Behinderung, Gedanken

Adventszeit mit Musik

Da saß ich nun am Rand, weil die Rollstühle ja im Gang stehen müssen. Keinen Stuhl konnte man rausnehmen aus der Reihe und schon sind sie wieder außerhalb der Reihe (getanzt). Wenn sie denn wenigstens tanzen hätten können? Natürlich standen sie im Weg, als die Kinder langsam einzogen. 

Ich wollte nicht dorthin. Ich wollte nicht schon wieder ein Musical sehen, das zwar mit Herzblut vorbereitet und mit viel Enthusiasmus und Liebe aufgeführt wurde, aber jedes Jahr irgendwie immer dasselbe ist. Ich wollte nicht schon wieder in eine dunkle Kirche, zu fremden Leuten mit einer mürrischen Helferin. Sie ist schon zu uns gekommen und klagte an, dass ihr der Magen weh tut, ihre Hüfte schmerzt und es ihr nicht gut geht. Ihretwegen haben wir uns aufgemacht, ein bisschen auch den Junioren zuliebe, denn sie mögen gerne raus und Musik ist sowieso eine Leidenschaft von ihnen. 

So sitze ich also im Mittelgang. Am Morgen hatte ich ein langes gutes Telefongespräch mit einer unbekannten Frau – ich habe vor ihr einen Teil meines Herzens ausgeschüttet, habe erzählt, dass ich gesehen werden möchte und nicht nur Mittel zum Zweck sein will. Nicht nur Mutter und Pflegerin, möchte als Person wahrgenommen werden, auch von langjährigen Helferinnen. Ich möchte auch einmal gesagt bekommen, dass ich gut aussehe und auch gefragt werden, ob es mir gut geht. Meine Gedanken in der dunklen Kirche schweifen ab. Ich schaue mich um und sehe einzelne Menschen sitzen. Manche gucken erwartungsvoll. Einige sind vermutlich nur da, um nicht alleine Daheim zu sitzen. Mein Blick fällt auf die Helferin, ihr Blick ist leer, auch sie ist einsam. Ich mag sie. Ich mag nur nicht ihre bestimmende Art und dass sie, wenn ihr etwas nicht passt, unsere Vorhaben boykottiert. Sie ist eine treue Seele, das weiß sie auch und nutzt das schamlos aus. Ihre Argumentation ist nachvollziehbar und genau deswegen ist es für mich so schwer – sie ist alt, alleine, hat gesundheitliche Probleme. macht sie sich auch, weil sie zu genau in ihren Körper hineinhorcht. Wenn ein neues Stichwort fällt, dann hat sie das auch oder hatte es zumindest schon mal so oder so ähnlich!

Ich schaue weiter. Zwei Bänke vor mir sitzt eine gut gekleidete Frau, etwas jünger als ich, sehr zusammengesunken und still. Neben ihr eine junge Frau mit Kind. Mein Gedankenkarussell fängt an zu rattern – stopp, es geht mich nichts an – aber ist sie vielleicht dennoch einsam? Wie vielen Personen im Gotteshaus mag es so gehen wie mir? Wenn man doch nur diese Menschen zusammenbringen könnte? Wenn man doch nur signalisieren könnte, dass man Begegnungen möchte? Wenn doch nur Menschen, die sich nicht trauen eine Plattform hätten, die ebensolche Menschen miteinander verbindet? Wenn doch nur… Gibt es so etwas? Hier, im Umkreis, ist mir so etwas nicht bekannt. Hier suche nicht nur ich Begleiter*innen und finde sie nicht. Ich suche auch Begleiterinnen für mich, die möglicherweise Freundinnen werden könnten. Eventuell waren gestern tatsächlich diese Frauen im selben Raum, nur entdeckt haben wir uns nicht. Schade!

Gedanken, Gedicht

Im hohen Himmelsraum

Im hohen Himmelsraum dort zieht der Sterne Reigen,
der Bäume Wipfel neigen sich leise wie im Traum.
Die Blumen auf der Flur, sie sind so sonnenmüde,
ein heiliger Wonnefriede durchzittert die Natur.
Wenn manch ein Sturm – getost,
den Blumen feindlich wilde,
nun lächelt Nachtluft milde
und lispelt ihnen Trost.

Rainer Maria Rilke

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Ehe ich heute gar nichts schreibe – ein Gedicht von Rilke. Ansonsten ist der Tag unverblogbar.

Alltag, Behinderung, Gedanken

Hallo, ist jemand Zuhause?

So eine Frage gibts hier nicht. Wir wohnen zwar auf dem Dorf, aber es kommt außerordentlich selten bis gar nicht vor, dass jemand kommt und: „Hallo, ist jemand Zuhause?“ fragt! Im Grunde sind wir auch hier sehr isoliert. Sehr viele Menschen kennen die Junioren vom sehen, nur werden beide nicht angesprochen. Ich würde mich so freuen wenn einfach mal jemand vorbeikommt, ein bisschen bleibt, mit uns redet oder spielt etc. – Dorfnormalität eben. So wie es in der Nachbarschaft fast täglich passiert. Wir beißen nicht und Behinderung ist auch nicht ansteckend. Gerade heute bin ich darüber wieder sehr traurig!

16:19 – heute einmal wieder ein Fortsetzungsbeitrag: Dem Töchting muss ich jeden Bissen in den Mund reden. Dafür hat der Kerle ein Winzigschälchen Erdbeeren gegessen und kommentiert nun Bundesligaspiele. Er liegt auf seinem Gartenkissen und scheinbar geht’s im gut. Wenn er denn wenigstens noch etwas anderes essen würde?

Gerade in diesen Momenten vermisse ich MamS so sehr – auch nach über zehn Jahren. Wir könnten uns die Aufgaben teilen. So springe ich hin und her. Motiviere meine Tochter und den Sohn und merke einmal wieder, wie unterschiedlich sie doch ticken!

17:26 – noch viel zu schön, um rein zu gehen. Deswegen wird das Tablett auch draußen aufgeladen.

Abendbrotpizza um 18:58 – und ich habe mir wieder ein Brandbläschen eingefangen!

 

Beim Kerle funktioniert essen manchmal mit Tablett vor der Nase!