Familie, Gedanken

Dialekt, morgens um 6 Uhr drei

Morgenkaffee

Heute hätte ich gerne einen Dialekt, denn das könnte ich dann besser erzählen, was ich erzählen will.

Ich liege noch im Bett. Die Welt um mich herum erwacht. Es rauscht die Kühlkamer. Es rauscht auch der Wind ums Haus. Mein Magen knurrt. Der erste Kaffee schmeckt. In den Juniorenzimmern regt sich nichts. Draußen wird es langsam hell. All das kann man im Dialekt viel schöner ausdrücken. Das klingt weicher oder härter, je nachdem wie dir danach ist. Ich bin geboren in einer Gegend, von der man sagt, dort wird das reinste Hochdeutsch gesprochen. Stimmt nicht! Auch in den Dörfern rund um die Rattenfängerstadt wurde plattdeutsch gesprochen. Aber ich bin in einer Familie groß geworden – Generationen von Lehrern haben dazu beigetragen, dass wir nun ja nicht die Endsilben verschlucken. Darauf hat mein Opa sehr geachtet. „Kind, du wirst es später einmal leichter haben wenn du von Anfang an gleich richtig deutsch redest!“ Dabei ist er selbst übern ‚sspitzen Sstein gesstolpert‘ und wollte es nicht wahrhaben. Meine Oma kam vom Dörpe, sagte dann: „O Paul, sei nich so streng, nimms nich so ernst, Hauptsache is doch, die Kinners können spreken!“

Dass wir keinen Dialekt in der Familie haben, hat vielleicht auch damit etwas zu tun, dass mein Vater in Ostfriesland geboren und meine Mutter Urmünchnerin ist. Wenn meine Mutter sauer war, konnte sie sehr gut bayrisch fluchen.  „Herrgottgruziment!“ Mein Vater, das weiß ich gar nicht mehr, hat er geflucht? Hat er überhaupt viel geredet? Keine Ahnung, wenn’s brenzlig wurde ist er in seine innere Emigration gegangen, hat anfangs, als wir noch beengt wohnten, sein Zeichenmaterial herausgekramt und später im eigenen Haus ist er im Garagenkeller verschwunden. Abgehauen. Aber das war ja eher die Spezialität meiner Mutter. Mein Vater hat sich zurückgezogen. Meine Mutter ist abgehauen, weit weg manchmal. Sie hat uns allein gelassen. Ich hab mich oft verlassen gefühlt.  Jetzt weiß ich, dass sie es auch war. In Norddeutschland mit bayrischer Aussprache muss sie sich wie eine Exotin vorgekommen sein. Wenn sogar Kinder sich über sie lustig gemacht haben, wenn sie der Radio sagte, oder alswie. Mein Opa und meine Oma haben sie (meine Mutter) nur schwer akzeptiert. Das lag zum Teil auch am sprachlichen Missverständnis.

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Das Töchting ist wach – ich werde mich kümmern – werde das aber weiterverfolgen. Denn mir ist beim schreiben aufgegangen, dass ich ein besseres Verständnis für meine Mutter entwickele …

Familie, Gedanken

Verletzung, Kränkung und Wut

Kindheitserinnerungen – lange Zeit habe ich sie mit mir herumgeschleppt, tue es immer noch und reagiere des Öfteren auf eine heutige Situation mit dem Gefühl auf damalige, auf eine Begebenheit, die ich als Kind erlebt habe. Und wenn man dann nicht gewohnt ist, sich mit seinen Gefühlen auseinander zu setzen, dann denkt man, das sei ein wichtiger Bestandteil seines selbst: ich bin jetzt verletzt oder: ich bin jetzt wütend. Das wird stimmen, allerdings hat das heutige Gegenüber damit nichts zu tun. Mir passiert das viel zu oft, dass ich Vergangenheit und Gegenwart mische.

Verletzungen, die wir ein Leben lang mit uns herumschleppen, verletzen vor allem uns – nicht die Person, die sie uns angetan haben. Sie weiß manchmal gar nicht (mehr) ob sie uns verletzt hat.

Verzeihen ist mein Zauberwort. Aber wenn die Wunden so tief gehen und je tiefer die Wunden gehen, umso schwerer wird verzeihen. Meine Mutter war empathielos und hat mich nie in den Arm genommen. Ich hatte immer das Gefühl; ich bin nichts wert, werde nicht gesehen. Daher, das weiß ich sehr genau, stammt mein großer Wunsch wahrgenommen, gesehen und anerkannt zu werden. Als Jugendliche habe ich deswegen oft Dinge gemacht, die nicht unbedingt schön waren. Nur um Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich war dann die Außenseiterin – wurde gesehen – aber die Anerkennung hatte ich trotzdem nicht.

