Gedicht

Warten auf Weißnichtwas

Ein Leierkasten wringt sich aus.
Es klingt nach Leben und Sterben.
Im Schutt im Winkel hinterm Haus
Liegen häßliche Scherben.

Am Fenster quält sich ein winziges Tier,
Läuft immer dieselbe Schleife.
Es klingelt. – Ein Armer bietet mir
Schnürsenkel an. Oder Seife.

Es ist nichts neu und nichts verstellt
An meinen Gegenständen.
Nichts lockt mich hinaus in die Außenwelt.
Nichts hält mich hinter vier Wänden.

Joachim Ringelnatz

 

Gedicht

Selbst

Selbstporträt aus nächster Nähe
näher noch als nah
ich
sehe mich
ihr seht mich
sehen wir dasselbe

nun
wohl eher nicht
ich sehe mich
sehe ich mich
seht ihr mich
immer so

manchmal
niemals
was sieht man schon
wenn man etwas sieht
wenn man nichts sieht
wenn man glaubt man sähe

etwas
sehen
dies oder das oder jenes
?

blindbesehen

© petra ulbrich

Gedicht

nenn es verdichtetes

… oder Grenzen

Grenzen hat jeder Mensch, man kann sie verschieben
Ich habe meine verschoben
So hoch wie du fliegen kannst, so abgrundtief kannst du fallen

Was bedeuten Grenzen
Wir sind da
Warum mache ich das
Wenn ich Angst habe, dann denke ich in erster Linie an mich und dann sofort an die Kinder

Der Absturz hat meinen Blick verändert
Was bedeutet Leben überhaupt
Trotzdem hat man Angst

In letzter Sekunde den Fallschirm öffnen
Lebensfreude, auch voller Gefahren
Auf das Leben

Wichtig ist für mich, dass das geht
Auf die Füße fallen, auch wenn es schmerzt
Kein vermeidbares Risiko eingehen

Ganz ohne Adrenalinkick geht es doch nicht

© petra ulbrich