Behinderung, Gedanken

aufpassen

In ganz vielen Dingen sollte ich nicht nur momentan aufpassen, dass es nicht zu eng wird. Zu eng für mich und für die wenigen Menschen um mich herum. Nicht nur im übertragenen Sinne ist meine Haut sehr dünn – an der Schulter ist seit Wochen eine juckende Stelle, die ich hin und wieder etwas aufkratze. Sinnbildlich ist das tatsächlich auch für manche meiner Gedanken zu sehen. Ich kratze fast verheiltes auf und dann tut es immer wieder neu weh. „Aber es juckt doch!“ Was macht man gegen jucken? Übersehen ist nicht leicht. Im Fall meiner Haut hilft viel Pflege – eincremen, salben, streicheln! Sollte ich die aufkommenden Gedanken auch streicheln? Aber wenn sie sich doch so sehr in den Vordergrund drängen?

Dünnhäutig bin ich, wenn mir jemand freundlich ins Gesicht eine Absage gibt. Da höre ich erst einmal nicht zu, aus welchem Grund das geschieht. Da beziehe ich das sofort auf mich, dass ich ja wieder einmal viel zu direkt war und eventuell biestig reagiert habe. Oder, dass die Junioren genervt haben, mit ihren immergleichen Sprüchen und meinen Ermahnungen doch endlich etwas zu trinken und zu essen. Dass die Ticks meiner Kinder den Begleitern peinlich sein könnten und mein Beschwichtigen das nicht unbedingt besser macht! Da höre ich erst einmal die Gründe nicht an, warum die Freundin uns nicht begleiten kann – da bin ich einfach nur gekränkt! Aus Erfahrung! Da spreche ich nicht an, ob das Verhalten der Junioren oder meins nervt! Ob ich vielleicht zu hohe Ansprüche habe, oder ob es ganz andere Gründe – eventuell sogar triftige – für die Absage hat!

Als pflegende Angehörige wird man schnell entweder sehr still oder sehr laut. Ein gesundes Mittelmaß ist selten. Entweder kusche oder rebelliere ich, in jedem Fall bin ich dankbar für Hilfe – aber das steht außer Frage und wird dennoch hinterfragt, denn wenn man etwas renitenter ist, wird gleich Undankbarkeit vermutet.

Nicht nur draußen weht ein heftiger Wind – meine Adventsdekoration vor der Haustür hat’s gerade umgehauen. Meine Gedanken haben das auch. Nur eine Antwort darauf habe ich nicht…

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Nachtrag mit einem Text von Elenor Roosevelt und weil heute der Tag der Menschenrechte ist: Wo beginnen die universellen Menschenrechte? An den kleinen Orten, nahe dem eigenen Zuhause. So nah und so klein, dass diese Orte auf keiner Weltkarte zu finden sind. Und doch sind diese Plätze die Welt des Einzelnen: die Nachbarschaft, in der wir leben., die Schule oder die Universität, die wir besuchen, die Fabrik, der Bauernhof oder das Büro, in dem wir arbeiten. Das sind die Orte, wo jeder Mann, jede Frau und jedes Kind gleiche Rechte, gleiche Chancen und gleiche Würde ohne Diskriminierung sucht. Wenn diese Rechte hier nicht gelten, gelten sie nirgendwo.

Audio, Gedanken, Gedicht

21. Sept. 23

Die Nacht ist nie still,
nur ruhig.
Manchmal
ertönt ein leises Geräusch
das Rauschen
im Ohr
vom Blut.
Das Pochen
vom Puls
in der Halsschlagader
oder das Knacken
der Gelenke
beim mühsamen umdrehen.

Die Nacht kann
sehr laut sein
wenn man richtig hört.

© petra ulbrich

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Befindlichkeitsgeschichten erzähle ich nicht mehr öffentlich. Ich bin dünnhäutiger geworden. Nicht nur meine Haut reißt – auch die der Junioren. Ich schwebe hier im Nirgendwo, bin nicht angekommen und doch da. Alles scheint ein Theaterstück zu sein, nur ich verstehe die Inszenierung nicht. Da ändert sich z. B. die Besetzung, denn der Mensch, dem ich nicht begegnen will, ist doch im Haus.

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06:34 Uhr  – Doch; ich muss noch etwas schreiben: Ich verändere mich. Jeder Mensch verändert sich mit der Zeit. Seit ich weiß, dass ich Asperger-Autistin bin, versuche ich mich noch mehr zusammenzureißen und genau seitdem gelingt mir das anscheinend nicht mehr. Menschen fühlen sich von mir vor den Kopf gestoßen, vermeintliche Freundschaften enden im Streit weil ich ehrlich bin und mir manche Ratschläge nicht mehr anhören will. Ich würde das gerne erklären, weiß aber nicht, ob das überhaupt jemand wissen möchte.

Behinderung

Reizüberflutung

Viel zu viel, viel zu viel maskieren, viel zu viel Neues, viel zu viel von mir verlangt!

Ich will wieder Everybody’s Darling sein – klappt ja auch, ich bin charmant und den Menschen zugeneigt. Ich bemühe mich um Kontakte und merke erst im Nachhinein, dass ich mich völlig verausgabe. Dann ist es aber zu spät und dennoch muss ich weiter funktionieren, weil die Junioren ja nicht autark sind.

Dies Haus ist sehr hellhörig, es rennen Kinder, es schreien Kinder vor Freude, Zorn, Angst und Kummer – ich habe keine Ohrstöpsel, auch aus dem Grund nicht, weil ich meine Junioren dann auch nicht mehr wahrnehme.

Achtsamkeitsübungen – ich habe gerade versucht eine zu machen. Ich bin gnadenlos gescheitert.

Tatsächlich war der Tag schön. Tatsächlich hat mich dieser Tag gefordert. Tatsächlich bin ich grad am Limit und ich möchte der Mutter von diesem heulenden quengeligen nervigen Teenager von irgendwo auf dem Flur gerne sagen, dass man auch die Zimmertür zumachen kann!