Jetzt im Nachhinein weiß ich, dass meine Mutter damals nicht anders reagieren konnte, als sie reagiert hat. Sie hatte sechs Kinder, kam selbst aus einer kinderreichen Familie und hatte damit zu tun, uns zu versorgen. Außerdem wollte sie selber endlich ihr eigenes Schneideratelier aufmachen. Das hat sie auch dann getan als wir ins neue Haus zogen. Ich habe es ihr übel genommen, denn meine Kindheit war mit einem Schlag vorbei. Meine jüngste Schwester ist zehneinhalb Jahre jünger als ich und ich durfte von dort an auf sie aufpassen.

Als ich darüber nachdachte, meiner Mutter vergeben zu wollen – verzeihen zu wollen – sah ich mich einem Wechselbad der Gefühle ausgesetzt. Traurigkeit, Wut, Empörung und auch Sehnsucht nach Rache, aber ich wollte meiner Mutter verzeihen, weil ich ihr Zuneigung gegenüber spürte. Leider habe ich das zu ihrem Lebzeiten nicht mehr geschafft. Viel zu viel war zwischen uns geschehen. Gelernt habe ich, dass Verzeihen spannend ist, weil es einen Veränderungsprozess in Gang setzt. Meine Mutter hat mir etwas Schlechtes angetan, aber mit der Zeit kann ich es anders sehen. Es geht um ein Umschreiben der Geschichte meiner Mutter. Ihre Geschichte ist nicht meine Geschichte, durch unsere Lebensgeschichten sind wir in einer Weise eine Zeitlang eins. Es war eine schwierige Geschichte, sehr schmerzhaft und sie gehört zu mir, aber es war!

Verzeihen ist Knochenarbeit, seelische Arbeit und erfordert ein Einfühlen in die Person, der man verzeihen möchte. Ich musste verstehen lernen, warum meine Mutter so und nicht anders gehandelt hat, handeln konnte. Erst nachdem ich viele Bücher über Kriegsgenerationen gelesen habe, konnte ich handeln, verstehen. Nachvollziehen konnte ich meiner Mutter Verhalten nie. Verständnis hatte ich auch nie dafür. Vergeben kann ich ihr auch nicht, aber wenigstens verzeihen.

Ich hoffe immer sehr, meine Kinder können mir das auch verzeihen, das, was ich gemacht habe. Ich werde mich bemühen, meine Vergangenheit Vergangenheit sein zu lassen und nichts mehr oder nur wenig davon mit in die Gegenwart zu nehmen. Angeregt zu diesem Beitrag hat mich C*mit ihrem Blog Lebenslinien – Danke dafür!

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Kuddelmuddelgedankenchaos – einfach so ins Eingabefeld getippt und sicherlich nicht wissenschaftlich fundiert.

Bücher, Familie, Gedanken, Junioren

Tagebuchbloggen | keine Unterhaltung

Ohne Wecker bin ich wieder einmal zu früh aufgestanden! In der Nacht war für mehr als eine Viertelstunde, so gegen halb vier, ein heftiger Radau am Himmel. Rausgeguckt habe ich nicht, dazu war ich zu träge. Die Rotorblätter eines Hubschraubers drehten sich fast auf der Stelle überm nahen Wohngebiet. Was sie wohl gesucht haben? Möglicherweise Banden, die mit dem Vollernter durch die Weinberge fahren und dort die Trauben klauen. Diese Unsitte greift mehr und mehr um sich. Es geht los – die Weinlese beginnt! Befreundete Wengerter suchen Erntehelfer, ein Knochenjob!

Der Kerle hustet mehr als sonst. Ein bisschen hört sich’s an, wie bellen. Mich beunruhigt das, ist doch nach der Freizeit ein Teilnehmer positiv auf Corona getestet worden. Mein Kopfkino rattert. Ausgerechnet der Kerle? Hoffentlich nicht. Aber gestern hat er schon gespuckt und war schlapp. Ernsthaft, ich habe Angst! Mein Sohn wiegt 12,5kg bei einer Körpergröße von knapp einem Meter. Er isst nicht genug… Wir wollen in 14Tagen zur Mutter-Kinder-Kur fahren, das können wir knicken, wenn irgendjemand von uns Corona bekommt, und wenn’s den Kerle trifft, dann wird’s (das weiß ich jetzt schon) dramatisch. Ich möchte nicht dran denken, demungeachtet kreisen meine Gedanken ständig darum. 

Schnell noch einen Kaffee, dann die helle Wäsche in die Waschmaschine, T-Shirt bügeln, draußen Kübel begießen, vielleicht für mich noch ein paar Seiten lesen; vom arroganten Porschefahrer und Loftbesitzer, der gehörig auf die Schnauze fällt. Doris Knecht schreibt locker, flockig und haargenau.