat aus einer Radiosendung bei eines Podcast und ich bin drüber eingeschlafen. Hängen geblieben ist dieser eine Satz. Denn, wenn du weggehst von einem Ort, an dem es dir nicht gefallen hat, so nimmst du dich und deine Sorgen auch immer wieder mit. Dalassen kannst du sie nicht. Alles was du bist und was dich betrifft, ist in dir drin. Dem kannst du nicht davonlaufen.

∙∙∙∙∙

Gestern bin ich sang und klanglos aus der Tagesklinik entlassen worden. Das abschließende Gespräch mit der Psychiaterin war fast freundschaftlich. Resignation lag nicht in der Luft. Aber eine Perspektive auch nicht.

Der Nachmittag und Abend war gefüllt – der Kerle brachte aus der Werkstatt eine zweigeteilte Brille heim und hat einen kleinen – inzwischen größeren – blauen Fleck am Auge. Derangiert. Wir hatten unsere alte Pastorenfreundin eingeladen – ich dachte, ich könnte ihr gerecht werden, ohne mich zu sehr zu verbiegen. Aber bei uns gehören immer drei dazu und der Kerle hatte Frust! Mein empathisches Töchting litt mit. Ich steckte zwischen allen und sollte einmal wieder das Bindeglied sein. Die alte Dame begann, sobald sie die Haustür hinter sich hatte, über ihre körperlichen Leiden zu klagen. Darüber, dass der Tränenkanal im Auge verstopft ist – mit was wollt ihr gar nicht wissen, ich bin nun ausgebildeter Laie und kenne sämtliche Konsistenzen – dass ihr Schlaf immer noch mehrmals die Nacht unterbrochen ist, weil sie den neuen elektrischen Lattenrost leider nicht so einstellen kann, das es eine bequeme Position ergibt. Dass ihre alten Nachbarinnen im Pflegeheim – sie wohnt im betreuten Wohnen – fast alle zu nichts mehr zu gebrauchen sind. Schlussendlich hat sich Carsten breitschlagen lassen und hat mit uns MenschÄrgereDichNicht gespielt. Die Pastorenfreundin hat eine Passion und spielt rigoros exzessiv, merkt aber dennoch nicht, dass ich Carsten bevorzuge, damit er bei Stimmung bleibt! Da sie nur das spielt und währenddessen weniger jammert, kann ich etwas durchschnaufen! Mit dem Töchting hat sie dann noch Sport gemacht – Wasserball hin und hergespielt – das war eine Gaudi.

Am Abend waren wir eingeladen. Auf 19:00Uhr zum grillen. Essen wäre dann fertig! Nichts war‘s. Kohle war grad angezündet. Gegessen haben wir um neun. Die Laune des Kerles im Keller und mein Töchting hundemüde. Ich liebe diese gastfreundschaftliche Chaosfamilie, ich bezeichne die Mutter auch als meine Wunschtochter, aber ein bisschen strukturierter könnten sie schon sein! Vor fast drei Wochen sind sie in ein Haus gezogen und sie leben aus den Umzugskartons. Während des Umzugs ist ein Schrank entzweigekracht und der fehlt nun… Ein Karton-Tetris und Sachen, die ins Bad müssten, stehen werweißwo und andersrum. Diesen Gleichmut, den sie dabei bewahren, den hätte ich auch gerne! Aber ein bisschen Organisation täte auch gut.
Die Überraschung das Abends war dann ein voller Erfolg: Die Wunschtochter machte dem Vater ihres einen Sohnes einen Heiratsantrag mit einem Ring aus Alupapier. So rührend und völlig überraschend. Mir kamen schon wieder die Tränen. Wiebke weinte auch, weil sie sah, dass es noch später wurde. Carsten schlief fast auf dem Rollstuhl ein. Ich? Ich weiß nicht. Ich habe funktioniert, hab den Tisch abgeräumt, in die übervolle Küche gestellt, mir meine Junioren geschnappt und bin zum Auto.

Daheim war der Kerle überdreht, das Töchting leicht feucht, beide hatten Duuuuurst, in mir stieg wieder der Gedanke hoch, nicht zu genügen.

Heute Morgen guckt mich der Nachbar an und murmelt so was wie: „Deine Hecke müsste auch mal wieder geschnitten werden!“ Ich duck mich weg.

… wir bleiben heute daheim – woanders ist es auch nicht besser!